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Die Heizpilz-Klemme

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Gerade als sich manche fragten, ob es ihn noch gibt, trumpft der scheidende Stuttgarter Oberbürgermeister mit dem Vorhaben auf, das Unmögliche möglich zu machen. "Die Aussetzung des Verbots von Heizpilzen", sagt Fritz Kuhn, "ist eine Entscheidung zugunsten unserer Gastronomie und keine Entscheidung gegen den Klimaschutz." Und das klingt ganz, als gäbe es hier kein Dilemma. Als wäre eine Entscheidung ohne Nachteile möglich, als ließen sich umweltschädliche Emissionen einfach wegdiskutieren, indem man nur deutlich genug betont, dass die mit den Beschlüssen einhergehende Klimazerstörung höchst unerwünscht ist.

Nun dürfte zwar der Anteil, den ein paar mit Ausnahmegenehmigung betriebene Heizpilze zur Erderwärmung beitragen, recht überschaubar sein. Aber an diesem Beispiel zeigt sich das ganze Elend einer öffentlichen Debatte, die weitgehend so tut, als handle es sich bei der gegenwärtigen Wirtschafts- und Klimakrise um zwei verschiedene Probleme ohne unmittelbaren Zusammenhang. Die spektakuläre Verrenkungsleistung dieser Argumentationslinien: Prinzipiell hat ja niemand was dagegen, dass der Planet bewohnbar bleibt. Und wenn wir ihn trotzdem kaputt machen, dann ist das keine Entscheidung gegen intakte Lebensgrundlagen, sondern nur für etwas anderes. Ökonomie sticht im Zweifel Ökologie.

Die Lebensgrundlagen der meisten Menschen aber – und das ist die Zwickmühle, in der sich verantwortliche Entscheidungsträger gegenwärtig befinden – hängt nicht nur von einer artgerechten Umwelt ab, sondern auch von Arbeitsplatz und Einkommen. Etwa ein Drittel aller Haushalte in der Bundesrepublik verfügt über keinerlei finanzielle Rücklagen. Falls ein Monatslohn ausbleibt, führt das zu Problemen, die die soziale Existenz bedrohen. Bei etlichen Unternehmen verhält es sich ähnlich: Im Businessplan ist in der Regel kein Stillstand vorgesehen. Wenn nun gebeutelte Gastronomen nach Wochen, in denen die Maßnahmen zum Infektionsschutz bereits ein Loch in die Kasse gerissen haben, darüber klagen, dass ein Winter mit stark eingeschränkten Bewirtschaftungsmöglichkeiten sie endgültig vors finanzielle Aus stellt, ist das durchaus ernst zu nehmen.

Die gleiche Konfliktlage zeigt sich bei der Autoindustrie, die führende Grüne mit Staatskapital vor dem Zusammenbruch retten wollen. "Es würde eine schwere Krise auslösen, wenn diese Arbeitsplätze wegfielen", stellt etwa die Wirtschaftsredakteurin Ulrike Hermann zutreffend fest. Aber es wird ebenfalls eine schwere Krise auslösen, wenn solche Arbeitsplätze erhalten bleiben.

Schon heute überschlagen sich die Katastrophenmeldungen nicht nur, was die wirtschaftlichen Schäden der Pandemie anbelangt. Kalifornien sieht derzeit aus wie der Schauplatz einer postapokalyptischen Blockbuster-Dystopie, in der Arktis ist gerade ein Gletscherstück abgebrochen, das so groß ist wie Paris, und laut einer Studie aus dem August befindet sich die Menschheit auf direktem Wege in das schlimmste Horrorszenario des Weltklimarats, das lange als Alarmismus galt, mit einer prognostizierten Erderwärmung von bis zu 5,5 Grad noch in diesem Jahrhundert.

Da scheint sich auch in der Politik eine gewisse Ratlosigkeit breitzumachen. So geschehen bei Baden-Württembergs grünem Regierungschef, der jüngst den heimischen Forst inspizierte und ganz erschrocken war, weil der dramatische Zustand darbender Buchen "Alarmstufe Rot" bedeute. Jetzt müsse der Klimawandel mit aller Kraft angegangen werden, sagt Winfried Kretschmann, der kürzlich noch Kaufprämien für Verbrennungsmotoren forderte. Wer den Landesvater im absterbenden Walde sieht, ist "versucht zu denken, dass dieser Job auch kein Honigschlecken ist", schreibt Josef-Otto Freudenreich in einer Reportage zum Spaziergang im Schönbuch.


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1 Kommentar verfügbar

  • Georg Rapp
    am 21.09.2020
    Antworten
    Natürlich sind viele Gastronomen schwer von der Pandemie gebeutelt. Trotzdem ließe sich aus der Diskussion um die Heizpilze eine win-win-Situation für sowohl sie als auch das Klima (das heißt für uns alle) kreieren: während der Pandemie sind Heizpilze generell erlaubt. Und danach generell verboten.…
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