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Wäre ja noch schöner

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Sollte man in Stuttgart die Hanns-Martin-Schleyer-Halle umbenennen, weil Schleyer nicht nur RAF-Opfer war, sondern auch eine NS-Vergangenheit hatte? Die FrAktion (SÖS, Linke, Piraten und Tierschutzpartei) im Stuttgarter Gemeinderat will nicht gleich mit der Tür ins Haus fallen, schlug aber vor zwei Wochen zumindest mal eine Prüfung vor. Eine Aufarbeitung der Geschichte rund um die Namen, die nicht nur Stuttgarter wie selbstverständlich im Munde führen. Etwa das Ferdinand-Porsche-Gymnasium, der Kurt-Georg-Kiesinger-Platz und eben die Hanns-Martin-Schleyer-Halle. Schleyers Sohn Jörg hat davon Wind bekommen und sich aufgeregt. Via "Bild"-Zeitung, die denn auch gleich titelte: "Schleyer-Sohn geht auf linke Stadträte los!" Weil die, so schreibt die Zeitung, "das Andenken an Hanns Martin Schleyer löschen wollen". Naja. Zwischen prüfen und löschen klafft nun doch ein winziges Schlüchtchen. Wir finden, nachdenken ist auf jeden Fall ganz prima, und empfehlen zwei Texte aus dem Kontext-Archiv: "Der halbe Schleyer" und "Schleyers Gattin".

Nicht nur Bezüge zur NS-Zeit sollten übrigens von einer unabhängigen Kommission geprüft werden, sondern auch die zur Kolonialgeschichte der Stadt. Ein Vorschlag zur besten Zeit. Wann, wenn nicht jetzt, befeuert von der Black-Lives-Matter-Bewegung, ist die Zeit reif dafür? Wo zumindest der Streamingdienst HBO es geschafft hat, "Vom Winde verweht" aus dem Programm zu nehmen, diesen "rassistischen Superspreader", wie unser Kino-Experte Rupert Koppold in der aktuellen Ausgabe schreibt.

Für große Kontroversen, auch in Baden-Württemberg, sorgt indessen das Berliner Antidiskriminierungsgesetz, dem konservative Sicherheitspolitiker den kantigen Spitznamen "Anti-Polizei-Gesetz" verliehen haben. Die neue Regelung soll es von Diskriminierung Betroffenen besser ermöglichen, sich zu wehren und Schadensersatz einzufordern, wenn sie aufgrund von Geschlecht, ethnischer Herkunft, rassischer Zuschreibung, Religion, Weltanschauung, Behinderung, sexueller Identität oder wegen ihres sozialen Status' von Behörden benachteiligt werden. Prinzipiell liest sich das beinahe wie aus dem Grundgesetz kopiert, wo in Artikel 3 fast wortgleiche Grundsätze für das Zusammenleben als Gesellschaft definiert werden. Horst Seehofer aber sagt, das Berliner Gesetz sei "im Grunde ein Wahnsinn". Was ist da los? 

Die neue Regelung könnte auch dazu führen, dass Polizisten und andere Behördenmitarbeiter künftig für Handeln belangt werden, das bislang straffrei blieb. Und es findet eine Umkehrung statt: Es liegt nun nicht mehr an den Betroffenen, einen stichfesten Nachweis zu erbringen, dass sie tatsächlich diskriminiert wurden. Wenn sie dies überwiegend glaubhaft machen können, müssen nun die Behörden nachweisen, dass es nicht so war. "Ein Prinzip, das allen Zivilrichtern vertraut ist", wie es Katrin Schönberg, die Vorsitzende des Berliner Richterbundes, gegenüber "Legal Tribune Online" sagt. Vergleiche dazu Thomas Strobl: Laut dem baden-württembergischen Innenminister sei die neue Regelung "fast schon eine Umkehrung des Rechtsstaats, indem jetzt Polizeibeamte auf einmal ihre Unschuld beweisen müssen". Strobl und sein Innenministerkollege Joachim Herrmann sind derart erbost über das neue Gesetz aus Berlin, dass sie sogar erwägen, der Berliner Polizei keine Amtshilfe mehr zu leisten. "Wir brauchen die gegenseitige Unterstützung", betont Herrmann, um sogleich klarzumachen, worauf es ankommt: "Aber es darf nicht sein, dass dadurch neue Haftungsrisiken für die eingesetzten Beamten entstehen." Wäre ja noch schöner, wenn Ordnungshüter dem Risiko ausgesetzt wären, für ihr Handeln haften zu müssen.

 


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4 Kommentare verfügbar

  • D. Hartmann
    am 21.06.2020
    Antworten
    Vorschlag:
    Umbenennung in "Hanns-Martin-VerSchleyer-Halle".

    Damit könnte man eine Diskussion fördern, die bisher fast immer nur "im Kleinen" läuft, weil sie von einflussreichen Vertretern der hiesigen Gesellschaft gerne "weggedrückt" wird.
    Diese sollte begleitet werden durch ein…
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