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Nicht geschubst, aber umgefallen

Nicht geschubst, aber umgefallen
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Wie sagt man so schön: Sie haben sich bemüht. Im Nachgang des Schwarzen Donnerstags wollten die Landes-Grünen eine Kennzeichnungspflicht für Polizeibeamte durchsetzen. Wurde bekanntlich trotz Regierungsbeteiligung nichts draus, denn fürs Innere war und ist seit 2011 immer der Koalitionspartner zuständig: erst Reinhold Gall von der SPD, dann Thomas Strobl von der CDU, und beiden schien das grüne Vorhaben unerträglich zu sein gegenüber ihren Schäfchen.

Gut, das ist Realpolitik, wenn der Koalitionspartner blockt, geht's halt nicht. Bleibt immer noch die Bewahrung des Status Quo, wenigstens eine Ausweitung von Polizeibefugnissen sollte dann ausgeschlossen sein, quasi die unveräußerliche Minimalposition. Nun, äh, tja ... nein. Erst brachte Strobls CDU 2017 eine Verschärfung des Polizeigesetzes durch, die das baden-württembergische Gesetz zu einem der schärfsten in der Republik, dann trachtete der stets gut pigmentierte Innenminister, ohne eine Evaluation abzuwarten, gleich auf eine Verschärfung der Verschärfung (Kontext berichtete). Hans-Ulrich Sckerl, parlamentarischer Geschäftsführer der Grünen im Landtag, kündigte im Juli dieses Jahres Widerstand dagegen an, der Landesdatenschutzbeauftragte Stefan Brink sprang ihm bei und nannte Strobls Ansinnen "eine Breitseite, die auf unsere Bürgerrechte abgefeuert wird".

Zweifel an der Standhaftigkeit der Grünen hatten schon am 13. Juli 2019 etwa 1000 Menschen, die vor der Landesgeschäftsstelle der Partei in der Stuttgarter Königstraße demonstrierten. Zwei Grüne wollen dabei von Aktivisten geschubst worden sein und dies nun strafrechtlich verfolgt wissen, wie Kontext in der vergangenen Ausgabe berichtete. An der gleichen Stelle protestierten nun am Samstag, dem 14. Dezember, erneut mehrere Hundert Menschen – geschubst wurde aber diesmal offenbar niemand. Ganz ohne Schubsen umgefallen, pardon, den Weg eines realpolitischen Kompromisses gegangen, waren die Landes-Grünen schon zwei Tage davor, was auch der Grund für die neuerliche Demo war: Am Donnerstag hatten sie sich mit ihrem Koalitionspartner auf eine weitere Verschärfung des Polizeigesetzes geeinigt. Unter anderem soll jetzt der Einsatz von Bodycams auch in Privatwohnungen möglich sein. Was dann vor allem im Umfeld von Demonstrationen und Fußballspielen, siehe VfB gegen KSC, erwartet werden darf – weswegen am vergangenen Samstag auch viele Fußballfans mitdemonstrierten.

Ihre Kritik setzten sie auch in leicht verballhornten – pardon: realpolitisch modifizierten – Grünen-Wahlplakaten um, die rund um die Geschäftsstelle hingen. Überaus kreativ, wie wir finden, weswegen wir eine kleine Auswahl dokumentieren.

Kaktus-Initiative: Lichtspiele mit Strafandrohung

Auf kreativen Protest setzen auch die Stuttgarter IHK-Rebellen der Kaktus-Initiative. Die hatten am 26. November bei einer Kundgebung vor dem IHK-Gebäude nicht nur die Zwangsbeiträge und das Demokratieverständnis ihrer Kammer kritisiert, was sie seit Jahren machen, sondern auch, dass die IHK Region Stuttgart einen eigenen Weinberg besitze und für viel Geld bewirtschafte, und dass in ihrem Präsidium Vertreter von Unternehmen sitzen, die zuletzt zu hohen Strafen verurteilt wurden. Weswegen mehrere kritische Slogans, darunter "Ehrbare Kaufleute oder Rechtsbrecher, Sie haben die Wahl" an die Fassade des IHK-Baus projiziert wurden. Lichtspiele, die nun juristische Folgen nach sich ziehen: Kaktus-Mitglied Peter Schweizer erhielt eine Unterlassungserklärung und bekam 10 000 Euro Strafe angedroht, falls er den Slogan nochmals auf das Gebäude projizieren oder auf Facebook posten sollte.

Am vergangenen Montag zogen die Kaktus-Leute daraufhin, gemeinsam mit der Montagsdemo gegen Stuttgart 21, erneut vors IHK-Gebäude: Schweizer mit zugeklebtem Mund, neben ihm eine Projektion unter anderem von Artikel 5 GG – genau, der mit der Meinungsfreiheit. Allerdings hatten sie dafür diesmal eine kleine Leinwand dabei, um die Fassade unbefleckt zu lassen.

Kampagnen-Endspurt

Seit vier Wochen werben wir bei unseren LeserInnen dafür, uns für einen Rechtsstreit mit einem Mitarbeiter zweier AfD-Abgeordneter finanzielle Rückendeckung zu geben. Mit großem Erfolg. In dieser Ausgabe findet sich ein weiterer Mitstreiter: der bekannte Publizist Stephan Hebel. Er beschäftigt sich unter anderem mit der Kanzlei des Klägers, welche systematisch an den Säulen des Rechtsstaats säge, schreibt er in seinem Text. Mit diesem "winzigen Beitrag" wolle er Kontext unterstützen. Dafür danken wir ihm sehr, wie wir auch all den Leserinnen und Lesern danken, die uns in den letzten Wochen schon mit ihren Spenden unterstützt haben. Und rufen, zumindest in diesem Jahr, ein letztes Mal auf:

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Korrekturhinweis: In einer früheren Version dieses Beitrags war, bezogen auf weitere Verschärfungen im baden-württembergischen Polizeigesetz, behauptet worden: Die "Anforderungen für Personenkontrollen bei Großveranstaltungen sollen deutlich herabgesetzt werden". Das ist nicht zutreffend, sondern vielmehr das Gegenteil. Mit der geplanten Neuerung sollen Kontrollen nur noch bei einem konkreten Verdacht möglich sein. Es handelt sich also gerade nicht um eine Verschärfung. Wir bitten diesen Fehler zu entschuldigen. Auch die wertende Einordnung, die Grünen seien in der Angelegenheit umgekippt, erscheint daher nicht als gerechtfertigt.  


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