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Löcher in der Stadt

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Stuttgart ist mal wieder spitze: Während es andere Großstädte, wenn überhaupt, in der Regel auf gerade mal ein beständig alle Kostenprognosen reißendes Milliardenprojekt bringen (das an Einwohnern drei Mal so große Hamburg mit seiner ach so teuren Elbphilharmonie – schlappe 866 Millionen Ocken – nicht mal auf eines), hat Stuttgart demnächst zwei. Stuttgart 21, klar, kennt jeder, aber nach neuestem Stand trennen das Projekt Opernsanierung nur noch schlappe 40 Millionen von der Milliardenmarke. Aber der Reihe nach.

2013, als der Landesbetrieb Vermögen und Bau ein Gutachten zur Sanierung der Oper in Auftrag gab, rechneten die Planer noch mit einem Kostenrahmen von 18 Millionen Euro. Das stellte sich schnell als völlig unrealistische Annahme heraus: Grundlage waren Zahlen aus dem Jahr 2000, als die schwarz-gelbe Landesregierung beabsichtigte, eine "technische Ertüchtigung" des Opernhauses durchzuführen, die im laufenden Betrieb erfolgen sollte. Das mit dem Gutachten beauftragte Planungsbüro Kunkel Consulting wies frühzeitig darauf hin, dass eine nachhaltige Verbesserung der Oper und ihrer technischen Anlagen mit dieser Summe nicht machbar seien. Im Juli 2014 lag ein 600 Seiten umfassendes Gutachten des Planungsbüros vor, das von veränderten Prämissen und einem Kostenrahmen von nunmehr rund 300 Millionen Euro ausging.

In einer Reaktion auf diese Summe forderte Oberbürgermeister Fritz Kuhn eine "transparente Debatte", der geschäftsführende Intendant der Staatstheater, Marc-Oliver Hendriks, lobte die Expertise im "Deutschlandfunk" als durchaus realistisch. Allerdings gab es schon damals Stimmen, die davon ausgingen, dass auch die nach oben korrigierte Schätzung nicht ausreichen würde. Im August 2016 berichtete die FAZ unter dem Titel "Das nächste Stuttgart 21?", dass "mittlerweile deutlich geworden" sei, dass die Kosten "wahrscheinlich doppelt so hoch liegen dürften", namentlich bei "mehr als 600 Millionen Euro". Im März 2019 berichtete die "Stuttgarter Zeitung", es "kursieren Kostenannahmen zwischen 600 Millionen Euro und einer Milliarde". Der aktuelle Kostenrahmen, der offiziell von bis zu 960 Millionen Euro ausgeht, hängt mit einer im Zuge der Schuldenbremse veränderten Berechnungsmethodik im Landesfinanzministerium zusammen, die Baukostensteigerungen realistischer prognostizieren will. Viel Geld, selbst für eine so renommierte und große Oper. Wir bleiben dran.

Ein super Kongress

Führungspersönlichkeiten aus Medien, Wissenschaft und Politik treffen sich am kommenden Donnerstag in den Stuttgarter Wagenhallen. Winfried Kretschmann lädt zum medienpolitischen Kongress, auf dem ganz wichtige Fragen erörtert werden. Zum Beispiel wie Informationen richtig eingeordnet werden, in Zeiten von Fake News und Hetze im Netz. Das geht natürlich nur mittels unabhängiger und kritischer Medien, meint der Ministerpräsident. Und deshalb moderieren und diskutieren auch die Chefredakteure von der "Stuttgarter Zeitung", der "Südwestpresse" und der "Schwäbischen Zeitung" in diversen Hallen. Besonders gespannt sein darf man auf Valdo Lehari jr., der sich als Präsident der südwestdeutschen Zeitungsverleger und Eigner des "Reutlinger Generalanzeigers" bestimmt zum Qualitätsjournalismus äußern wird. Zusammen mit 20 Bürgerinnen und Bürgern, die eine Karte ergattert haben, freut sich Kontext jetzt schon auf die laut Staatsministerium "exklusive Veranstaltung".

Goggo Gensch bei Kontext

Wenn jemand Kontext zur "unentbehrlichen Wochenlektüre" erklärt, freuen wir uns natürlich. Der SWR-Kollege Goggo Gensch ist so einer. Insofern hatten wir auch nichts dagegen, dass er mit Kamerafrau und Tonmann in der Redaktion anrückte, um uns über die Schulter zu schauen, bei der kleinen Planungskonferenz zu filmen und mit Chefredakteurin Susanne Stiefel über ihr Stuttgart-Gefühl zu sprechen: über unterirdische Orte wie den Österreichischen Platz, über die Umtriebe der AfD, aber auch und vor allem über das Zeitungsprojekt Kontext, das es seit mehr als acht Jahren gibt. Ohne Verleger und spendenfinanziert, getragen von den Menschen, die wissen, dass eine unabhängige Presse ohne UnterstützerInnen nicht überleben kann.

"Das Stuttgart-Gefühl" – so lautet der Arbeitstitel des 90-minütigen Films, mit dem der weitgereiste Kollege seine ganz persönliche Erkundung der Landeshauptstadt ins Bild setzt. Verwerfungen will er aufzeigen, aber auch Nischen und Projekte wie Kontext, das er für ein "absolut notwendiges Medium in der Verlautbarungsmaschinerie dieser Stadt" hält. Zu seinen Gesprächspartnern gehört die Bäckerin im Heusteigviertel ebenso wie der Stadtflaneur Joe Bauer, der Rahmenvergolder Horst Gaiser wie der Kriminalschriftsteller Wolfgang Schorlau. Der Film wird voraussichtlich beim nächsten SWR-Doku-Festival im Juni 2020 gezeigt, das Gensch 2017 mitgegründet hat. Ein Ausstrahlungstermin im Südwestfernsehen steht noch nicht fest. Mit diesem Film verabschiedet sich der 65-Jährige von seinem Sender in den Ruhestand.


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2 Kommentare verfügbar

  • Peter Meisel
    am 06.11.2019
    Antworten
    Toll, mir gefällt der Vergleich S21 und Oper!

    S21 entstandt aus spekulativer Gier für 80 ha Bau Erwartungsland freiwerdendes Gleisgelände. Ein verheirateter aber verliebter Günter Oettinger unterschreibt das Projekt mit 4.526 Mrd. Euro. Das wurde in dem Blatt für 10 Pfennig BILD Dung am 8.1.2009…
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