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Oettinger – Tönnies 1:1

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Wer kennt das nicht? Man ist arbeitslos, steht so rum, wird kriminell und – zack – hat man Aids. Eine verhängnisvolle Kausalkette, deren Offenlegung wir einem berühmten Schwaben zu verdanken haben: dem ehemaligen Ministerpräsidenten, jetzigen EU-Kommissar und baldigen Wirtschafts- und Politik-Berater Günther Oettinger. Jener war im August 2007 mit einer baden-württembergischen Wirtschaftsdelegation in Südafrika und besuchte dabei unter anderem die deutsche internationale Schule in Johannesburg. Dort führte er, wie Renate Allgöwer am 30. August 2007 in der "Stuttgarter Zeitung"  schreibt, "dem verblüfften Publikum die Konsequenzen mangelnder Bildung vor Augen" – und zwar in einem Satz, der in leichten Variationen überliefert ist: "Man steht rum, kommt auf dumme Gedanken, wird kriminell und läuft Gefahr, sich mit Aids zu infizieren", transkribiert Allgöwer, während andernorts meist eine leichte Abwandlung zu lesen ist: "Der junge Arbeitslose steht dann rum, kommt auf dumme Gedanken, wird kriminell oder kriegt Aids."

Sei’s drum, die Essenz des Satzes ist die selbe. Und Oettingers Botschaft von 2007 kann sich auf der Rassismus-Skala durchaus mit der von Clemens Tönnies messen, die jüngst für wesentlich mehr Wirbel sorgte: Der Aufsichtsratschef von Schalke 04 hatte beim Tag des Handwerks in Paderborn zum Besten gegeben, statt Steuererhöhungen im Kampf gegen den Klimawandel zu fordern, solle man lieber Kraftwerke in Afrika finanzieren. Denn "dann würden die Afrikaner aufhören, Bäume zu fällen, und sie hören auf, wenn's dunkel ist, Kinder zu produzieren". Darauf folgte ein angemessener Shitstorm, und Tönnies pflichtschuldige Entschuldigung ("Ich bin über mich selbst bestürzt, dass mir so etwas passieren konnte") offenbart, dass rassistisches Denken bei vielen noch tief verwurzelt ist, dass es einem halt mal so rausrutscht. Und die Wurzeln liegen natürlich tiefer und weiter zurück als jener Satz von Gloria von Thurn und Taxis, in dessen Geist sich Tönnies wie Oettinger bewegen: In Afrika, sagte die heute bei besorgten Bürgern beliebte Gräfin 2001 in einer Talkshow, "da sterben die Leute an Aids, weil sie zu viel schnackseln. Der Schwarze schnackselt gerne."

So platt kommt Rassismus freilich nicht immer daher. Wenn aber ein aus Eritrea oder ein aus Jordanien stammender Migrant ein furchtbares Verbrechen begeht, wird sogleich die Herkunft zum erklärenden Faktor, da kann dann ein bayerischer Innenminister vom erhöhten Gewaltrisiko durch Migranten schwadronieren und ein Tübinger Oberbürgermeister darüber, dass der Schwertmörder vom Fasanenhof kein Schwabe gewesen sein könne. Es ist halt so, der Migrant als solcher ist kulturell schlicht überfordert, und warum er sich in einer Zivilisation wie der unseren so schwer zurechtfindet, erklärt unserer Wetterer Peter Grohmann endgültig in unserer aktuellen Ausgabe.

Und wenn wir schon bei Grohmann sind: Unser Kolumnist hat, und nun müssen Sie stark sein, ab der nächsten Ausgabe erstmal zwei Wochen Urlaubspause – heißt für die Kontext-Leserschaft: erstmal kein Wettern. Die Auszeit sei dem nimmermüden Initiator und Koordinator des Bürgerprojekts Anstifter auch mal gegönnt. Immerhin, kurz vorm Urlaub haben die Anstifter bekannt gegeben, wer den von ihnen gestifteten Friedenspreis 2019 erhält: Im zweiten Wahlgang gingen die meisten Stimmen an die Initiative Sea-Watch. Wir gratulieren! Der Preis wird am 15. Dezember im Stuttgarter Theaterhaus verliehen.

Beharrlich engagiert haben sich die Anstifter auch gegen die verschleppte Aufarbeitung des SS-Massakers im italienischen Sant’Anna di Stazzema: Es ist die Geschichte einer veritablen Justizschande, über die Kontext vielfach berichtete. Am kommenden Montag jährt sich das Massaker zum 75. Mal, und bei der Gedenkveranstaltung sind auch die Anstifter mit dabei: Auf ihre Bemühungen hin findet dort seit dem 5. August zum dritten Mal seit 2017 ein deutsch-italienisches Friedenscamp statt. Und wir fragen lieber nicht, was Günther Oettinger dazu sagen würde. Kürzlich erst hatte er sich mal wieder mit überheblichem Italien-Bashing – eine seiner Parade-Disziplinen! – hervorgetan: Im Süden des Stiefels würden viele EU-Fördergelder nicht abgerufen, denn "südlich von Rom sind die Beamten entweder nicht da oder nicht arbeitswillig." Darauf einen Bardolino. Und eine Pizza aus Weilimdorf.


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