KONTEXT:Wochenzeitung
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Ist das anstrengend!

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Ächz. Das Redaktionspostfach quillt über, drei Texte müssen noch redigiert werden, der eigene kommt nicht voran, und ein richtiger Knaller ist trotzdem nicht dabei. Aber hey, was ist das? Schnell-Scan: Pressemitteilung von Lungenfachärzten, Grenzwerte für Stickoxide viel zu hoch, alles nicht belegt, Studien-Unfug? Holla, starker Tobak. Aber ist das auch plausibel? Wie soll man das auf die Schnelle checken? Egal, das Thema ist gerade heiß, alle reden über Fahrverbote und man muss sich diese Meldung ja nicht zu eigen machen, aber gut geschrieben ist sie schon, zitieren wir einfach nur diesen Dr. Köhler und seine Mitstreiter, sind ja Lungenfachärzte, die werden schon nicht kompletten Quark verbreiten. Und für den Fall dass doch: war ja alles nur Zitat und indirekte Rede. Dass da ein paar Leute warnen, das wird man doch verbreiten dürfen, nein, müssen!, ist doch eine Nachricht, das interessiert die Leute ...

Nun wissen wir nicht, liebe Leserinnen und Leser, ob es im Kopf eines Redakteurs oder einer Redakteurin wirklich so zu ging. Aber Tatsache ist, dass der ominöse Brief der gut 100 Lungenfachärzte eifrig die Runde machte und <link https: www.kontextwochenzeitung.de debatte diesel-demo-5692.html external-link-new-window>Anti-Fahrverbotsdemonstranten wie auch dem rührig-unbedarften Bundesverkehrsminister Scheuer sogleich als Argumentationsstütze diente, ehe mit einiger Verspätung andere Wissenschaftler die Sache etwas einordneten. Es ist, mal wieder, ein Beispiel für "aufgeregten Stichflammen-Journalismus", <link https: www.kontextwochenzeitung.de editorial feierlaune-228.html external-link-new-window>den der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen schon vor einigen Jahren in Kontext kritisierte. Das Hochjazzen stickoxidfreundlicher Demonstranten und Wissenschaftler "fällt unter Dummheit und Pressefreiheit", <link https: www.kontextwochenzeitung.de kolumne das-stickoxid-luegenpack-5686.html external-link-new-window>formuliert aktuell unser Wetterer Peter Grohmann einen Hauch zugespitzter.

Aber klar, das kritische Hinterfragen, Einordnen, Überprüfen, das Zulassen eines zweiten Gedankens braucht Zeit, die knapp bemessen ist, wenn tagesaktuelle Medien unter Aktualitätsdruck stehen. Und es ist anstrengend. Oder wie es der Journalist Wolf Schneider formulierte: Qualität kommt von Qual. Das heißt nicht, dass man immer erst ein Jahr lang recherchieren muss, wie dies Arno Luik getan hat, ehe er nach seinem ersten Interesse für das Thema Stuttgart 21 seinen ersten Artikel darüber veröffentlichte. Aber sich nicht allein damit zufrieden zu geben, schön geschriebene Pressemitteilungen allenfalls leicht paraphrasiert weiterzuverbreiten und sich damit den Aufwand einer eigenen Recherche zu sparen – das sollte eigentlich eine journalistische Selbstverständlichkeit sein. Wenn aber immer weniger RedakteurInnen das gleiche Pensum an Arbeit leisten sollen, werden aufwendige Recherchen zunehmend zur Mangelware, in einem Mediensektor, der sich zunehmend totrationalisiert, pardon, verschlankt.

<link https: www.kontextwochenzeitung.de gesellschaft s21-modemo-450-arno-luik-5681.html external-link-new-window>Arno Luik betont im Interview in unserer Ausgabe aber auch, dass es nicht nur am Unwillen, angestrengt zu recherchieren, lag, dass sich so viele Medien im Falle von S 21 als Verlautbarungsorgane gerierten. Da waren außerdem viel Eitelkeit und Stolz im Spiel, der Wunsch, bei etwas ganz Großem dabei zu sein, als Teil davon. Und dann kam noch dazu, dass die Bahn, so Luik, "zwar in fast allem abgrundtief schlecht" ist, "aber in einem relativ gut: in ihrer Propaganda". Und die zu hinterfragen, sich durch Aktenberge zu wühlen und nach Widersprüchen zu suchen – zu aufwendig, zu zeitraubend, zu anstrengend.

Mehr "Medien des zweiten Gedankens" wünschte sich Medien-Professor Pörksen seinerzeit. Wir bemühen uns, dem gerecht zu werden. Auch wenn es anstrengend ist.


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2 Kommentare verfügbar

  • era rasch
    am 04.02.2019
    Antworten
    Es scheint ganz einfach zu sein. Unaufgeregt, aufmerksam, und die vergangenen Finten, Winkelzüge und Kampagnen nicht vergessen.
    Tja, und auch wenn wenn man die journalistischen Standards "einhält" kann trotzdem Stichflammenjournalismus dabei herauskommen. man weiß halt nicht, was die anderen…
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