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Sorry, bin mit der Bahn gekommen

Sorry, bin mit der Bahn gekommen
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"Pünktlich wie die Eisenbahn" – so sagte man früher, wenn die vereinbarte Zeit exakt eingehalten wurde. Heute entschuldigt man sich mit dem Hinweis: "Sorry, bin mit der Bahn gekommen". Für die immer wiederkehrende Verspätung. Und alle zeigen Verständnis.

Das ist so eine Achselzucken-Redensart, die uns allen vertraut ist, die wir meist hinnehmen, als wäre der verspätete oder ausgefallene Zug ein Naturgesetz wie Regen, Schnee und Hagelschlag. Nach dem Motto: Ist halt so, weil die Straße immer wichtiger war. Egal, wie der Bahnchef oder der zuständige Minister hieß. Egal, ob der ADAC, die CDU oder die SPD freie Fahrt für den freien Bürger forderte.

Winfried Hermann hat jetzt offenbar die Faxen dicke. In seinem Brief an den Aufsichtsratsvorsitzenden der Deutschen Bahn, Michael Odenwald, listet er auf acht Seiten auf, was sich über die Jahre hinweg bei ihm angestaut hat: Frust, Empörung, Wut, Verzweiflung über den Schienenkonzern. Nur Verständnis hat er nicht mehr, der baden-württembergische Verkehrsminister.

Richtig deutlich wird das im Interview mit Kontext. Hier erzählt der Grüne, so drastisch wie selten, wie das so läuft bei der Bahn, oder besser: nicht läuft. Erst fehlt das Personal, dann funktionieren die Wagen oder die Lokomotive nicht. Sind diese Probleme fürs Erste gelöst, klemmt eine Weiche, und wieder fährt kein Zug. Oder die Bahn kauft Wagen, die ständig repariert werden müssten, aber es gibt keine Werkstätten mehr. Nur noch eine "Mega-Werkstatt" in Ulm, die nicht funktioniert hat, vom ehemaligen DB-Chef Rüdiger Grube aber als modernste in Europa gepriesen wurde. Immerhin entstanden so hübsche Wortkreationen wie jene von den "Langstehern", die wochenlang auf ihre Wiederflottmachung warteten.

Wenn es nicht so bitter wäre, ließe sich die Bahn als wunderbares Material für Satiresendungen verwenden: Eine Ansammlung von Dilettanten führt ein Milliardenunternehmen, das seine Fahrgäste als Beförderungsfälle betrachtet, und im Zweifel auf den Bahnsteigen stehen lässt, wenn der "Langsteher" noch länger steht. Aber Mobilität, gerade im Zeichen des Klimawandels, ist kein Stoff für Lustigkeit. Und Verständnis für das scheinbar Unabänderliche hilft auch nicht weiter. Ist es so schwer zu kapieren, dass es gut ist für Mensch und Umwelt, wenn der Zug fährt?


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5 Kommentare verfügbar

  • Rainer Bohnet
    am 08.01.2019
    Antworten
    Auf Einladung der ver.di-Senioren*innen habe ich am 03.01.2019 in Bonn über 25 Jahre Bahnreform gesprochen. Dabei habe ich folgende Fakten von Winfried Wolf aus der Zeitung "Freitag" zitiert:

    Seit 1994 schrumpfte das deutsche Eisenbahnnetz von 40.300 km auf 33.488 km. Die Anzahl der Weichen fiel…
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