Getäuscht fühlen muss sich bei Stuttgart 21 jedoch vor allem die Öffentlichkeit, mit den Bürgern mithin die eigentlichen Finanziers des Projekts. Trotz monatelanger Schlichtung, teurer Turmforum-Ausstellung, aufwendigen Hochglanzbroschüren und fleißiger Pressearbeit durch das Kommunikationsbüro. Den berühmten "Kostendeckel" hatten Bahnmanager, Projektsprecher Dietrich wie befürwortende Politiker vom Schlage Schmiedel noch im Mund, als längst der Bundesrechnungshof – eine staatliche Prüfbehörde, kein projektkritisches Gutachterbüro wohlgemerkt – von Milliardensteigerungen ausging. Dank "Kostendeckel" verstrich eine Projektkündigungsfrist, mit seiner Hilfe wurde die Volksabstimmung überstanden. Diejenigen, die mit derartigen Versprechen und Versprechungen Entscheidungen in Parlamenten herbeiführten und öffentliche Meinungen beeinflussten, wurden bislang jedoch noch nie vor Gericht gezerrt.
Wie es das Kommunikationsbüro von Stuttgart 21 bis heute mit sachgerechter Information, nicht nur der Presse, hält, zeigte sich zuletzt auf den Fildern. Dort, wo Stuttgart 21 noch nicht einmal genehmigt ist, tingelten Projektsprecher Dietrich und seine Truppe jüngst mit niederschetternder Resonanz durch Gemeinde- und Bezirksbeiräte. Die Informationstour zum laufenden Planfeststellungsverfahren veranlasste selbst eingefleischte Projektbefürworter wie die ehemalige FDP-Bundestagsabgeordnete Judith Skudelny sowie die kommissarische CDU-Vorsitzende in Leinfelden-Echterdingen, Ilona Koch, zu bissiger Kritik. "Die aggressive Art der Diskussion durch einige der Beteiligten halten wir nicht für zielführend. Vielleicht sollten diejenigen, die für das Projekt in der Öffentlichkeit stehen, eine Weiterbildung und Supervision erhalten", regten die beiden <link http: www.stuttgarter-zeitung.de inhalt.stuttgart-21-beschwerde-bei-bahn-chef-ruediger-grube.cc18ae4b-011a-4a38-a68e-e41b33cfb2e0.html _blank>laut "Stuttgarter Zeitung" in einem Beschwerdebriefen an Bahnchef Rüdiger Grube an.
Letztlich produziert die Unterlassungsklage vor dem Stuttgarter Landgericht nur Verlierer. Einen klagenden Projektsprecher, der nur im stillen Kämmerlein auf den Erfolg anstoßen kann. Eine beklagte Zeitung, die sich nur durch die Berichterstattung der Kontext:Wochenzeitung dazu durchringen kann, ihre Leser dürftig über den Prozess zu unterrichten. Eine Deutsche Presse-Agentur, die es nicht für nötig hält, den Vorgang durch eine Meldung einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Projektbefürwortende Lokalpolitiker im Stuttgarter Gemeinderat, die sich weniger um die Freiheit der Presse sorgen und lieber die mit auf der Anklagebank sitzenden StZ-Journalisten verspotten.
Um Missverständnissen vorzubeugen: Juristisch gesehen hat Projektsprecher Wolfgang Dietrich uneingeschränkt das Recht, gegen ein Presseorgan gerichtlich vorzugehen, wenn es falsche Tatsachen veröffentlicht. Moralisch zählt er jedoch zu den Letzten, denen ein solcher Schritt zu empfehlen ist. Denn viel zu schnell, erst recht im konkreten Fall, kommt dabei der Verdacht auf, dass es um etwas ganz anderes geht. Zwar auch um die Wahrheit. Aber vor allem darum, kritische Journalisten daran zu hindern, diese weiter zu verbreiten.
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doctorwho
am 14.11.2013