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Krise, Knatsch und Kontroversen

Die Linken und Die Linke

Krise, Knatsch und Kontroversen: Die Linken und Die Linke
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Bei den vielen Problemen, die der Kapitalismus verschärft, wäre eine kritische Partei im Bundestag extrem wichtig. Doch Die Linke steckt in einer tiefen Krise. Unser Autor rät der Partei, sich wieder auf die Rolle einer radikalen Opposition zu besinnen.

Eine Linke, die konsequent die neoliberale Unordnung bekämpft, die ohne Wenn und Aber für Abrüstung und Frieden eintritt und die den Kapitalismus nicht als das Ende der Welt, wohl aber als Ursache für das absehbare Ende akzeptabler Lebensbedingungen auf dem Planeten erkennt, ist heute notwendiger denn je. Denn die innere Logik des bestehenden Wirtschaftssystems führt erkennbar in zerstörerische Krisen, zu weltweitem Hunger, in einen neuen großen Krieg und in die Klimakatastrophe. Umso tragischer ist der Niedergang der Partei die Linke. Und umso größer sind die Herausforderungen auf dem Parteitag am letzten Juni-Wochenende.

Winfried Wolf war von 1994 bis 2002 PDS-Bundestagsabgeordneter. Er war an dem im Artikel erwähnten Protest gegen Bushs Rede im Bundestag am 23.5.2002 beteiligt. Seine Wahlplakate, auf denen die Aktion gezeigt wurde, musste er privat bezahlen.

Dabei ist die Krise dieser Partei Teil einer umfassenden Krise der europaweiten Linken, die sich durch drei Ereignisse vertieft hat. Erstens durch den Zusammenbruch der Sowjetunion und der übrigen nicht-kapitalistischen Staaten, die fälschlich als sozialistische bezeichnet wurden. Das trug zur Zersetzung der großen sozialistischen und kommunistischen Parteien in Italien, Frankreich und Spanien bei. Zweitens durch die Covid-19-Pandemie, deren Geschehnisse sich ein Teil der Linken mit grotesken Verschwörungstheorien zu erklären versuchte. Drittens durch den Angriffskrieg in der Ukraine, bei dem sich einige Linke noch in einem pro-russischen Lager bewegen, andere Waffenlieferungen an die Ukraine befürworten.

Dass es diese europaweite Krise der Linken gibt, mag die Krise der Partei Die Linke in Teilen erklären. Dies entschuldigt jedoch nicht ihren Selbstzerstörungsprozess.

Eine linke Partei im Bundestag

In Deutschland gab es im Zeitraum 1863 bis 1933 eine große, sozialistisch ausgerichtete Arbeiterbewegung. Diese wurde durch den Faschismus zerschlagen. Nach dem Zweiten Weltkrieg verstärkten die deutsche Teilung und der undemokratische Charakter der DDR den Niedergang einer authentischen Linken. Dennoch war es der bürgerlichen Klasse nach 1945 ein Herzensanliegen, organisierte linke Kräfte in Westdeutschland im Keim zu ersticken, sei es durch das KPD-Verbot 1956, sei es durch die Berufsverbote 1973, sei es durch die Fünf-Prozent-Hürde.

Der große Aufbruch der 1968er-Bewegung mündete nicht in einer parlamentarische Präsenz, sondern in maoistisch-stalinistischer Sektiererei und den fatalen Irrweg der RAF. Vor diesem Hintergrund kommt der Tatsache, dass sich nach 1990 die PDS beziehungsweise Die Linke gesamtdeutsch etablieren und immer wieder aufs Neue in den Bundestag einziehen konnte, eine enorme Bedeutung zu. Bei allen Schwächen und Schwankungen, die diese Partei kennzeichnen, blieb sie doch in der Regel eine wichtige Stimme gegen soziale Ungleichheit, gegen Rüstung und Krieg und manchmal sogar für eine neue, solidarische Gesellschaft. Es ist weiterhin von erheblicher Bedeutung, dass es hierzulande in so gut wie allen Städten organisierte Strukturen dieser Partei gibt. Diese Strukturen mit ein paar Tausend fleißigen und ehrlich engagierten Menschen vor Ort sind ein Schatz. Zumal es vielerorts Kooperationen mit anderen linken Szenen gibt, so in den Bereichen Soziales, Antifaschismus und Ökologie.

Krise der Partei Die Linke

Zur Begeisterung der Herrschenden durchlebt Die Linke aktuell eine existenzielle Mehrfachkrise. Es gibt erkennbar eine organisatorische Krise, latent eine Finanzkrise und das Schaulaufen eitler Führungsleute, die ihre mediale Präsenz polieren. Natürlich spielen bei dieser Krise die diversen Milieus der Partei eine Rolle – nicht zuletzt die Unterschiede, die es weiterhin zwischen Ost und West gibt. Doch letzten Endes geht es um einen profanen Prozess mit einem klassischen Treiber. Der Prozess: Anpassung an das bestehende System. Der Treiber: Der Wunsch des Mitregierens, was unter den gegebenen Bedingungen heißt: Inkaufnahme des Verrats der eigenen Programmatik. Beides mündet in programmatische Beliebigkeit und wachsende Unglaubwürdigkeit.

Eine alte Losung dieser Partei lautete "Veränderung beginnt mit Opposition". Die Partei PDS beziehungsweise Die Linke verstanden sich lange Zeit als grundsätzliche Opposition zur bestehenden kapitalistischen Gesellschaftsordnung. Indem sie seit 1990 – mit Ausnahme einer Legislaturperiode – durchgängig im Bundestag vertreten war, befand sie sich in einer fast idealen Position: Sie konnte sich programmatisch als eine systemkritische Alternative positionieren und gleichzeitig im Bundestag und in einer zunehmenden Zahl von Landesparlamenten kompetent parlamentarische Kleinarbeit betreiben.

Dass die Partei immer in der Gefahr war sich anzupassen und ihren Grundcharakter zu verändern, liegt nahe – es handelt sich dabei schließlich um einen Prozess, wie man ihn weltweit seit mehr als 100 Jahren dutzendfach beobachten kann, nicht zuletzt am Beispiel der deutschen Sozialdemokratie ab 1914. Wobei die PDS respektive die Linke das Glück hatte, dass der Kapitalismus in der gesamten Zeit ihrer Existenz eine Krise nach der anderen erlebte, was diesen "natürlichen" Anpassungsprozess immer wieder ausbremste. Als die PDS-Führung um Gregor Gysi und Dietmar Bartsch ein Ja zu UN-Kampfeinsätzen und eine Aufweichung der Nato-Kritik durchsetzen wollte, gab es 1999 und 2001 die Kriege in Jugoslawien und Afghanistan. Als diese Führung ein Mitregieren als Juniorpartner der SPD propagierte, machte dem die offen neoliberale Agenda-2010-Politik von Rot-Grün beziehungsweise danach die SPD-Politik in drei Großen Koalitionen fette Striche durch die Rechnung. Und wenn Die Linke immer wieder unterstellte, soziale Themen hätten Vorrang vor ökologischen, so erzwangen die Atomkatastrophe von Fukushima und die Fridays-for-Future-Bewegung Kurskorrekturen.

Die aktuelle Krise ist ein Déjà-vu

Bei der jüngsten Bundestagswahl verlor Die Linke 4,3 Prozentpunkte und landete bei 4,9 Prozent. Ihren Fraktionsstatus konnte sie nur durch die Eroberung von drei Direktmandaten verteidigen. Vergleichbares passierte bei der Bundestagswahl im September 2002. Damals verlor die PDS 1,1 Prozentpunkte und landete bei 4 Prozent. Da sie damals nur zwei Direktmandate erringen konnte, war sie dann drei Jahre lang nur mit zwei – tapferen! – Abgeordneten im Bundestag vertreten. Diese fatale Wiederkehr in der Parteientwicklung wird seitens der Führung von Die Linke ausgeblendet – offensichtlich, weil man daraus nicht die notwendigen Lehren ziehen will. Denn die Gründe für die Wahlniederlage 2002 sind im Wesentlichen dieselben wie für den aktuellen Niedergang der Partei.

Vor zehn Jahren gab es drei große Faktoren für das schlechte Abschneiden bei der Bundestagswahl: Erstens weil die Partei im Oktober 2001 in Berlin in eine Koalitionsregierung mit der SPD eintrat und in der Folge für den damaligen Berliner Bankenskandal mitverantwortlich gemacht wurde; die wichtigste Entscheidung – die Übernahme des Risikos von 21,6 Milliarden Euro aus Immobiliengeschäften dieser Bank durch die SPD-PDS-Mehrheit – fiel im April 2002. Zweitens weil führende PDS-Politiker in den sogenannten Bonusmeilen-Skandal verwickelt waren: Es gab Erste-Klasse-Lufthansa-Freiflüge auf Basis von Rabatten, die mit dienstlichen Flügen "erworben" worden waren. Gregor Gysi, der selbst derart abgehoben unterwegs war, musste aufgrund dieses Skandals drei Monate vor der Bundestagswahl als Berliner Wirtschaftssenator seinen Rücktritt erklären. Und drittens weil die Partei über Jahre hinweg ihre Antikriegsposition aufweichte.

Letzteres wurde nicht zuletzt bei der Rede des US-Präsidenten George Bush im Bundestag am 23. Mai 2002 deutlich, in der dieser die Erweiterung der Nato in Richtung der russischen Grenze proklamierte (was von hohem Interesse für den aktuellen Ukraine-Krieg sein sollte). Als drei PDS-Abgeordnete, darunter Ulla Jelpke, während dieser Kriegsrede im Plenarsaal eine Protestaktion durchführten, wurden sie von der eigenen Fraktion bloßgestellt; der damalige PDS-Fraktionsvorsitzende Roland Claus entschuldigte sich beim US-Präsidenten explizit für die Antikriegs-Aktion seiner MdB-Kolleg:innen.

Heute gibt es eine vergleichbare Situation. Die Linke ist in vier Bundesländern Teil von Landesregierungen; in Thüringen stellt sie sogar den Ministerpräsidenten. Es ist dabei kaum auszumachen, dass sie als Regierungspartei in diesen Ländern eine andere Politik als CDU/CSU, SPD oder Grüne betreiben würde. Man verwaltet gemeinsam die kapitalistische Misere, verteidigt die Schuldenbremse und organisiert die Abschiebung von Geflüchteten. Im Vorfeld der Bundestagswahl 2021 erklärte das Führungspersonal von Die Linke seine Bereitschaft, gemeinsam mit SPD und Grünen eine Bundesregierung bilden zu wollen – ohne erkennbare Vorbedingungen. Damit war insbesondere klar, dass Die Linke als potentielle Regierungspartei Bundeswehreinsätze im Ausland mittragen und schon gar keinen Austritt aus der Nato fordern würde. Genau diese erneute Aufweichung der strikten Antikriegsposition erleben wir seit Beginn des russischen Ukrainekriegs. Gysi und Bartsch unterstützen in diesen Tagen offen die weitere Nato-Osterweiterung um Finnland und Schweden und überholen dabei Papst Franziskus rechts.

Wie wurden bei den Bundestagswahlen 2005 die 8,7 und 2009 die 10,7 Prozent PDS- bzw. Die-Linke-Stimmen erreicht und damit die Parteikrise überwunden? Oberflächlich gesehen sind diese aus heutiger Sicht geradezu sensationellen Wahlerfolge dem Zusammenschluss von WASG und PDS zur Partei Die Linke geschuldet. Dabei wird die damit verbundene programmatische Linksverschiebung übersehen: Bereits im Wahlprogramm 2009 wurde erneut eine konsequente Antikriegsposition formuliert mit Forderungen wie "radikale Abrüstung", Ablehnung "jeder Erweiterung der NATO" und "keine Auslandseinsätze der Bundeswehr". Das 2013er-Wahlprogramm enthielt dann – auch als Resultat von Fukushima – erste respektable ökologische Forderungen.

Sicher ist: Nur mit einem vergleichbaren grundsätzlichen Neuanfang kann die aktuelle Parteikrise bewältigt und der Versumpfung im Parlamentarismus ein Ende bereitet werden. Unmöglich? Baron Münchhausen hat es geschafft, sich an den eigenen Haaren aus dem Sumpf zu ziehen. Um nichts weniger geht es. Man sei realistisch und versuche das Unmögliche. Die Hoffnung stirbt jedenfalls zuletzt.


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