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Opernsanierung in Stuttgart

Hochpreiskultur

Opernsanierung in Stuttgart: Hochpreiskultur
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Eine Milliarde Euro soll die Sanierung der Stuttgarter Oper kosten. Doch dabei ist noch längst nicht alles mitgerechnet. Die Interimsspielstätte wird teurer – damit dies nicht so auffällt, hat die Stadt die Gesamtsumme in mehrere Posten gesplittet.

"Interimsoper wird teurer und später fertig", titelte die "Stuttgarter Zeitung" am 3. Mai. Die Coronakrise und der Ukraine-Krieg seien dafür verantwortlich, dass die Ausweichspielstätte der Stuttgarter Oper für die Zeit der Sanierung ein Jahr später als geplant fertig werde. Martin Körner, SPD-Fraktionschef im Stuttgarter Gemeinderat, rechnet mit 260 Millionen Euro Kosten, statt der bisher kalkulierten 224 Millionen Euro.

224 Millionen? Moment. War nicht der Standort des Interims vom Paketpostamt an die Wagenhalle verlegt worden, weil im ersten Fall, ursprünglich mit 55 Millionen veranschlagt, ein Jahr später plötzlich  mit Kosten von 116 Millionen gerechnet wurde – während eine Spielstätte an der Wagenhalle für 89 Millionen zu haben sei? Zwar war auch diese Zahl nicht lange haltbar, doch zumindest sollten es weniger als die 116 Millionen am alternativen Standort werden. Und nun fast das Doppelte? In der Gemeinderatsvorlage zum Grundsatzbeschluss vom vergangenen Juli ist die Zahl nicht zu finden.

Peter Holzer, der Leiter des Stuttgarter Hochbauamts, klärt auf: Die Interimsspielstätte ist Teil des Areals am Inneren Nordbahnhof, als "Quartier C1 Wagenhallen" zugleich ein Projekt der Internationalen Bauausstellung 2027 (IBA’27). Auf engem Raum soll hier vieles Platz finden: Wohnbauten, Urban Gardening (der Stadtacker), die "Sozialpioniere", also die Künstler:innen vom Bauzug und vom Verein Contain’t; ein gemischter Bereich für Wohnen und Arbeiten, die "Maker City"; und, für vielleicht zehn Jahre, die Opernspielstätte.

Zwei Teile bleiben, einer kann wieder weg

Um dieses Kunststück fertigzubringen, hat das Hochbauamt die Pläne so weiterentwickelt, dass ein Teil der Gebäude nach oder sogar schon während der Interims-Nutzung für andere Zwecke zur Verfügung steht. Dazu wurde der Komplex in drei Gebäude unterteilt, von denen zwei dauerhaft stehen bleiben, während nur der dritte, die eigentliche Spielstätte, wieder abgebaut werden soll. Sie soll zerlegbar sein, ein etwaiger Wiederverkaufswert ist jedoch in der aktuellen Berechnung nicht berücksichtigt.

Die beiden anderen Bauten enthalten Lager, Garderoben, Werkstätten, Chorprobenräume, einen Ballettsaal und mehr. Oben drauf soll es von Anfang an Wohnungen geben, auf zwei bis drei Stockwerken: 7500 Quadratmeter insgesamt, 30 Prozent der Fläche. Das wären 100 Wohnungen à 75 Quadratmeter, abzüglich der Treppenhäuser und Flure. Es sollen aber keine Standardwohnungen werden, vielmehr alles, was zur IBA passt: Clusterwohnungen, Jokerzimmer, Gästeappartements, Gemeinschaftsräume und eine Pflege-WG.

Die Kosten für die verschiedenen Bauteile hat das Hochbauamt nun getrennt beziffert: Die eigentliche Spielstätte, die nach der Interimsnutzung wieder abgebaut werden muss (genannt WST = Württembergische Staatstheater) soll 82 Millionen Euro kosten, Baupreissteigerungen eingerechnet 114 Millionen; die anderen Bauteile (genannt WST/ Maker City) 81, mit Baupreissteigerungen 110, zusammen also 224 Millionen.

Dies sei doch auch im Sinne der IBA eine vorbildliche Lösung, meint Holzer. Ein direkter Kostenvergleich sei indes nicht möglich, das sei "wie Äpfel und Birnen vergleichen". Wolle man die wahren Kosten berechnen, konzediert er, müsse man einkalkulieren, dass 70 Prozent der WST/ Maker City-Bauten für voraussichtlich zehn Jahre durch die Oper belegt sind.

Wenn 7.500 Quadratmeter 30 Prozent sind, entsprechen 70 Prozent einer Fläche von 17.500 Quadratmeter. Wie auch immer man die Miete ansetzt: Würde man diese Flächen auf zehn Jahre, also 120 Monate vermieten, käme auf jeden Fall ein zweistelliger Millionenbetrag zustande. Nun ist aber schon der WST-Teil mit 114 Millionen veranschlagt, also so viel, wie vor drei Jahren noch das gesamte Interim kosten sollte. Die wahren Kosten sind also höher und liegen auch deutlich über dem, was am Paketpostamt veranschlagt war.

Was ist nachhaltiger? Kommt drauf an

Holzer argumentiert mit der Nachhaltigkeit: Das Bahnpostamt müsste abgerissen werden, hier könnten die Bauten weiter genutzt werden. Allerdings lässt sich diese Argumentation auch umdrehen: Auch das Paketpostamt könnte stehen bleiben. Zumal der Paketdienst DHL der Deutschen Post, der die untere Etage nutzt, keinen Ausweichstandort findet und die Post daher den Bau nicht verkaufen will. Die vorgesehene Parkerweiterung könnte ebenso gut, wenn nicht besser, an anderer Stelle erfolgen. Und der viele Beton der einstmals größten Industriehalle Deutschlands müsste nicht auf der Schutthalde landen.

Mit anderen Worten: Es handelt sich um eine politische Entscheidung. Am Bahnpostamt sind minimal höhere Kosten ein K.-o.-Kriterium, an der Wagenhalle nicht. Das weckt den Verdacht, dass hier auch andere, unausgesprochene Dinge eine Rolle spielen: Neben dem Versprechen der Parkerweiterung vielleicht der Wunsch, den Künstler:innen und Kreativen am Nordbahnhof zu zeigen, dass sie sich hier nicht weiter ausbreiten können wie zuletzt mit dem preisgekrönten Containerdorf.

Bei den von Körner ins Spiel gebrachten 260 Millionen will Holzer nicht mitgehen. Wie man die Kostensteigerung veranschlage, meint er, hänge davon ab, ob man nur das vergangene Jahr oder einen längeren Zeitraum betrachte. Doch auch ohne dies wird die Opernsanierung alles in allem weit mehr als eine Milliarde verschlingen. Neben dem Interim kommt nämlich noch ein "Projektbaustein Zuckerfabrik" hinzu: ein Neubau für die Dekorationswerkstätten auf einer Fläche von 7.500 Quadratmetern. "Eine Grobkostenschätzung liegt für diesen Baustein des Umsetzungskonzepts noch nicht vor", heißt es lapidar im Grundsatzbeschluss des Gemeinderats. Ein zweistelliger Millionenbetrag wird es schon werden.

Noch ein Leuchtturm? "Dringend", so Leuchtturm-Fans

Und die nächsten Großprojekte klopfen schon unüberhörbar an die Tür. Stuttgart brauche "dringend" ein Konzerthaus mit "Leuchtturm-Charakter auf internationalem Niveau", fordert ein Verein, unterstützt von Ex-Ministerpräsident Günther Oettinger, Ex-Daimler-Chef Dieter Zetsche, Ex-VfB -Präsident Erwin Staudt, Schrauben-Milliardär Reinhold Würth, Daimler und der BW-Bank.

München zeigt, wie es geht

München macht gerade vor, wie sich Desaster wie bei der Elbphilharmonie vermeiden lassen. "43 Millionen Euro, Kosten und Zeit im Plan und alles scheint zu stimmten", schreibt die Architekturzeitschrift "Bauwelt" zum Konzerthausinterim "Isarphilharmonie" am Gasteig: "Das versprochene Wunder ist eingetreten." Die Frage sei nur, ob ein derzeit auf Eis liegendes eigenes Konzerthaus am Ostbahnhof für das Symphonieorchester des Bayrischen Rundfunks überhaupt noch gebraucht werde.

Und die Isarphilharmonie ist kein Einzelfall: Auch das 2021 fertig gestellte Volkstheater blieb exakt im Zeit- und Kostenrahmen. "Das Wunder von München", titelte die "Süddeutsche Zeitung". Das Geheimnis heißt Generalübernehmerverfahren: Die Stadt schreibt einen Wettbewerb für Bauunternehmer im Team mit Architekturbüros aus. Dazu muss sie sich sehr genau festlegen, was sie haben will. Viel Arbeit, spart aber eine Menge Kosten. (dh)

"Die Frage ist allerdings, ob sich Stuttgart ein solches Konzerthaus leisten kann", zweifelt die nmz ("Neue Musikzeitung"), wo doch schon die Oper eine Milliarde verschlinge. Der Verein nennt lieber keine Zahlen und verweist stattdessen auf große Vorbilder und die Gefahr einer schwindenden Attraktivität der Stuttgarter Innenstadt. "Hochkarätig", "attraktiv", "unglaublich wichtig", überschlagen sich die Kommentare in der Broschüre zur Konzeption.

Viktor Schoner, der Stuttgarter Opernintendant, hat diese hochfliegenden Pläne in einer Diskussion unter Architekt:innen, kurz bevor er 2018 von München nach Stuttgart kam, ein wenig in Frage gestellt. Wenn München die Elbphilharmonie und Stuttgart wiederum München ausstechen wolle, machten sich die vielen "Leuchttürme" am Ende nur gegenseitig Konkurrenz, meinte er. Viel entscheidender sei, sich zu überlegen, was man eigentlich erreichen wolle, so Schoner, der als Vorbild, weil flexibel und ohne Schwellenangst zugänglich, die Jahrhunderthalle in Bochum anführte: eine simple, umgebaute Industriehalle.

Hochkultur kommt von: kein Aufwand zu hoch

Oper und klassische Musik sind repräsentative Kunstformen, die unter hohem Aufwand eine Musikkultur vergangener Jahrhunderte am Leben halten. Natürlich kann Jede:r in die Oper gehen, aber will das auch Jede:r? Hier trifft sich die High Society, wie die Unterstützerriege des Konzerthaus-Vereins ebenso zeigt wie ein Besuch in der Staatsoper. Hier ist der städtischen Politik kein Aufwand zu hoch, während die lebendige, zeitgenössische, gegenwartsbezogene Musik und Kunst aller Art mit bescheideneren Mitteln oft bessere Ergebnisse erzielt.

Alles in allem, inklusive Interim und Dekorationswerkstätten, wird die Opernsanierung wohl kaum unter 1,2 Milliarden Euro zu haben sein. Damit könnte die Stadt auf derzeitigem Stand vierzig Jahre lang alle unabhängigen Kultureinrichtungen finanzieren. Während die aber in aller Regel trotz steigender Preise mit einer gleichbleibenden Förderung auskommen müssen, steigt der Etat der Staatstheater, derzeit 106 Millionen Euro im Jahr – hälftig finanziert von Stadt und Land – jährlich um zwei Millionen. Das Ungleichgewicht nimmt zu.

Und was wird aus dem IBA-Projekt, wenn das Interim 2027 nicht fertig ist? "Als der Aufsichtsrat der IBA’27 den Projektstatus verlieh, war es noch nicht klar, dass das Operninterim dort angesiedelt werden soll", antwortet Intendant Andreas Hofer auf Kontext-Anfrage. "In dem Sinne ist die Maker City auch ohne Interim IBA’27-Projekt. Wir werden nun die Auswirkungen auf den Rest des Areals klären. Wenn das Interim im Jahre 2027 im Bau ist, wird dies vermutlich einige logistische Probleme mit sich bringen, vielleicht ist aber eine große Holzbaustelle auch ein attraktives Exponat."


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3 Kommentare verfügbar

  • A.Wetzel
    am 23.05.2022
    Antworten
    Vielleicht sollte mal jemand, der der Kultur generell etwas näher steht, als der Amtierende aus Ihrer Redaktion, das Thema "Opernsanierung" begleiten. Man kann natürlich immer alles in einen Topf schmeissen (Opernsanierung, Konzerthaus Stuttgart, Konzerthausituation München, Volkstheater München…
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