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Aufrüstung

Keine Unterhosen kaufen können, aber Waffen wollen

Aufrüstung: Keine Unterhosen kaufen können, aber Waffen wollen
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Der Russe steht wieder vor der Tür, wie es im Kalten Krieg einst hieß. Also müssen wir uns rüsten. Wie genau und mit was und wo all das Geld plötzlich herkommt, wird allenfalls hinter den Kulissen diskutiert. Ein Kommentar.

Inmitten der Schrecken des Krieges Russlands gegen die Ukraine verkündete Bundekanzler Olaf Scholz, SPD, am 27. Februar im Bundestag Milliarden über Milliarden für die Bundeswehr ausgeben zu wollen.

Doch wofür genau eigentlich? Das sagt gerade niemand. Jedenfalls nicht konkret. Von "Verteidigungsfähigkeit" ist die Rede, von "Ausrüstung, nicht Aufrüstung". Augenfällig ist vor allem: Wie in der Pandemie kann ganz schnell ganz viel Geld aufgetrieben werden, wenn die Politik nur will. Was bei Pflege, bei Hartz IV (jüngste Erhöhung drei Euro), bei der Ausstattung von Schulen und Kitas eher nie der Fall ist.

Es müsse Geld fließen in eine Bundeswehr, die angeblich kaputtgespart wurde. Das stimmt nicht wirklich. Seit 2014, der Besetzung der Krim durch Russland, erhöhte sich der Wehretat nach und nach von 33 auf zuletzt 52 Milliarden Euro. Doch wo ist das Geld geblieben, wenn die Wehrbeauftragte beklagt, dass den deutschen SoldatInnen im Baltikum warme Jacken und Unterhosen fehlen? Die Berichte über den desolaten Zustand der Bundeswehr sind zahlreich und dass die Beschaffung dort von Desorganisation gekennzeichnet ist, ist kein Geheimnis. Geändert hat das keinE VerteidigungsministerIn der vergangenen Jahre: weder Franz-Josef Jung, CDU, noch Karl-Theodor zu Guttenberg, CSU, noch Lothar de Maziere, noch Ursula von der Leyen, noch Annegret Kramp-Karrenbauer, alle CDU. Jetzt ist SPD-Frau Christine Lambrecht am Ruder, die erstmal den Neuorganisationsprozess ihrer Vorgängerin gestoppt hat und eine Bestandsaufnahme machen will. Viel Erfolg.

Nachvollziehbar ist, dass eine funktionierende Verteidigungsarmee kein Fehler sein dürfte in einer Welt, in der es Staatenführer gibt, die glauben, mit Waffen ihre Interessen durchsetzen zu können. Doch einfach nur Geld in ein nicht funktionierendes System zu pumpen, ist sinnlos. Die Frage bleibt: Wohin sollen die von Scholz angekündigten Sondervermögen von 100 Milliarden Euro fließen? Was fällt unter Verteidigung, was unter Sicherheit? Gehört Infrastruktur dazu? Hinter den Kulissen wird darüber gerade heftig gestritten. Vor allem die Grünen-Fraktion ist not amused über die Pläne. Auch in der SPD macht sich Unmut Luft. An die Öffentlichkeit dringt davon wenig. Heute soll dem Kabinett zwar der Haushaltsentwurf 2023 vorgelegt werden, wie genau das mit dem Sondervermögen für die Bundeswehr geregelt werden soll, ist aber noch nicht geklärt.

Das Sondervermögen soll im Grundgesetz festgeschrieben werden. Damit würde wegen der benötigten Zweidrittelmehrheit die CDU ins Boot geholt werden. Zudem könnte eine neue Regierung so das Geld nicht einfach für etwas anderes ausgeben. Dass ein Parlament zustimmt, nachfolgende Parlamente derart zu binden, mutet erstaunlich undemokratisch an. Vielleicht soll über den Grundgesetz-Weg das Thema auch aus Wahlkämpfen herausgehalten werden – was ebenfalls undemokratisch wäre, sind doch Wahlkämpfe gerade für strittige Themen da.

Für offenbar noch mehr Wirbel hinter den verschlossenen Koalitionstüren sorgt die Scholzsche Ankündigung: "Wir werden von nun an – Jahr für Jahr – mehr als zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts in unsere Verteidigung investieren." Damit würde Deutschland von Platz sieben auf Platz drei der Nationen in punkto Rüstungsausgaben aufsteigen. Das war bisher nicht gerade das Ziel von SPD und Grünen. 2019 hat Scholz das als Finanzminister sogar noch verhindert, und die Grünen haben in ihrem Wahlprogramm das Nato-2-Prozent-Ziel explizit ausgeschlossen.

Da die FDP ständig die Schuldenbremse betont und Steuererhöhungen ausschließt, stellt sich zudem die Frage, wo die zwei Prozent plus herkommen sollen? Glaubt irgendjemand, dass die Regierung dann nicht im Sozialen sparen wird? Schon jetzt erklärt Finanzminister Christian Lindner, FDP: "Wir werden in den nächsten Jahren alle öffentlichen Ausgaben priorisieren müssen." Vielleicht schaffen es die Grünen wenigstens, in dieser Debatte die bekloppte, weil sinnlose Schuldenbremse anzugreifen. Im Wahlprogramm haben sie das jedenfalls noch zugesagt.

Leider sieht es aktuell danach aus, dass die extreme Erhöhung der deutschen Rüstungsausgaben eine breite Mehrheit bekommt. Der aktuelle Krieg an Europas Rand sowie die Kriegsberichterstattung versetzt viele Menschen in Angst und die Bereitschaft, an alte Mechanismen zu glauben, wächst.

Aber: Mehr Waffen garantieren nicht automatisch Frieden. Mehr Waffen bedeuten auch, der Waffenlogik den Weg zu ebnen. Und zwar nur der Waffenlogik. Schließlich hat Olaf Scholz nicht gesagt, dass 100 Milliarden Euro für die Förderung ziviler Konfliktlösungen ausgegeben werden sollen. Insofern erleben wir tatsächlich gerade eine Zeitenwende. Eine Zeitenwende hin zur Militarisierung. Bei Heckler & Koch und Konsorten dürften die Sektkorken heute noch knallen.


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5 Kommentare verfügbar

  • Nik
    am 20.03.2022
    Antworten
    Ich stimme dem Artikel im Wesentlichen zu.
    An Andy: Sie sehen zu sehr die eine (eigene) Seite. Im Krieg gibt es mindestens zwei und objektive Wahrheiten werden schnell auf beiden Seiten rar. Dass der ukrainische Geheimdienst einen Teilnehmer an den Friedensverhandlungen getötet hat, hat mich…
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