Julian Assange hat nicht Knast, sondern den Friedensnobelpreis verdient. Denn der investigative Journalist hat die Kriegsverbrechen der USA im Irak öffentlich gemacht. Wenn wir uns recht erinnern, ist dies die Aufgabe von Medien in einer Demokratie, ihre Wächterfunktion. Und doch ist es genau dieser Julian Assange, der wie ein Verbrecher behandelt wird: Seit zwei Jahren sitzt er in Belmarsh, dem Knast für Schwerverbrecher in Großbritannien. Vor wenigen Tagen hat die britische Justiz beschlossen, dass der australische Journalist an die USA ausgeliefert werden darf. Dort drohen ihm bis zu 175 Jahre Haft. Seine Verteidiger kündigen gegen das Urteil Einspruch an.
Jetzt erst wurde bekannt, dass der Gründer von Wikileaks bereits im Oktober einen Schlaganfall erlitten hat. Doch gnadenlos ist die amerikanische Regierung, auch unter dem demokratischen Präsidenten Joe Biden, weiter auf ihrem Rachefeldzug, und die britische Justiz unterstützt sie darin. "Ich habe es noch nie erlebt, dass sich eine Gruppe demokratischer Staaten zusammengeschlossen hat, um ein einzelnes Individuum so lange Zeit bewusst zu isolieren, zu dämonisieren und zu missachten", sagt Nils Melzer, UN-Sonderbeauftragter für Folter. Es ist ein Skandal, wie mit Julian Assange umgegangen wird.
Und das nicht erst seit heute. "Ohne Verurteilung wird Assange als gefährlicher Schwerverbrecher behandelt, so viel zur hochgelobten britischen Justiz", schrieb die Ex-Justizministerin Herta Däubler-Gmelin schon vor einem Jahr in Kontext und beklagte das schreiende Schweigen der EU und in Deutschland. Der russische Systemkritiker Alexej Nawalny etwa wurde zur Behandlung in die Berliner Charité ausgeflogen, zum Aufklärer Assange war in der Merkel-Ära nichts zu hören.
Nun gibt es eine Ampel in Berlin. Und eine grüne Außenministerin, die sich Menschenrechte auf die Fahnen geschrieben hat, vor allem gegenüber China. Außerdem eine liberale Partei in der Regierung, die Menschen- und Bürgerrechte wie eine Monstranz vor sich herträgt. Zumindest bei Wahlen. Doch mehr als schreiendes Schweigen ist auch derzeit aus Berlin nicht zu hören.
Ein Skandal für jede demokratische Gesellschaft
Diese politische Verfolgung eines Aufklärers ist ein Skandal für jede demokratische Gesellschaft. Was hat der Mann getan, der 2006 Wikileaks gegründet hat? Er veröffentlichte Dokumente, die ihm zugespielt worden waren: mehr als 10.000 Seiten Beweise über amerikanische Kriegsverbrechen. Dazu gehört Mut und Aufklärungswille. Der Friedensnobelpreis ist ein wichtiges Zeichen für die Pressefreiheit. Er hätte in diesem Jahr 2021 auch Julian Assange zugestanden: neben Maria Ressa (Philippinen) und Dmitri Muratow (Russland). Warum aber fehlt der Whistleblower Julian Assange?, fragte unser Autor Wolfram Frommlet zur Preisverleihung. Eine vertane Chance.
Die gnadenlose Verfolgung von Julian Assange ist ein Angriff auf die Menschenwürde und auf die Pressefreiheit. "Es ist kaum zu glauben, dass die Vereinigten Staaten nun doch noch mit ihrem ungeheuerlichen Unterfangen durchkommen könnten und Julian Assange der politischen Verfolgung ausgesetzt wird. Das würde der Pressefreiheit einen irreparablen und nachhaltigen Schaden zufügen", verurteilte die Bundesgeschäftsführerin der Deutschen JournalistInnen-Union (dju), Monique Hofmann, die Gerichtsentscheidung. Sollte es tatsächlich zu einer Auslieferung kommen, hätte das katastrophale Folgen für den gesamten Journalismus. "Kein Whistleblower wird sich noch mit Informationen an JournalistInnen und Medien wenden, wenn er oder sie befürchten muss, verfolgt und verhaftet zu werden", so Hofmann. Und spricht von einem "totalen Versagen des Rechtsstaats". Ein "furchtbares Urteil", kommentiert der Bundesvorsitzende des Deutschen Journalisten-Verbands (DJV), Frank Überall, und fügt hinzu: "Julian Assange verdient nicht mehrfach lebenslänglich, sondern einen Orden." Dazu muss man nur die Ziffer 1 des Pressekodex kennen.
Die besagt: "Die Achtung vor der Wahrheit, die Wahrung der Menschenwürde und die wahrhaftige Unterrichtung der Öffentlichkeit sind oberste Gebote der Presse." Aus diesem Grund haben die Stuttgarter Anstifter ihren Friedenspreis 2020 an Assange verliehen. Darauf haben auch die beiden journalistischen Berufsverbände dju und DJV aufmerksam gemacht. Doch wo bleibt die Stimme der Verleger? Oder haben wir Springer-Chef Mathias Döpfner etwa überhört? Wo bleiben die Stimmen der neuen Regierung? Oder haben wir Außenministerin Annalena Baerbock und Justizminister Marco Buschmann etwa überhört? Wer jetzt schweigt, entlarvt die Rede von Menschenrechten und Pressefreiheit als leeres Geschwätz.
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V.S.
am 15.12.2021