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Die Polizei und possierliche Tierchen

All cats are beautiful

Die Polizei und possierliche Tierchen: All cats are beautiful
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Auf den Shitstorm folgt die Schmuse-Offensive: Mit zuckersüßem Cat-Content lenkt die Stuttgarter Polizei von ihrem Versagen bei der "Querdenken"-Demo ab. Die Feelgood-Propaganda hat Tradition.

Süß, süßer, deutsche Polizei. Wenn unsere "Helden in Blau" die vergangenen Wochen nicht gerade damit beschäftigt waren, vor zig Tausenden QuerdenkerInnen zu kapitulieren, die seit Wochen im Kollektiv gegen Gesetze verstoßen, macht die Polizei vor allem eines: kuscheln. Mit Tieren. Süßen Tieren. Den ganzen langen Tag.

Diesen Eindruck bekommt man zumindest, wenn man genug Bullshit verkraftet, um sich ihre Social-Media-Kanäle anzuschauen. Fünf Tage nach dem Totalversagen der Polizei bei der Stuttgarter Querdenken-Demo und einer Pressemitteilung, in der nicht mal ein Hehl daraus gemacht wurde, dass "der Großteil der Teilnehmer […] keinen Mund-Nasen-Schutz" trug – und man trotzdem nicht eingriff –, holte die Stuttgarter Polizei wieder zur großen Schmuse-Offensive aus, um mit Süßkram gegen Kritik anzukraulen: "Drei ausgesetzte Katzenbabys gerettet!" Ohje! Wie süüüüüüß! "Was war geschehen?", startet der dramatische Facebook-Post, wie jeder einsatzbegleitende Post der Kuschel-Taskforce in der polizeilichen Cat-Content-Abteilung.

Ja, was war geschehen? "Dank einer aufmerksamen Bürgerin konnten unsere Kollegen am Dienstagmittag in der Dieterlestraße drei Babykatzen vor dem Erfrieren retten." Ach Gottle! Auf dem dazugehörigen Bild des Posts hält eine Polizistin, Typ Beste Freundin für die Reiterferien, die "kleinen Geschöpfe" wie goldene Pferdeäpfel in den Händen, während ihr die leuchtenden Augen über dem Mundschutz fast wie Glühbirnen unter zu viel Spannung explodieren. Für den Transport aufs Revier hatten die Kollegen "die Jungtiere kurzerhand in eine 'kuschelige' Dienstmütze" gesetzt, was ein zweites Bild herzerwärmend belegt: Da liegen sie, die drei "kleinen Miezen". Schlummern erschöpft in einer Polizeimütze und träumen wahrscheinlich davon, auf der Facebookseite der Polizei für Propagandazwecke missbraucht zu werden. Denn nichts Anderes ist es, was die Polizei bundesweit mit solchen Posts betreibt: Feelgood-Propaganda zur medialen Manipulation der Außenwahrnehmung. Um das öffentliche Bild der Polizei als nahbare Helden zu framen und ein positives Bild von der Arbeit der Ordnungshüter zu kreieren.

Das kleine Küken muss keine Angst mehr haben

Menschen wie du und ich wollen sie sein. Mit schusssicheren Herzen für possierliche Tierchen in Not. Und wer Tiere rettet, kann kein fieses Bullenschwein sein. ACAB: All cats are beautiful. Deshalb kann man die Uhr danach stellen, dass auf jeden Anflug öffentlichkeitswirksamer Polizeikritik Wohlfühl-Content folgt, um mit diabetischer Selbstinszenierung das Helden-Narrativ aufrecht zu erhalten. Gerettete Katzebabys hier, wuschelige Hündchen, die in Streifenwagen springen und nach ausgiebigen Streicheleinheiten und Selfies mit rehäugigen Posterboy-Polizisten "nicht mehr aussteigen wollen" da. Mal werden kleine Eulen vor einem Unwetter beschützt. Mal rettet "Polizistin Annika" ein kleines Entenküken, während die Berliner Polizei darüber twittert, als würde der Account von einem Gruselonkel betreut, der Kindern auf der Straße verspricht, ihnen einen "echten Hasen" zu zeigen, wenn sie nur in sein Auto einsteigen: "Liebes Findelküken aus der Wiesenstraße, du brauchst keine Angst mehr haben. Annika von unserem #A35 ist #DAfürDICH und kümmert sich gemeinsam mit ihren Kollegen um dich". Und die Social-Media-Kommentare überschlagen sich vor Entzückung.

Wenn morgen dann mal wieder ein Schwarzer in U-Haft angezündet wird und unsere Helden ihr Bestes geben, damit nie rauskommt, wer ihn ermordet hat, braucht die Polizei nur wieder ein paar Tierfotos ins Netz stellen und alle haben sie wieder lieb. Zur Not tut es auch das Posting einer Postkarte eines mutmaßlichen Menschenkindes namens Ben, das sich mit auffallend reifer Handschrift dafür bedankt, dass die Ordnungskräfte "in dieser heiglen (sic) Situation weiterhin für Ordnung auf den Straßen" sorgen. So geschehen bei der Hamburger Polizei nach der Tötung eines Afroamerikaners in den USA durch einen Polizisten. Wie goldig! Auch wenn der Endgegner negativer Gefühle und Aggressionen bekanntlich Tierbabys sind, sorgen im Zweifel auch Kinder und hilfsbedürftige Omas, denen über die Straße geholfen wird, für denselben Effekt: Die Kommentarspalten quellen über vor Herzchen, Lobeshymnen, Danksagungen und Liebe, Liebe, Liebe für "unsere Helden", die einen so super Job für uns machen. Nicht nur unter Tierbaby-Fotos, sondern generell unter allen einsatzbegleitenden Posts, in denen die Polizei mal wieder heldenhaft bewiesen hat, dass sie die Guten sind, die uns vor den Bösen beschützen.

Würden alle Kommentare – etwa unter dem Bild des sexy Wachtmeisters mit dem Oberstufenschwarm-Lächeln, dem bei einer Fahrzeugkontrolle in Stuttgart ein Hund in den Streifenwagen gehopst ist – als Personen in einen Raum gepackt, müsste man nur noch Psytrance-Mucke dazu laufen lassen, und die Situation wäre nicht mehr von einer Party zu unterscheiden, auf der sich 1000 wildfremde Leute komplett mit MDMA zugedröhnt die Ohren mit drogeninduzierten Liebesgeständnissen vollsabbeln. Dabei ist der Kindchenschema-Effekt und die damit einhergehende Ausschüttung des Glückshormons Dopamin, das Stress und Aggressionen reduziert, beim Betrachten von süßen Tierchen längst wissenschaftlich belegt und könnte leicht als Manipulations-Instrument durchschaut werden. Doch das gefühlsduselige Katzen-High der Öffentlichkeit auf den systematischen Einsatz der Polizei von niedlichem Happy-Joy-Joy-Material unterscheidet sich von ravenden Hippies auf Pillen lediglich durch die Tatsache, dass die Leute, die die Arbeit der Polizei ständig abfeiern, ihre Drogen nicht im Darkweb bestellen müssen. 

Im Streichelzoo ist noch Platz

Dass der Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschafter Rainer Wendt trotzdem regelmäßig das Märchen von "Anfeindungen, Angriffen und Gewalt, pauschalen Verdächtigungen und purem Hass" erzählt, in dem Polizistinnen und Polizisten tagtäglich unter einem "Klima der Verachtung" leiden, ist angesichts der devot-amourösen Beziehung zwischen einer stiefelleckenden Mehrheitsgesellschaft und ihrer Polizei nichts weiter als eine Strategie, den Ausbau von polizeilicher Macht politisch zu legitimieren. Dabei steht die Polizei laut einer Umfrage zur Glaubwürdigkeit der Medien vom Oktober 2020, die der "Westdeutsche Rundfunk" in Auftrag gegeben hat, sogar auf Platz eins der vertrauenswürdigsten Institutionen der Bundesrepublik. Selbst führende Polizeiwissenschaftler wie Rafael Behr stellen immer wieder fest, dass die Erzählung von der immer schlimmeren Gewalt gegen die Polizei eben nicht mehr ist als ein Märchen, das man ständig unter Krokodilstränen aufs neue instrumentell vorjammert, um die Aufmerksamkeit der Politik zu erhaschen, die mehr für die Heulsusen mit Knarren tun soll. Heulsusen mit Knarren in Gewerkschaften, die die Tatsache vergessen machen, dass Polizistinnen und Polizisten unkündbare Beamte mit Pensionsanspruch sind, die nicht wie Angestellte Löhne aushandeln und in Krisenzeiten um ihre Jobs bangen müssen.

Lobbyarbeit läuft also bei der Polizei. Wie mit Welpenfett geschmiert. Nicht zuletzt, weil ihr auch Zeitungen und andere Medien wunderbar in die Hände spielen, wenn sie Polizeiberichte und Pressemitteilungen unhinterfragt übernehmen und ausgedehnte Beiträge im selben dumm-niedlichen Duktus der Knuddel-Diddl-Posts und -Tweets der Polizei produzieren, um verzweifelt eine Scheibe digitaler Liebe für Klicks damit abzugreifen.

Doch jeder staatstragende Wohlfühl-Bericht über die süß-saure Social-Media-Arbeit der Polizei ist verkaufte Integrität von Journalismus als kritische Instanz, die dem Staat und seinen Dienerinnen und Dienern auf die Finger schauen muss, statt sich als Multiplikator von Polizeipropaganda für Klickzahlen benutzen zu lassen. Die Affirmation des von der Polizei kreierten Selbstbildes verzögert und verhindert die zwingend notwendige Einrichtung einer unabhängigen Behörde, die die Arbeit der Polizei kontrolliert und bei Vergehen sanktioniert. Die Polizei kann bis heute faktisch tun und lassen was sie will, ohne strafrechtliche Relevanz. Sie kann immer wieder Straftaten begehen, die nie zur Anklage kommen, weil sich die Polizei selbst um Beschwerden gegen die Polizei kümmert und sich gegenseitig deckt. Ein Problem, das in den vergangenen Jahren nicht zuletzt durch eine Vielzahl von erschreckenden Beweisvideos von unverhältnismäßiger oder gar unrechtmäßiger Polizeigewalt immer offensichtlicher wurde.

Doch es braucht gar keine Gewaltvideos, die belegen, dass das Bild von "unseren Helden" im Internet nicht dem Bild in der Realität entspricht. Es reicht, sich mit Corona-Maske und 150 anderen Menschen Tausenden QuerdenkerInnen entgegenzustellen, die unter Polizeischutz gegen Verordnungen verstoßen. Dann wird man eingekesselt, gefilzt, geschubst und des Platzes verwiesen mit der Begründung, dass im Gegensatz zu den 15.000 Maskenlosen polizeiliches Eingreifen unter Gesichtspunkten der Virusverbreitung weniger bedenklich sei – weil ja alle Beteiligten der Gegendemo Masken tragen. Wenn dieselben Helden dann am selben Samstagabend ein paar Jugendliche beim Chillen im Park gängeln, weil sie keine Masken tragen, dann muss man laut die Frage stellen, ob die Polizei nicht vielleicht besser im Schaubauernhof der Wilhelma aufgehoben wäre. Für Selfies natürlich.


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3 Kommentare verfügbar

  • Peter Nowak
    am 20.04.2021
    Antworten
    Der brillant formulierten Polizeikritik von Elena Wolf kann ich zustimmen. Allerdings sehe ich es nicht als Polizeiversagen an, dass die Polizei bei den Querdenkerdemonstration am vorletzten Samstag nicht eingegriffen hat. Vielmehr sollte gefordert werden, dass die Polizei auch bei…
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