Dass Angela Merkel nach dem Desaster des mit den Ministerpräsidenten vereinbarten Oster-Lockdowns medial in die Offensive gehen würde, war zu erwarten. Und es waren die Zwischentöne, die in dem Gespräch mit Anne Will am vergangenen Sonntagabend aufhorchen ließen: Der Streit zwischen Bundesregierung und einigen Ministerpräsidenten ihrer eigenen Partei war unüberhörbar und gipfelte schließlich durch hartnäckiges Nachfragen Anne Wills in einer harschen Kritik an Armin Laschet, dem Vorsitzenden der CDU, Ministerpräsidenten Nordrhein-Westfalens und möglichen Kanzlerkandidaten. Diesem warf sie vor, die in dem "Instrumentenkasten" festgelegten Regelungen nicht umsetzen zu wollen, den die Ministerpräsidenten der Länder mit der Bundesregierung am 3. März dieses Jahres verbindlich vereinbart haben: nämlich die Verordnung verschärfter Maßnahmen wie Schließung aller nicht der Grundversorgung dienenden Geschäfte und die Verordnung von Ausgangssperren, die bei einer Inzidenz von über 100 Neuinfizierten pro 100.000 Einwohnern über mehrere Tage gleichsam automatisch in Kraft zu setzen seien.
Laschet wolle diesen Maßnahmen-Katalog nur auf Kreis-, aber nicht auf Landesebene umsetzen, obwohl, wie Merkel mit einem süffisanten Lächeln bemerkte, es in Nordrhein-Westfalen kaum noch Kreise gebe, deren Inzidenz unter 100 liege. Und auch der Trick, zu dem zunehmend mehr Kommunalpolitiker, aber auch Ministerpräsidenten wie Tobias Hans (CDU) im Saarland greifen, nämlich ihre Kommunen und Länder zu "Modell-Projekten" in der Corona-Bekämpfung zu erklären, um die In-Kraft-Setzung von Beschränkungsmaßnahmen trotz steigender Inzidenzen umgehen zu können, wurde von Merkel scharf kritisiert.
Die naheliegende Frage, ob Politiker die Pandemie nicht für Wahlkampf-Zwecke missbrauchen und insbesondere um sich als Kanzlerkandidat zu profilieren, wurde von Anne Will nicht gestellt. Wohl aber die Frage, ob in dem ganzen Desaster der letzten Wochen sich nicht ein Autoritätsverlust der Bundeskanzlerin zeige. Denn diese habe doch am 3. März eine Inzidenz von weniger als 35 für Lockerungsmaßnahmen vorgeschlagen, die dann am 19. März nach den Verhandlungen mit den Ministerpräsidenten auf eine Inzidenz von 50 hochgesetzt wurde – nicht nur gegen den Willen der Experten-Gremien, sondern eben auch gegen den Willen der Bundeskanzlerin.
Merkel bestritt einen Autoritätsverlust vehement, womit sie formal auch Recht hat. Da sie selbst aber bei der kommenden Bundestagswahl nicht mehr antritt, agiert sie trotz all der formal weiter vorhandenen Richtlinien-Kompetenz als "lahme Ente", die ihre inhaltlichen Vorschläge nicht mehr durchsetzen kann, weil ihre potentiellen Nachfolger sich gegen sie profilieren wollen. Insbesondere dann, wenn es wie im Fall der Pandemie-Bekämpfung um schmerzhafte Eingriffe in das alltägliche Leben geht.
Wie zur Bestätigung des vermuteten Autoritätsverlustes der Bundeskanzlerin erklärte Armin Laschet nach der Präsidiumssitzung der CDU einen Tag später, am vergangenen Montag, dass auch Nordrhein-Westfalen "selbstverständlich" den landesweiten Lockdown in Kraft gesetzt habe – um dann aber gleich zu sagen, dass mit Vorweisen eines aktuellen negativen Tests Einkaufen weiterhin erlaubt sei, dass Modell-Projekte getestet werden sollen, um eine flexible Handhabung des Maßnahmen-Katalogs zu ermöglichen, und dass Testen, Testen, Testen weiterhin die optimale Strategie zur Bekämpfung der Pandemie sei. Also all das, was Merkel im Gespräch mit Anne Will kritisiert hatte, wird von Laschet und dem Führungsgremium der CDU weiterhin verfolgt.
Das Parlament als Abnick-Instanz
Wie viel Unterstützung hat Merkel also noch in ihrer eigenen Partei? Und teilt Söder wirklich ihre Position – oder unterstützt er sie nur aus dem Grund, weil er so eine Gegenposition zu seinem Konkurrenten Laschet im Rennen um die Kanzlerkandidatur beziehen kann?
Dies alles wohl wissend zückte Merkel noch eine Karte nicht nur gegenüber den Ministerpräsidenten, sondern auch gegenüber den Arbeitgebern: nämlich eine verschärfende Neufassung des Infektionsschutzgesetzes. Dort könnte ja auch eine Testpflicht für die Arbeitgeber im Rahmen von Arbeitsschutzregelungen festgeschrieben werden. Und es könnten die Flexibilisierungsmöglichkeiten strikt an Inzidenzzahlen gebunden werden. Eine solche Neufassung des Infektionsschutzgesetzes würde bundesweit gelten, somit eine individuelle Handhabung in der Umsetzung der Maßnahmen seitens der Länder unterbinden. Erst an dieser Stelle und nur an dieser brachte Merkel den politischen Akteur ins Spiel, der eigentlich das Fundament repräsentativer politischer Systeme ist: das Parlament.
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