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Globale Lieferketten

Die extra lange Leine

Globale Lieferketten: Die extra lange Leine
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Sklaverei ist keine soziale Marktwirtschaft, das stellt der Bundesarbeitsminister klar. Immerhin. Trotzdem bleiben die universellen Menschenrechte auch im neuen Gesetz für gerechtere Lieferketten dem deutschen Profit untergeordnet.

Oft entlarvt gerade der Jubel über etwas neuerdings in Aussicht Stehendes, wie dürftig die Gegenwart doch ist. Einen "historischen Durchbruch" habe man erreicht, meinte am vergangenen Freitag Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD), laut eigener Aussage ein sparsamer Verwender von Superlativen – um im nächsten Atemzug zu behaupten: "Es gibt kein Gesetz auf der Welt oder in Europa, das so ambitioniert ist wie das deutsche Lieferkettengesetz." Nun gibt es das Gesetz zwar noch gar nicht, ehe es der Bundestag angehört und abgenickt hat, und die Eckpunkte für den Entwurf wurden nach harten Verhandlungsrunden mit dem Bundeswirtschaftsminister fast vollständig entkernt. Aber, so traurig das ist: Im globalisierten Raubtierkapitalismus, wo brutale Ausbeutung sowie Kinder- und Zwangsarbeit zu Hungerlöhnen eine verstörende Normalität darstellen, freut man sich schon, wenn ein führender Sozialdemokrat klarstellt: "Das Verletzen von Menschenrechten und moderne Sklaverei dürfen in unserem Sinne als soziale Marktwirtschaft kein Geschäftsmodell sein."

Bislang war und ist das noch anders. Zumindest betont Heil: "Anstand darf nicht länger ein Wettbewerbsnachteil sein." Mit dem Lieferkettengesetz soll damit Schluss gemacht werden. Und für den Journalisten Zacharias Zacharakis, der in der "Zeit" regelmäßig über den Werdegang des Regierungsvorhabens berichtet, deutsche Unternehmen für Menschenrechtsverletzungen ihrer Geschäftspartner haftbar zu machen, ist offenbar ein Epochenbruch eingeläutet: "Auch wenn sich Menschenrechtsorganisationen mehr erhofft haben von diesem deutschen Sorgfaltspflichtengesetz, wie es offiziell heißt, wird damit doch ein neues Kapitel aufgeschlagen in der Geschichte des globalen Kapitalismus." Er spricht von "Zügeln" für das Raubtier, das nun "erstmals" mit einem Gesetz "an die Leine gelegt" werde.

Tatsächlich könnte der Entwurf bei seiner Verwirklichung Maßstäbe setzen. Das aber ist kein Grund, stolz zu sein, sondern eher, sich unter Tränen in eine düstere Höhle zu verkriechen. Dass Menschenrechte bei der Regulierung globalisierter Lieferketten überhaupt ein Kriterium sind, ist die große Ausnahme. Frankreich hat ein schlechtes Gesetz, die Niederlande haben ein schlechtes Gesetz und nun bekommt die Bundesrepublik ein Gesetz, das beinahe genauso schlecht zu werden droht.

Schlimmer als der Tod: Bürokratie

Vorausgegangen sind dem Entschluss, ein Gesetz auf den Weg zu bringen, ein paar tausend Tode wegen katastrophaler Arbeitsbedingungen bei den Zulieferern deutscher Unternehmen. Etwa in einer südafrikanischen Platinmine mit dem Hauptkunden BASF, in der Menschen für ihre Rechte streikten, mit der Folge, dass 34 von ihnen erschossen wurden. Nachdem sich derlei Fälle zum Unmut der Öffentlichkeit häuften, bekannte sich die Bundesregierung ab November 2014 zur globalen Verantwortung und wollte zunächst durch Freiwilligkeit Abhilfe schaffen – indem sie mit einem Aktionsplan an das soziale Gewissen international tätiger Unternehmen appellierte. Das brachte nicht den erhofften Erfolg, wie Minister Heil ernüchtert bilanziert: "Wir haben diesen Plan überprüft auf seine Wirksamkeit. Und wir mussten feststellen, dass nicht einmal jedes fünfte deutsche große Unternehmen sich an diesen Plan entsprechend hält. Deshalb regeln wir das jetzt verbindlich." Aber auch nicht zu verbindlich.

Ursprünglich wollten Hubertus Heil und sein Kollege Gerd Müller (CSU) aus dem Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Unternehmen für die gesamte Lieferkette, von der Rohstoffgewinnung bis zum Endprodukt, haftbar machen. Was aber ist schlimmer als Menschenrechtsverletzungen? Richtig: ein bürokratischer Wust, der deutsche Unternehmen überlasten könnte. Wie eine kaputte Schallplatte wiederholten daher die Lobbyvertreter, dass eine lückenlose Kontrolle der gesamten Lieferkette "praxisfern" und "unverhältnismäßig" wäre. Nachdem also der für sie zuständige Bundesminister Peter Altmaier (CDU) im Namen der Wirtschaft intervenierte, sind Betriebe nur noch für ihre direkten Zulieferer haftbar. Und sie müssen sich nur dann darum sorgen, was in vorherigen Produktionsschritten passiert, wenn ihnen konkrete Hinweise vorliegen, dass dabei Unbotmäßigkeiten praktiziert werden. Heißt also: Wegsehen lohnt sich weiterhin. Und für die Verschleierung muss künftig notfalls ein Zwischenhändler eingespannt werden. Denn eine lückenhafte Kontrolle ist im enthemmten Wettbewerb mit Schlupflöchern gleichzusetzen.

Gesetz gilt nur für 0,1 Prozent der Unternehmen

Altmaiers Einschreiten ist es außerdem zu verdanken, dass als Resultat eines jahrelangen Ringens um Kompromisse nur ein recht kleiner Teil der deutschen Unternehmen überhaupt von dem neuen Gesetz betroffen ist: Dieses soll ab 2023 für Betriebe mit mehr als 3.000 Beschäftigten gelten und ab 2024 für solche mit mehr als 1.000 MitarbeiterInnen. Es greift also nur für etwa 2.900 von über 3,2 Millionen steuerpflichtigen Unternehmen in Deutschland. Falls diese aber ihre Sorgfaltspflichten verletzen, könnten sie fortan Probleme mit dem Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle bekommen. Das soll mit der Befugnis ausgestattet werden, Unterlagen zu beschlagnahmen und empfindliche Bußgelder zu verhängen. Bevor sich ausgebeutete ArbeiterInnen allzu viele Hoffnungen machen, sei dazugesagt, dass die so gewonnenen Summen – laut Heil sind bis zu zehn Prozent des Umsatzes vorstellbar – nicht den Geschädigten zugute kommen, sondern in den Bundeshaushalt fließen sollen. Dort sollen sie aber, wie der Bundesarbeitsminister betont, zweckgebunden eingesetzt werden, um den Schutz der Menschenrechte voranzubringen.

Klare Regelungen für eine zivilrechtliche Haftung, wie von Menschenrechtsorganisationen gefordert, fehlen in den Eckpunkten zum neuen Gesetz. Allerdings ist vorgesehen, dass NGOs stellvertretend für Betroffene Klagen anstrengen können, sofern diese dem Prozedere zustimmen. Ob dabei auch Schadensersatz denkbar ist, wird vom fertigen Gesetzestext abhängen.

Von zivilgesellschaftlichen Initiativen wie Germanwatch gibt es durchaus Lob für die Eckpunkte – zumindest als "wichtiger erster Schritt", der allerdings "für wirkungsvollen Schutz vor Menschenrechtsverletzungen noch zu klein" sei. Cornelia Heydenreich, die bei der NGO das Team Unternehmensverantwortung leitet, fordert: "Der Bundestag muss beim Gesetzentwurf dringend nachbessern: Im Gesetz muss klargestellt werden, dass Unternehmen aktiv menschenrechtliche Risiken in ihrer gesamten Lieferkette ermitteln und beseitigen müssen und nicht erst auf einen Anlass warten dürfen."

Noch schärfere Kritik übt der Karlsruher Bundestagsabgeordnete Michel Brandt. "Eine Vorreiterrolle nehmen wir damit sicher nicht ein", sagt er gegenüber Kontext. Brandt, der für die Linke im Ausschuss für Menschenrechte sitzt, befürchtet sogar, dass das deutsche Gesetz mehr schaden als nutzen könnte. Denn aktuell werde auch auf europäischer Ebene um Regeln für gerechte Lieferketten gerungen. "Wenn dabei, wie von Altmaier angedroht, das deutsche Gesetz als Vorbild dienen wird, ist eine effektive Haftung für Unternehmen in ganz Europa vom Tisch." Seiner Meinung nach habe sich das Wirtschaftsministerium auf ganzer Linie durchgesetzt.

Peter Altmaier jedenfalls ist zufrieden. Der Schutz der Menschenrechte sei ihm, so sagte er vergangenen Freitag, immer sehr wichtig gewesen, schon "in meiner Zeit als Graswurzelaktivist bei meiner politischen Jugendorganisation" (er meint anscheinend die Junge Union). Nun sei es gelungen, einen "vernünftigen Kompromiss" zu finden, nämlich "die Interessen des Menschenrechtsschutzes so voranzubringen, dass die berechtigten Interessen der Wirtschaft dadurch nicht geschmälert und beeinträchtigt worden sind". Welche Interessen der Minister "berechtigt" nennt und welche nicht, sagt einiges über den Kompromiss.


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1 Kommentar verfügbar

  • Jue.So Jürgen Sojka
    am 18.02.2021
    Antworten
    Bitte, bitte, bitte Minh Schredle,
    nicht wie aktuell unser MP Kretschmann auf SWR Aktuell „… muss sich rechtfertigen“ [1] als Gast bei CDU-Wirtschaftsvertretern.

    Übergeordnet der Ausführungs- und Anwendungsebene ist die Begründungs- und Bestimmungsebene – nicht umgekehrt:
    Deutsches Institut…
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