KONTEXT:Wochenzeitung
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Stuttgart 21

"Gerichtlich klären, wer die Kosten trägt"

Stuttgart 21: "Gerichtlich klären, wer die Kosten trägt"
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Wie sind die erneuten Mehrkosten bei S 21 zu bewerten, mit denen die Projektgesellschaft laut Kontext-Recherchen bereits kalkuliert? Was sollten die Konsequenzen sein? Projektpartner, ParlamentarierInnen und Verbände nehmen Stellung – oder auch nicht.

Offiziell soll Stuttgart 21 laut der Bahn nach wie vor maximal 8,2 Milliarden Euro kosten. Das ist der "Finanzierungsrahmen", im Januar 2018 festgelegt, nach der bislang letzten von der Bahn eingeräumten Kostensteigerung. Dass auch diese Summe nicht reichen wird, ist im Grunde seit Jahren ein offenes Geheimnis. Dank interner Unterlagen der DB Projektgesellschaft Stuttgart-Ulm (PSU) konnte Kontext vergangene Woche nun erstmals zeigen, dass auch die PSU bereits mit ähnlichen Zahlen kalkuliert: Im „Worst Case“ könnte S 21 laut der Dokumente bis zu 9,6 Milliarden Euro kosten, rund 1,4 Milliarden mehr als aktuell veranschlagt. Teuerungen beim Gäubahnanschluss (Planfeststellungsabschnitt 1.3b) sind darin noch nicht einmal eingerechnet. Außerdem legen die Unterlagen nahe, dass eine Fertigstellung 2025, dem offiziell kommunizierten Eröffnungstermin, als fraglich gilt – es findet sich die Formulierung "2025ff.".

Auf Kontext-Anfrage dementierte schon vergangene Woche ein Bahn-Sprecher die Existenz der Unterlagen nicht – es gehöre aber "zum üblichen Projektmanagement, theoretische Szenarien über Chancen und Risiken zu entwerfen und daraus gegebenenfalls Gegensteuerungsmaßnahmen zu entwickeln. Um ein solches theoretisches Szenario könnte es sich bei den Ihnen offensichtlich vorliegenden Zahlen handeln". Wie diese Zahlen zu bewerten seien und was aus ihnen folge, wollten wir nun auch von Vertretern der Projektpartner, des Bundesverkehrsministeriums sowie von Parlamentariern, Verbänden und Initiativen wissen, die sich schon länger mit Stuttgart 21 befassen.

Auch Bahn-Infrastrukturvorstand Ronald Pofalla, innerhalb des Konzerns für Stuttgart 21 zuständig, haben wir um eine Stellungnahme gebeten. Er blieb sie schuldig, hatte allerdings bereits am vergangenen Donnerstag gegenüber der "Stuttgarter Zeitung" betont, dass er "ohne Wenn und Aber" zu S 21 stehe, das Projekt heute wieder beginnen würde, und dass außerdem der Kostenrahmen reiche und 2025 alles fertig sei. Ebensowenig äußern wollte sich auch das Bundesverkehrsministerium, dessen Wegschauen und unterlassene Aufsichtspflicht bei S 21 zuletzt der Bundesrechnungshof moniert hatte.

Andere, die wir angefragt hatten, waren auskunftsfreudiger. In ihren Antworten finden sich auch einige konstruktive Vorschläge, wie es weiter gehen könnte.

 

 

Ronald Pofalla, Vorstand Infrastruktur der Deutschen Bahn AG

Auf Anfrage keine Stellungnahme.


Matthias Lieb, Vorsitzender des VCD Baden-Württemberg:

Die Geschichte von Stuttgart 21 ist eine Geschichte verschleierter Kosten und fehlender Kostentransparenz. Die Politik mag davon nichts mehr hören, aus dem " Leuchtturmprojekt für die Zukunftsfähigkeit Deutschlands" (Angela Merkel) ist ein unterirdischer (Finanz-)Alptraum geworden, der die Deutsche Bahn immer stärker finanziell belastet und zu ständigen Eigenkapitalerhöhungen durch den Eigentümer Bund zwingt. Dennoch schiebt der Bund die Verantwortung immer noch weit von sich und redet weiter vom "eigenwirtschaftlichen Projekt der DB AG". Diese ist nur noch "finster entschlossen", das Projekt irgendwie zu beenden. Der Präsident des Bundesrechnungshofes beklagt zutreffend das bewusste Wegschauen des Bundesverkehrsministeriums und die Gefahr, dass diese Kostenerhöhungen zu Einsparungen an den falschen Stellen führen, indem minderwertig gebaut wird. Dies müsste der Steuerzahler dann später wieder teuer ausgleichen.

Bis zu 1,4 Milliarden Euro Mehrkosten?

Kontext brachte es in Ausgabe 506 ans Licht: Interne Unterlagen der Stuttgart-21-Projektgesellschaft zeigen, dass bereits 2019 mit verschiedenen Szenarien zur Kostenentwicklung für S 21 kalkuliert wurde. Selbst im günstigsten Fall liegen die Mehrkosten deutlich über den bisher bekannten Zahlen ... – Hier geht's zum Artikel.

Aus Sicht des VCDs ist es Zeit, darüber nachzudenken, wie die Kosten des Projektes gesenkt und das Projekt verkehrlich sinnvoll redimensioniert werden kann. Denn zusammen mit den für die Funktionsfähigkeit notwendigen Ergänzungen wie ETCS und Nordzulauf und Wendlinger Kurve liegen die Kosten jetzt schon bei über 11 Milliarden Euro, dann kommen nun noch die im Raume stehenden erwarteten Mehrkosten hinzu. Da fragt man sich schon: Und was bekommt man dafür überhaupt?

Deshalb fordern wir zehn Jahre nach der Schlichtung einen neuen Dialog zu "Stuttgart 21 plus". Denn die Anforderungen haben sich seit der ersten Vorstellung des Projektes vor 25 Jahren gewandelt und werden sich bis zur Inbetriebnahme noch weiter wandeln. Insbesondere dürfte die Bedeutung des Flugverkehrs eher sinken, aber kurzen, barrierefreien Umsteigewegen im ÖV kommt eine immer größere Bedeutung zu. An erster Stelle fällt einem dazu ein, die Gäubahnanbindung zu belassen wie sie ist, statt diese Gleise herauszureißen und erst Jahre später wieder eine Verbindung (dann über den Flughafen) aufwändig wieder herzustellen.

Auch wenn in Corona-Zeiten etwas schwierig vorstellbar: Die Klimakrise erfordert einen raschen Wandel im Verkehrssektor – eine Verdoppelung der Fahrgastzahlen bis 2030 ist notwendig. Deshalb gilt das Motto "Ergänzen statt Ersetzen" – das heißt, anstelle des Ersatzes des Kopfbahnhofes durch eine unterirdische Station sollte ein Teil des Kopfbahnhofes samt seiner Zulaufgleise erhalten bleiben.


Andreas Scheuer (CSU), Bundesverkehrsminister

Auf Anfrage keine Stellungnahme.


Matthias Gastel, Bundestagsabgeordneter (Grüne), bahnpolitischer Sprecher seiner Fraktion:

Aufgrund des Kontext-Artikels habe ich am 9. Dezember eine sogenannte "mündliche Frage" an die Bundesregierung gerichtet: "Kann die Bundesregierung bestätigen, dass es bei der Stuttgart 21-Projektgesellschaft interne Berechnungen eines Worst-Case-Szenarios gibt, das von deutlichen Kostensteigerungen für das Bahnprojekt ausgeht (siehe Kontext:Wochenzeitung vom 9.12.2020; dementsprechend ist von rund 1,4 Milliarden Euro die Rede), und wie sieht die politische Bewertung (die nicht zwingend einer formalen Nutzen-Kosten-Betrachtung entsprechen muss) der Bundesregierung für die Idee eines "Gäubahntunnels" an den Flughafen Stuttgart aus?" Eine Antwort steht noch aus.

Darüber hinaus: Ich erwarte – jedoch nicht ausschließlich aufgrund des Kontext-Berichtes, sondern ganz generell –, dass die Deutsche Bahn ein aktives Kostenmanagement betreibt und hierüber beziehungsweise über die Sachstände Transparenz zeigt und dass zugleich die Projektpartner darauf drängen, regelmäßig über die aktuellen Kostenstände und die Szenarien über die wahrscheinliche Kostenentwicklung unterrichtet zu werden. Ich bin immer wieder überrascht, dass die DB nie aktuelle Kostenstände, sondern immer nur solche von einigen Monaten in der Vergangenheit liegenden Stichtagen nennen kann.


Winfried Hermann (Grüne), Verkehrsminister von Baden-Württemberg:

Ich kenne keine Unterlagen der DB aus 2019, die Szenarien mit erheblichen Mehrkostenrisiken enthalten und kann sie demzufolge nicht beurteilen. Zu den Kostenangaben der DB gilt für mich: Einstweilen kostet das Projekt 8,2 Milliarden Euro.

Stuttgart 21 ist ein Projekt der Deutschen Bahn und nicht des Landes. Die Zuwendungen des Landes durch eine Vorgängerregierung waren freiwillige. Das Land sieht keine rechtliche Verpflichtung für eine weitere Beteiligung an Mehrkosten. Das haben wir vielfach beschlossen und betont.


Sabine Leidig, Bundestagsabgeordnete (Die Linke), Mitglied im Bundestagsausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur:

Die erneute Kostensteigerung kommt alles andere als überraschend. Die Rechnungen von Martin Vieregg und anderen haben das seit Jahren so prognostiziert, und wie bei jeder Runde Kostensteigerungen zuvor wurde das so lange wie möglich von Seiten der Projektgesellschaft geleugnet – und wie jedes Mal haben die Kritiker Recht behalten. Dabei ist noch gar nicht absehbar, was auf den Fildern noch an zusätzlichen Kosten notwendig wird.

Das zeigt erneut: Stuttgart 21 ist ein Fass ohne Boden. Den Großteil der zusätzlichen Kosten muss die DB AG tragen, die ohnehin in erheblichen finanziellen Problemen steckt. Dadurch sind viele sinnvolle Projekte gefährdet, die anders als Stuttgart 21 den Bahnverkehr wirklich voranbringen.

Die Konsequenz muss ein sofortiger Baustopp sein, um zumindest nicht immer noch mehr Geld zu verschleudern. Als nächsten Schritt braucht Stuttgart schnellstmöglich eine Zukunftskonferenz, um auf der Basis der Vorschläge von "Umstieg 21" Ideen zu entwickeln, wie das, was schon gebaut wurde, sinnvoll genutzt werden kann. Entscheidend ist der Erhalt des oberirdischen Bahnhofs – als funktionstüchtiger, leistungsfähiger Bahnhof für einen zukünftigen Bahnverkehr in Stuttgart, gerade auch mit dem Deutschlandtakt.

Martin Poguntke, Sprecher des Aktionsbündnisses gegen Stuttgart 21:

Gerade jetzt, wo Corona-bedingt die Schuldenberge der öffentlichen Haushalte und der DB völlig aus den Fugen geraten, kann es nicht gleichgültig sein, wenn hier ohne absehbares Ende immer weitere Milliarden in ein unwirtschaftliches und dauerhaft klimabelastendes Projekt fließen. Um für die Projektpartner (Bahn bzw. Bund, Land und Stadt Stuttgart) die S-21-Kostenrisiken transparent zu machen, muss jetzt endlich gerichtlich geklärt werden, wer die ungedeckten nun fünf Milliarden und alle weiteren Milliarden Mehrkosten zu tragen hat. Immer wieder haben die Projektpartner diese Klärung in einer unheiligen Allianz verzögert, wohlwissend, dass ein konkretes Haushaltsrisiko politisch brisanter wäre als ein allgemeines, das man zwischen den Projektpartnern hin und her schieben kann. Für den Haushalt der Stadt Stuttgart könnte das von heute auf morgen über eine Milliarde an Mehrkosten bedeuten, wenn das Gericht die Stadt Stuttgart zu einer Mithaftung für ungedeckte Kosten verurteilen würde – und womöglich mindestens noch einmal das Gleiche für die erwartbaren weiteren Kostensteigerungen. Die wechselseitigen Beteuerungen, sich nicht an den Mehrkosten zu beteiligen, würden wie politische Seifenblasen zerplatzen.


Gerhard Pfeifer, Geschäftsführer des BUND-Regionalverbands Stuttgart:

Weitere Mehrkosten bei S 21 sind keine Überraschungen. Das Projekt ist nun mal extrem aufwändig, und alles was mit viel Tunnelbau zu tun hat, geht erfahrungsgemäß richtig ins Geld. Man sollte auch jetzt schon große Summen an Mittel beiseitelegen, um die sicher kommenden Tunnelsanierungen später finanzieren zu können. Aktuell wird der erst rund 20 Jahre alte Autobahn-Engelbergtunnel bei Leonberg für rund 130 Millionen Euro saniert. Das wegen aufquellendem Gipskeuper zu sanierende Teilstück hat eine Länge von rund 200 Metern. S 21 hat eine Gesamtlänge von fast 60 Kilometern Tunnelstrecken.

Was sollte aus diesen erneuten Mehrkosten folgen? Auf die extrem aufwändige Flughafenanbindung (PFA 1.3 a und b), wo es bisher nur bauvorbereitende Arbeiten gibt bzw. sogar noch Genehmigungen fehlen, sollte verzichtet werden. Der Flughafen ist im Zuge eines seriösen Klimaschutzes ein Auslaufmodell. Auch die Landesmesse wird wegen der zunehmenden Digitalisierung ihre besten Tage gesehen haben. Die vielbeschworene Verkehrsdrehscheibenfunktion des Flughafenbahnhofes sollte der Hauptbahnhof übernehmen – dort macht es Sinn. Dazu sollte er aber mit einem Ergänzungsbahnhof ertüchtigt werden – acht Bahnsteiggleise sind zu wenig.


Karl-Peter Naumann, Ehrenvorsitzender des Fahrgastverbands Pro Bahn:

Natürlich gibt es bei Projekten dieser Größenordnung immer ein gewisses Risiko, dass es zu Kostensteigerungen kommt, ob wegen eines schwierigen Untergrunds oder aus anderen Gründen. Aber gerade deswegen müssen sie besonders solide geplant werden – und dürfen, falls denn eine solide Kostenplanung erfolgt ist, nicht immer wieder umgeplant werden. Im Falle von Stuttgart 21 muss man zudem auch nach den Verantwortlichen fragen – das waren mit Matthias Wissmann, Erwin Teufel und Manfred Rommel allesamt Politiker und mit Heinz Dürr ein Bahn-Chef aus Baden-Württemberg, die das Projekt vorangetrieben und den verkehrlichen Nutzen dabei hintangestellt haben. Stuttgart 21 war von vornherein immer ein städtebauliches Projekt, aber man hat es geschafft, es als Verkehrsprojekt zu verkaufen – das ist der eigentliche Skandal. Denn es ist ein Projekt, das die Kapazität des Bahnverkehrs in Stuttgart verringert. Und das zum Beispiel mit der Flughafenanbindung einer Prioritätensetzung folgt, die für manche Kreise vielleicht als schick gilt, aber mit dem tatsächlichen Bedarf im Mobilitätsbereich wenig zu tun hat.


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