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OB-Wahl in Stuttgart

Der Metropolen-Schultes

OB-Wahl in Stuttgart: Der Metropolen-Schultes
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Da wird die "kilometertiefe Verwurzelung" in seiner Vaterstadt wenig nützen, die Frank Nopper so gern beschreibt. Sollte der 59-Jährige ins Stuttgarter Rathaus einziehen, trifft er auf eine hochkomplexe Stadtgesellschaft, die in wesentlichen Teilen immun ist gegen joviales Auftreten.

Jetzt ist es richtig kalt geworden in diesem schrägen OB-Wahlkampf, der vieles auf den Kopf stellt, was in den vergangenen Jahren galt im Talkessel und darüber hinaus. Der CDU-Kandidat steht in Sillenbuch Ecke Kirchheimer-/Tuttlinger-Straße, mit Maske und Abstand geht er auf BürgerInnenfragen ein. Gleich die erste wirft ein Thema auf, das ihn tagtäglich begleiten würde im Stuttgarter Rathaus: Mobilität. Es geht allerdings nicht um die Autoschlangen, die sich an einem Samstagvormittag durch den drittgrößten Filderbezirk stauen. Der betagte Herr will Nopper vielmehr auf die Stellen aufmerksam machen, an denen Robinien gepflanzt sind. "Das ist viel zu eng für uns Fußgänger", klagt er. Er werde sich das sehr genau ansehen, verspricht der Kandidat.

Sillenbuch hat schon viel erlebt, auch parteipolitisch. Im ersten Bezirksbeirat nach dem Krieg war die SPD stärkste Fraktion, danach gab die CDU lange den Ton an. Nur wenige Blocks entfernt haben Manfred und Liselotte Rommel mehr als ihr halbes Leben verbracht. Nach der Jahrtausendwende durften sich die Schwarzen noch auf 40 Prozent der WählerInnen verlassen, bei den Gemeinderatswahlen 2019 mussten sie Platz eins an die Grünen abtreten. Trotzdem stimmt hier am ehesten der angeberische Reklamespruch von Manuel Hagel, dem Generalsekretär der Landes-CDU, der Parteifreund aus Backnang passe zum "Beat der Stadt". Hier funktioniert die Tonlage, in der er Engagement und Interesse zu vermitteln weiß.

In Backnang herrscht Harmonie

Der Gesprächspartner jedenfalls zieht in der milchigen Novembersonne zufrieden von dannen. Er hätte nachfragen können. Zum Beispiel, wie der Kandidat dazu steht, nach dem Vorbild anderer europäischen Großstädte mit Baumpflanzungen den Platz für Fahrspuren zu verknappen und eben nicht den auf den Gehwegen. Oder wie der von Nopper verheißene "Mobilitätsfrieden" denn konkret aussehen würde rund um die Robinien, wo Eltern mit Kindern, SeniorInnen mit Rollator und ein paar Youngster auf dem E-Scooter aneinander vorüber wollen. Seiner Ausstrahlung hat der Kandidat zu verdanken, dass diese Art Zwiegespräche mit BürgerInnen nicht kritisch werden. Er kann einfach mit Menschen, loben ihn langjährige WeggefährtInnen. "Er hat sich dem Prinzip verschrieben, erster Bürger in seiner Stadt zu sein", sagt ein Backnanger ohne CDU-Parteibuch, kleingeredet werden dürfe das nicht.

Wenn das mal reicht für die Metropole. In der hat er vor allem die Jüngeren noch lange nicht gewonnen, auch wenn ihm eine letzte Umfrage – bei drei Kandidaten erfolgversprechende – 40 bis 47 Prozent der Stimmen vorhersagt. Unterschiede zur Großen Kreisstadt zeigen sich schon allein an den Arbeitsweisen in den beiden Gemeinderäten. Nach der Kommunalwahl im vergangenen Jahr befürchtete Nopper schon "schwierigere Mehrheitsfindungen bei einer solchen Zersplitterung und Polarisierung". Er sollte sich irren, nicht nur weil seine CDU, trotz des Verlusts von drei Sitzen, mit sieben RätInnen stärkste Fraktion blieb. "Viele Entscheidungen trifft der Gemeinderat nach wie vor mit breiter Mehrheit oder sogar einstimmig", bilanziert mittlerweile die ortsansässige Kreiszeitung. Und der OB selber befindet mit spürbarer Genugtuung: "Die meist harmonische Atmosphäre ist ein Beleg dafür, dass so furchtbar viel nicht falsch läuft."

Gewinnt er am Sonntag in der Landeshauptstadt, muss er raus aus der Komfortzone, rein in eine Stadt, in der er in der ersten Runde gerade mal knapp 70.000 WählerInnen für sich gewinnen konnte, und runter in einen Talkessel mit seinen großen Spannungen. Den er aber gut kenne, sagt er, weil Stuttgart seine Heimatstadt sei, zu der er die enge Beziehung nie verloren habe. Viele kennen aber auch ihn. Gerade die GegnerInnen von S 21 haben nicht vergessen, dass Nopper den berühmten Brief der 21 Bürgermeister aus der Region zum Auftakt der Schlichtung vor zehn Jahren mitunterschrieb. "Unter Abwägung aller relevanten Szenarien" bekennt er sich darin "nach bestem Wissen und Gewissen" zum Projekt und ist "vom großen Mehrwert überzeugt". Das gilt noch heute, und die Eröffnung, die mutmaßlich in seine Amtszeit fallen würde, müsse "ein großes Versöhnungsfest sein".

Ein kraftvolles "Jein"

Da verschwimmen Verdrängung und Optimismus eines Mannes "fürs Konkrete und weniger fürs Abstrakte", wie er sich selber beschreibt, der Brückenbauer sein will, der passende Konstruktionsteile allerdings erst noch finden muss. Zwar verspricht Nopper, dass mit ihm auf dem Chefsessel im Rathaus "durchschnittlich jährlich 2.000 zusätzliche Wohnungen" entstünden. Konkret mit Leben füllen kann er das aber nicht. Stattdessen flüchtet er sich – unter anderem – in die Hoffnung auf Rückhalt aus dem Gemeinderat. Das ist zweifelhaft angesichts der Auseinandersetzungen rund um die große Frage in der Kommunalpolitik, ob die öffentliche Hand in dieser kritischen Gegenwart wieder mehr Einfluss gewinnen soll.

In einer anderen zentralen Frage hätte er eine Mehrheit, will sie aber nicht, weil sie sich nicht mit seiner Meinung deckt. Im Juli 2017 und gegen die CDU, damals noch die größte Fraktion, beschloss der Stuttgarter Gemeinderat, angesichts von 15.000 Tiefgaragenplätzen innerhalb des City-Rings rund 200 oberirdische zu streichen. Das sei das, mokierten sich die STZN, "was Grüne, SPD, SÖS/Linke-Plus und der Stadtist als weitere Maßnahmen für eine 'lebenswerte Stadt' verstehen und von OB Fritz Kuhn ausdrücklich geteilt wird." Als es an die Umsetzung ging, legten die Stuttgarter Zeitungen empört nach mit einer maßlosen Übertreibung: "Kahlschlag."

Mit einem kraftvollen "Jein" beantwortet Nopper die Frage, ob er sich an die Seite des Beschlusses stellen oder ihn noch einmal aufschnüren würde. Er plädiere für die Streichung nur, wenn es einen Mehrwert gebe, etwa mehr Bäume. Die sind nicht wirklich nötig angesichts der ehrwürdigen Kastanien auf dem Karlsplatz und vor dem Alten Schloss. Vor allem aber wird offenbar, was der mögliche Kuhn-Nachfolger hier für keinen Mehrwert hält: dass deutlich weniger IndividualistInnen am Steuer in der Dorotheenstraße herumkurven.

Übrigens nicht irgendwelche Autos, wie aus einer Äußerung von Bettina Fuchs, der früheren Vorsitzenden der City-Initiative, herauszulesen ist. Denn die anerkannte zwar, dass die Schillergarage gleich neben der Markthalle "superzentral" sei, sie sei aber an vielen Stellen zu eng und zu schmal und werde deshalb von vielen Autofahrern nicht genutzt. Tatsächlich aber ist nicht die Garage zu eng, vielmehr sind die Autos, Marke Straßenpanzer, einfach zu groß und zu wuchtig, zu schmutzig und zu umweltschädlich, egal ob sie in Sindelfingen, Zuffenhausen oder Tuscaloosa vom Band laufen. Und gerade die verkehrsbelastete Innenstadt darf von einem OB-Anwärter erwarten, selbst von einem, der sich zum Bau sogar neuer Straßen bekennt, dass er sich dazu schon im Wahlkampf eindeutig positioniert. Floskeln jedenfalls bringen Stuttgart nicht weiter. Die Automobilwirtschaft brauche "von uns allen den Rückenwind eines Heimspiels und nicht den Gegenwind eines Auswärtsspiels", heißt es im Wahlprogramm, das zu einer bemerkenswerten Schlussfolgerung kommt: "Letztlich kann nur eine prosperierende Wirtschaft einen nachhaltigen Umwelt-, Natur-, und Klimaschutz finanzieren."

Kein Wort zum Thema Frauen

Aufschlussreich ist zudem, was auf diesen 18 Seiten mit dem auch eher wolkigen Motto "Erfahren. Engagiert. Entschlossen" unerwähnt bleibt. Zum Beispiel das Thema Frauen oder Gleichstellung, was frau zumindest als belastbares Indiz für einen eher rückwärtsgewandten Gesellschaftsentwurf werten kann. Ebenso wie die Plakat-Androhung, Wirtschaft zur Chefsache zu machen – das erinnert an Funktionsweisen von Hierarchien aus versunkenen Jahrzehnten. Oder Noppers Widerwille gegen eine gender-gerechte Sprache, die er nur als "verkrampft, verzwungen und verspannt" empfinden kann. Und dann ist da noch das Engagement der Ehefrau. Liselotte Rommel hatte sich unter anderem für ehrenamtliche Hilfe in akuten Notlagen eingesetzt, Stefanie Schuster ist Gründerin der "Olgäle-Stiftung für das kranke Kind", Waltraud Ulshöfer, Ehefrau des amtierenden OB Fritz Kuhn, aktiv für das Hospiz St. Martin. Gudrun Weichselgartner-Nopper wiederum ist seit 2006 "selbstständige zertifizierte Knigge-Trainerin" und organisiert entsprechende Seminare für Kinder und Jugendliche samt praktischer Übungen, "was in Sachen Stil und Etikette heute (noch) wichtig" oder "wie Small Talk als Türöffner zu nutzen ist".

Für Small Talk bleibt in der Kirchheimer Straße wenig Zeit. Eltern wollen wissen, warum es bei Digitalisierung und Sanierung an den Schulen nicht vorangeht. Nopper punktet wieder mit der nicht nur von UnterstützerInnen beschriebenen Offenheit. Von sich aus kommt er auf den "gut bestellten Haushalt" in Stuttgart zu sprechen, aus dem nur das Geld viel schneller fließen muss. Mit solcher Anerkennung der Leistungen anderer hat der promovierte Jurist erkennbar kein Problem. Auch in Backnang schreibt ihm die SPD noch heute gut, dass er in seinen Anfangsjahren nicht vergaß, die Taten des überraschend abgewählten Vorgängers und Sozialdemokraten Jürgen Schmidt lobend zu erwähnen. Nicht von ungefähr wirbt jetzt sogar Heinz Franke, der SPD-Fraktionschef im Gemeinderat, für den CDU-OB. Der sei ein "schaffiger, kontaktfreudiger Macher", "nicht nachtragend oder nachtretend" und "immer fair" obendrein.

Vom Feldwebel zum Dackel?

Stuttgarts Grüne wollen das so pauschal nicht bestätigen. Im Netz und hinter den Kulissen, heißt es im Wahlkampfteam von Veronika Kienzle, der Grünen-Kandidatin, die nach dem ersten Wahlgang zurückgezogen hatte, sei es "ganz schön hart zugegangen". Etwa "um die Kandidatin als ehrenamtliche Bezirksvorsteherin klein zu machen". Schon früh hatte Nopper die Losung ausgegeben, Social Media würden eine große Rolle spielen in diesem Wahlkampf. Derzeit verbreitet sich dort für ihn selber wenig Vorteilhaftes, vor allem diese Rede im forcierten Feldwebelstil, in den Nopper oft rutscht, wenn er besonders engagiert auftreten will.

An eine solche Schultes-Performance mag die 37.000-Einwohner Stadt an der Murr gewöhnt sein, in Deutschlands sechstgrößter Stadt würde vermutlich eher missbilligend vermerkt, dass da das Wort Straßenfest 27 mal in knapp vier Minuten fällt. Großstadt-geeignet geht anders. Dennoch oder deshalb hat er schwarze Promis fest an seiner Seite, viele davon übrigens genau wie er selber besonders hartnäckige S-21-Fans: frühere und aktive Abgeordnete, den Uralt-Politkumpel Günther Oettinger, den Verbandsfunktionär und Orban-Fan Brun-Hagen Hennerkes, die Paulaner-Wirtin Birgit Grupp, ihren Volksfest-Kollegen Hans-Peter Grandl, die ehemalige Zeitungsverlegerin Christine Bechtle-Kobarg (Esslinger Zeitung), Ex-OB Wolfgang Schuster oder Liselotte Rommel sind Mitglieder der Wählerinitiative und haben mit Dutzenden anderen eine gemeinsame Anzeige für Nopper geschaltet.

Manfred Rommel, "den legendären Stuttgarter Oberbürgermeister", zitiert der potenzielle Nachfolger ohnehin gern. "Als großes Vorbild" habe der ihn inspiriert, in Backnang war er sein Wahlkampfberater mit dem Spruch "Den Kerle kenned ihr nemme". Den Alltag des neuen Stuttgarter Oberbürgermeisters, wenn es denn dazu kommen sollte, wird allerdings ein ganz anderes Rommel-Zitat mitprägen: "Wer jedermanns Liebling sein will, wird jedermanns Dackel." Alle Vorgänger waren auf ihre Art und Weise bereit, immer wieder bei wechselnden Teilen des Gemeinderats und in der Stadtgesellschaft ordentlich anzuecken. Nopper hätte erst noch zu zeigen, wie ein in der Kommunalpolitik einer Großen Kreisstadt geschliffener Kiesel sich wieder schärfere Kanten aneignet. Nicht im Rück-, sondern im Fortentwickeln des vielfältigen Erbes.


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1 Kommentar verfügbar

  • S. Holem
    am 25.11.2020
    Antworten
    Dieser Teil seiner Internetpräsenz:
    https://frank-nopper.de/akutelles
    (Ja, genau so) zeigt eindrücklich, dass er es mit der (ominösen, alles heilenden) Digitalisierung wohl nicht so draufhat. Zudem versucht er dort, die Menschen mit der verrufenen Dark-Pattern-Methode zu Dingen hinzutricksen, die…
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