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Es könnte ja beißen

Es könnte ja beißen
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Eine Ministerin legt einen Gesetzentwurf vor, der ausschließlich weiblich formuliert ist. Was passiert? Die Männer im Bundestag drehen durch. Wäre ja noch schöner, wenn Macht auch für Frauen da wäre!

Brummbrummbrumm. Da pumpen sie wieder, die alten Maikäfer. Sitzen fett in ihren Erdlöchern mit ihren silbergrauen Haarkränzen in ihren kleinen, braunen Anzügen. Verbittert von unzähligen gescheiterten Flugversuchen. Unwillig die Gesetze der Natur zu akzeptieren, die ihre Tage angezählt hat. Dann surrt auch noch eine Maikäferin geschmeidig herbei, schaukelt ein kleines Köfferchen voll Femininum zwischen ihren Beinchen durch die Lüfte und lässt das giftige Zeug wie Salzsäure auf die müden Flügelchen herabregnen. Genau so müssen sich die dicken Brummer aus CDU und artverwandten Gattungen gefühlt haben, als Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) mit ihrem "Entwurf eines Gesetzes zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts" in Berlin um die Ecke summte.

Nicht etwa wegen des unsagbar spröden Inhalts dieses 247 Seiten langen Folterinstruments für ein kaum aussprechbares "Sanierungsrechtsfortentwicklungsgesetz". Sondern weil Lambrecht es wagte, ihre Entwürfe für Gesetzestexte in weiblicher Form zu verfassen. Während die Sprache der allgemeinen Einleitungsseiten zum dann folgenden Gesetzesentwurf noch das männliche und weibliche Geschlecht berücksichtigt, sind die konkreten Paragraphen fürs geplante Gesetz ausschließlich im Femininum formuliert: "Geschäftsführerin", "Verbraucherin" und "Schuldnerin" und so weiter. Klar, dass das in Lichtgeschwindigkeit warme Luft unter die lahmen Flügelchen des Bundesinnenbrummers Horsti blies. Brummbrummbrumm!

Vorsicht Genderwahnsinn!

"Kaum verfassungsgemäß" könne so ein Gesetzt sein, sagt der. Das Bundesinnenministerium erklärt, der Entwurf müsse an die geltenden Regelungen angepasst werden. Denn: "Während das generische Maskulinum, also die Verwendung der männlichen Sprachform, anerkannt ist für Menschen von männlichem und weiblichem Geschlecht, ist das generische Femininum zur Verwendung für weibliche und männliche Personen bislang sprachwissenschaftlich nicht anerkannt." Und Thorsten Frei, den Vize-Chef der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, zitiert der "Tagesspiegel" mit dem Satz: "Für diese Art von Genderwahnsinn fehlt mir jegliches Verständnis."

Wo kommen wir denn auch hin, wenn das deutsche Gesetz plötzlich "nur" noch Frauen anspricht und männliche Geschäftsführer ein sprachliches Röckchen durch ein "-innen" angezogen bekommen? Lächerlich! Geht halt mal gar nicht! Vor allem jetzt, wo wir doch Corona haben und alle Politkäferlein eh schon theatralisch auf dem Rückenpanzer propellern und ächzend alle Sechse von sich strecken, weil sie ausnahmsweise hart für ihr Geld arbeiten müssen und dabei auch noch unter Beobachtung ihrer 83 Millionen Arbeitgeberinnen stehen. Ungeheuerlich! Und dann kommt die verklatschte Sozialdemokratöse mit ihrem "Gendergaga" an und torpediert die Coronakäfer bei ihren Flugversuchen. Wir müssen doch gerade jetzt alle an einem Strang ziehen, oder nicht?

Nö. Das Narrativ eines gemeinsamen Stranges ist kompletter Quatsch. Unterschiedliche Menschen in unterschiedlichen Lebensrealitäten haben unterschiedliche Vorstellungen vom guten Leben. War schon immer so. Wird auch immer so bleiben. Platon sah Dinge anders als Aristoteles. Kierkegaard anders als Nietzsche. Horst Seehofer hat andere Wahrheiten als Katja Kipping. Ein reaktionärer, alter, männlicher Nostalgiker hat andere Vorstellungen von Deutschland als eine weltoffene, junge, weibliche Futuristin. Vegan lebende Menschen haben andere Zukunftsträume als Metzger. Und Christinnen sehen die Welt nicht durch das Glas eines Agnostikers. Deshalb gibt es verschiedene Parteien, Gesangsvereine, Religionen, Fitness-Studios und Brotaufstriche. Gesichtswurst oder alkoholfreier, nicht mit Gelatine gefilterter Rotwein: Solange niemand bevor- oder benachteiligt wird, ist die Welt doch in Ordnung, nicht? Jedem Kind seinen Luftballon.

Es geht, wie immer, um Macht

Genau das ist aber das Problem mit der deutschen Sprache: Mindestens die Hälfte der Bevölkerung ist bislang gezwungen, sich gesetzlich mit einem Geschlecht ansprechen zu lassen, dass nicht ihrem eigenen entspricht. Das kann einem komplett egal sein, das muss auch nicht jeden aufregen. Fair enough. Trotzdem ist es so. Und weil es seit einer Ewigkeit schon so ist, können sich Horst und andere Fortschrittsverweigerer überhaupt gar nicht vorstellen, dass es einmal anders sein kann. Als wäre das Maskulinum irgendwann mal ganz natürlich aus dem Mund von Adam um den Apfelbaum nach Bayern geflogen und hätte sich vom Hofbräukeller hackedicht von sich selbst auf in die Welt gemacht. Doch auch so eine Vorstellung ist okay. Wenn etwas "schon immer" irgendwie war, dann ist der Reflex, das Neue, Ungewohnte, Fremde, erstmal skeptisch zu beäugen, vollkommen nachvollziehbar. Es ist ja neu und fremd. Es könnte ja beißen. Oder meine Leberwurstvorräte stehlen. Was der Bauer nicht kennt – der Rest ist längst Sprachgeschichte. Das ist nicht das Interessante an der nun wieder aufgeheizten Debatte um Sprache und Geschlecht.

Das Interessante ist die Empörung und die im besten Fall latente Aggression, die Menschen entgegenschlägt, wenn sie auch nur zärtlich andeuten, dass sie finden, dass sie mit "diesem Gender" liebäugeln. Der Grund dafür ist so einfach wie bescheuert und muss – wie alles in Kultur und Politik – im Zusammenhang mit Hegemonie betrachtet werden. Denn es geht um Macht. Es geht um Vorherrschaft und Hierarchie. Und diese wird zu einem großen Teil auch durch die Aufmerksamkeitsökonomie in der Sprache definiert. Hier werden Plätze zugewiesen. Er, Sie, Es. Mann, Frau, Ding. Horst. Christine. Maracujasaftschorle. Wichtig, weniger wichtig. Egal. Die Hierarchien in unserer Sprache formen unser Denken und somit auch unser Selbstverständnis von Gesellschaft und wie diese funktioniert.

Niemand redet mehr Mittelhochdeutsch

Der Angriff des generischen Maskulinums in der Sprache ist ein Angriff auf die Vorherrschaft des Mannes in der Gesellschaft. Bislang hatte ein Junge in einer Klasse mit 30 Mädchen die Macht, aus einem Schüler und 30 Schülerinnen 31 Schüler zu machen. Denn es wäre ja total lächerlich, aus dem Jungen ein sprachliches Mädchen zu machen. Männer, denen etwas Weibliches anhaftet, sind keine echten Männer mehr, während hingegen Frauen gesellschaftlich aufsteigen, wenn sie männliche Attribute wie etwa Familiennamen annehmen. Sprache ist ein System, das in der deutschen Sprache Männer bevorteilt und damit über alles Weibliche stellt. Das zu reflektieren ist nicht gaga. Es ist Evolution. Sprachevolution. Und die gab es schon immer.

Sprache ist flexibel und hat sich schon immer an gesellschaftliche Veränderungen angepasst und verändert. Niemand redet mehr Mittelhochdeutsch. Maria ist nicht mehr gebenedeit unter den Weibern, sondern unter den Frauen. Diese werden nicht mehr zu Fräulein, nur weil noch keine Ehe eingegangen sind und ein männlicher Familienname eine "echte" Frau aus ihnen gemacht hat. Sprache ist Macht. Und die wird mit Gesetzesentwürfen wie dem von Christine Lambrecht einmal mehr zur Diskussion gestellt. Nicht mehr und nicht weniger. Echte Männer sollten das aushalten können.


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2 Kommentare verfügbar

  • Dr. Diethelm Gscheidle
    am 16.10.2020
    Antworten
    Sehr geehrte Damen und Herren,

    auch wenn ich vom Grundsatz her diesen, natürlich von einer Sozin verfassten, Unsinn von Gesetzen in der weiblichen Form ablehne, so steckt in ihm in diesem speziellen Fall doch eine Menge Wahrheit: Schließlich geht es um das Insolvenzrecht. Bekanntlich haben Frauen…
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