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Faschisten auf dem Gewerkschaftshaus

Faschisten auf dem Gewerkschaftshaus
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Identitäre besetzen mit Bengalos das Stuttgarter DGB-Haus, Antifas greifen einen rechten Gewerkschafter an, und Willi Bleicher dreht sich im Grabe um. Unser Autor findet klare Worte.

"Das ist unser Haus! Wir lassen uns nicht aufs Dach steigen!" Mit diesen Worten beschloss die stellvertretende DGB-Vorsitzende Gabriele Frenzer-Wolf am 5. Juni die gemeinsame Kundgebung der Gewerkschaften "Demokratie stärken und schützen". Wenige Tage vorher hatten Neo-Faschisten der "Identitären Bewegung" (IB) mit Bengalos und Kunstblut das Stuttgarter Gewerkschaftshaus besetzt und ein Banner angebracht: "Der DGB hat mitgeschossen."

Fünf junge IB-Aktivisten aus Bayern hatten sich am 30. Mai dazu mit einer Hebebühne auf einen Vorsprung des DGB-Hauses hieven lassen, Polizei und Feuerwehr holten sie später wieder herunter. Mit dem Banner spielten sie auf eine Auseinandersetzung am Rand einer Corona-Demo auf dem Wasen-Gelände an, bei der Andreas Ziegler, ein Betriebsrat der rechten "Gewerkschaft" "Zentrum Automobil" (ZA) von Unbekannten schwer verletzt worden war; er liegt mit Schädelbruch im Krankenhaus.

Besonders erbost zeigte sich IG-Metall-Bezirksleiter Roman Zitzelsberger darüber, dass sich die Rechten das nach Willi Bleicher benannte Haus ausgesucht hatten. Schon einmal, am 2. Mai 1933, war das Gewerkschaftshaus von Faschisten besetzt worden. Seit einigen Jahren trägt es den Namen des Antifaschisten Willi Bleicher, der fast zehn Jahre Haft und Folter in NS-Gefängnissen und Konzentrationslagern erleiden musste. "Jetzt wagt es dieser Sumpf, unser Gewerkschaftshaus wieder zu besetzen. Das darf es nie wieder geben. Willi wusste, dass Demokratie von den Gewerkschaften verteidigt werden muss", so Zitzelsberger. Bleicher lag nach den Erfahrungen der Weimarer Republik gerade die von rechten Spaltergruppen, ähnlich dem heutigen ZA, bekämpfte Einheitsgewerkschaft besonders am Herzen. Eine Vertreterin der Gewerkschaftsjugend betonte, dass die IB sich zwar hip und jung gebe, aber die gleichen Ziele wie die alten Rechten verfolge. Als IG-Metall-Vertrauenskörperleiter von Daimler Untertürkheim rief Jose-Miquel Revilla an die Adresse von ZA: "Wir lassen uns nicht spalten und überlassen den Faschisten nicht die Köpfe der Menschen!"

Erfolg für die Identitären

Nach den rassistischen Morden an zehn Menschen am 19. Februar in Hanau hatte es Demonstrationen gegeben mit Transparenten wie "Die AfD hat mitgeschossen." Diese "Spitze" wollte die IB nun offenbar umdrehen. Obwohl die Polizei die Verwendung einer Schusswaffe bei dem Angriff auf den rechten Gewerkschafter in Stuttgart verneint und die Gewerkschaften die Anwendung von Gewalt in politischen Auseinandersetzungen stets abgelehnt haben, schreibt die IB auf Twitter: "SolidaritätmitAndreasZiegler Der #DGB hat mitgeschossen! Nach dem feigen #Mordversuch an Andreas Ziegler muss das deutlich gesagt werden. Verstrickungen von #Antifa und Gewerkschaften wie der #IGMetall sind unübersehbar." Nun brüstet sich die IB – gegenwärtig eigentlich in einer Flaute – mit ihrer öffentlichkeitswirksamen Aktion. Auch von antifaschistischer Seite wird anerkannt: "Die Aktion in Stuttgart war medial ein Erfolg für die IB, mit nur wenigen Personen konnten sie überregionale Reaktionen auslösen."

Von der Kultur der klassischen Wehrsport- und Skinrechten hat sich diese intellektuelle Jugendbewegung verabschiedet und Strategien der Linken rezipiert. Dazu gehören Ideen des marxistischen Philosophen Antonio Gramsci zur Notwendigkeit eines "kulturellen Kampfs um die Mentalität des Volkes" als Voraussetzung für politische Veränderungen. Der rechte Vordenker Götz Kubitschek verbreitet diese unter dem Stichwort "Metapolitik" – gleichermaßen bei ZA-Chef Oliver Hilburger wie bei der IB.

Anwendung fanden in Stuttgart zudem Strategien der "Gewaltfreien Aktion" aus der Bürgerrechtsbewegung. Der dem ZA verbundene IB-Vordenker Martin Sellner geht davon aus, dass man öffentliche Sympathien gewinnt, wenn man den Gegner – also militante Antifa-Gruppen – zu Gewalttaten verleite und diese so ungewollt zum Werkzeug der Rechten mache. Gewaltakte der militanten Antifa wirkten spaltend in der antifaschistischen Bewegung und solidarisierend in der Rechten, schreibt Sellner in Kubitscheks neurechtem Magazin "Sezession".

Dass diese Rechnung aufging, zeigt sich an der gruppenübergreifenden Kampagne für den verprügelten Rechts-Betriebsrat Andreas Ziegler. Initiiert wurde sie von Oliver Hilburger, einem ehemaligen Mitglied der Rechtsrock-Band Noie Werte, mit deren Musik die Rechtsterroristen des NSU ein Bekennervideo unterlegten. Die Kampagne brachte nun von der AfD über Republikaner, 3. Weg, NPD und Kameradschaften die ganze rechte Szene zusammen.

Gegen die Verführung zur Gewalt

Mit der Beteiligung rechter Akteure an den Hygiene-Demos in Stuttgart eskalierte die Gewalt. So wurden am 16. Mai drei Lkw angezündet, die die Veranstaltungstechnik für die Großdemo auf dem Wasen transportierten, und Teilnehmer angegangen – am gravierendsten war der Angriff auf Ziegler.

In den rechten Medien wird die Darstellung "einiger Antifas" auf der linken Plattform Indymedia, auf der jeder anonym Beiträge publizieren kann, als Bekennerschreiben zitiert. Auch wenn sie in den Einzelheiten erheblich von den Darstellungen der Beteiligten vom ZA abweicht, bekunden die "Antifas" unverblümt, dass die drei Rechten "angegriffen" wurden, als diese zur Hygiene-Demo am 16. Mai unterwegs waren. Ziegler sollte zwar nicht umgebracht, aber doch verletzt werden; das Risiko einer Tötung sei eingegangen worden. Die Kopfverletzung habe "er sich" zugezogen, nachdem er sich "mit zwei Schlagringen bewaffnete". "Das öffentliche Auftreten der Faschisten" solle unterbunden werden, sie müssten mit "Schmerzen, Stress und Sachschaden rechnen und dadurch möglichst isoliert, gehemmt, desorganisiert und abgeschreckt werden".

Dass "politische Gewalt in dieser Form aktuell auch für Teile der Bevölkerung, die wir erreichen und einbeziehen wollen als unvermeidlicher Teil des politischen Kampfes gegen die Faschisten verständlich" anerkannt wird, wie die "Antifas" schreiben, ist allerdings sehr zu bezweifeln. Die "Angst vor zunehmender Feindlichkeit zwischen Menschen mit unterschiedlichen Meinungen" ebenso wie die Angst vor Gewalt und Terror sind, wie die jüngste Shell-Studie belegt, gerade bei jungen Menschen, auch aus dem linken Spektrum, besonders hoch.

Der linke Philosoph Michael Brie warnt vor der "Verführung zur Gewalt": "Linke Politik braucht den Widerstand und braucht Militanz. Aber gerade deshalb müssen wir uns gegen die Verführung zur Gewalt wehren, müssen über die Folgen von Gewalt von links aufklären, müssen zeigen, dass es einer der sichersten Wege ist, jede wirkliche Veränderung, auch jede wirkliche Energiewende zu verhindern, in ihrem Namen zu Gewalt, zum Terror zu greifen."

Die Gewerkschaften stünden für Solidarität, gegen rechte Hetze und gegen Gewalt, hatte Nadine Boguslawski, die erste Bevollmächtigte der IG Metall, wie alle anderen Redner vor dem Gewerkschaftshaus betont. Auch die Gewerkschafter bei Daimler sehen die Attacke der Militanten als wenig hilfreich. Im Betrieb würde ZA keinesfalls aggressiv rechts, sondern als "Kümmerer", auftreten, die sich besonders für die "Malocher" einsetzen – nun könnten sie sich als Opfer inszenieren und so die politische Auseinandersetzung, etwa um ihre Beteiligung an den "Hygiene-Demos", vermeiden.

Ein Blick in die Geschichte des Antifaschismus – etwa auf jene militanten Kommunistengruppen, die 1931 dem Ruf "Schlagt die Faschisten, wo ihr sie trefft" folgten – zeigt, dass eine solche Konfrontation der Rechten nützt und den Ruf nach dem autoritären Staat befördert. Das Vorgehen der Militanten in Stuttgart-Bad Cannstatt kann von der breiten antifaschistischen Bewegung also nicht ignoriert werden, weil solche Gewalt, wie Michael Brie formulierte, die Bewegung delegitimiert und spaltet. Oder, mit dem IB-Ideologen Martin Sellner: "Im Infokrieg der westlichen Gesellschaften, in dem die politische Macht fast vollkommen in der Metapolitik aufgeht, ist die nackte, physische Gewalt prinzipiell kontraproduktiv. Sie richtet sich nur intern an einen kleinen, harten Kern an Überzeugten, den sie befriedigt und anstachelt, schreckt aber in der medialen Breitenwirkung sowohl Neutrale als auch Sympathisanten ab."

Schon der erste Kommentar zu Sellners Artikel in der "Sezession" zeigt allerdings eine andere Rechte: "Suedburgunder 23. Mai 2020 15:14: Wir steuern schnurstracks auf einen Bürgerkrieg zu und sollten endlich die Bergpredigt-Mentalität zumindest vorübergehend aussetzen, um uns nicht gänzlich lächerlich zu machen. Wo ist der Geist jener Freikorpsmänner von vor hundert Jahren, der dem Antifa-Spuk ein schnelles Ende bereiten würde?" Nun: In Hanau, Halle, Kassel, Freital, Köln, München, Altena, Heilbronn, Lichtenhagen, Mölln …


Erhard Korn ist aktiv in der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) und in der Rosa-Luxemburg-Stiftung.


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1 Kommentar verfügbar

  • Ingrid Bohsung
    am 15.06.2020
    Antworten
    Unsagbar traurig macht mich das Geschehen bei den beiden Veranstaltungen - der Ausbruch von Gewalt von linken und rechten Gruppen lässt den eigentlichen Anlass in den Hintergrund treten. Zynisch , der Gedanke,die Bergpredigt-Mentalität aufzugeben ! Ich denke an die vielen Aktivitäten in der…
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