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Nehmt den Fuß von der Bremse!

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Die Landesregierung will die Schuldenbremse in der Verfassung verankern. Doch mit einer "schwäbischen Hausfrauenpolitik" lässt sich keine klimapolitische Wende stemmen, und die soziale Spaltung der Gesellschaft wird vertieft, warnen unsere Gastautoren vom DGB.

Noch Mitte Dezember haben sich die grün-schwarzen Koalitionsfraktionen und die Opposition aus SPD und FDP im Südwest-Landtag einen Schlagabtausch über den Doppelhaushalt 2020 bis 2021 geliefert. Jetzt präsentiert die grün-schwarze Landesregierung gemeinsam mit Sozialdemokraten und Liberalen einen Gesetzentwurf zur Verankerung der Schuldenbremse in der baden-württembergischen Landesverfassung. Bei der ersten Lesung am vergangenen Donnerstag herrschte erwartungsgemäß große Einigkeit – sogar die AfD unterstützt das Vorhaben.

Nach dem Gesetzentwurf soll eine restriktive Schuldenbremse in die Verfassung aufgenommen werden. Damit werden die ohnehin schon strengen Vorschriften des Grundgesetzes massiv verschärft. Baden-Württemberg hätte dann nur noch geringe Spielräume, Investitionen mit Krediten zu finanzieren. Deshalb sagen wir ganz klar Nein zu diesem Gesetzentwurf. Aus unserer Sicht würden die Handlungsspielräume für Zukunftsinvestitionen deutlich eingeschränkt – und das nicht nur jetzt, sondern vor allem auch für künftige Generationen. Trotz exzellenter Steuereinnahmen wurde der Investitionsstau nicht aufgelöst – auch, weil Grün-Schwarz im Vorgriff auf die seit Jahresbeginn auch für die Länder geltende Schuldenbremse eine Politik der schwarzen Null verfolgt hat. Wie sollen die Aufgaben dann erst bewältigt werden, wenn die Steuern nicht mehr so üppig fließen und das Land dann auch keine Kredite mehr aufnehmen darf?

Wir empfehlen deshalb, die noch gute Steuereinnahmesituation und die anhaltende Niedrigzinsphase zu nutzen, um massiv in Schienen, Busse, Elektromobilität, Kindertagesstätten, Schulen, Wohnungsbau, energetische Sanierung und schnelles Internet zu investieren. In den vergangenen knapp dreißig Jahren haben sich die Sachinvestitionen von Land und Kommunen im Verhältnis zum jeweiligen Bruttoinlandsprodukt mehr als halbiert. Im selben Zeitraum sind die Schulden im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt ebenfalls stark gesunken. Das zeigt: Nicht die Schulden sind das Problem, sondern der Rückstand bei den Investitionen. Ein Beispiel: Die Krankenhausinvestitionen des Landes sind seit langem viel zu niedrig. Um die nötigsten Sanierungsmaßnahmen finanzieren zu können, werden deshalb schon seit Jahren Personal- und Verwaltungsmittel eingesetzt, die dann in diesem Bereich fehlen. So entstehen Versorgungsmängel, unter denen PatientInnen und Beschäftigte gleichermaßen leiden.

Infrastruktur sträflich vernachlässigt

In Sorge um die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands schwenkt nunmehr auch die Wirtschaft auf die Position der Gewerkschaften ein und schlägt Alarm: Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) hat zusammen mit dem DGB ein Gutachten des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) und des gewerkschaftsnahen Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) vorgestellt. Deren Ist-Analyse macht deutlich: Deutschland hat in den vergangenen zwei Jahrzehnten seine öffentliche Infrastruktur sträflich vernachlässigt. Nun müsse man zu einem großen Sprung ansetzen: Zum einen, weil die gesamte Volkswirtschaft auf eine klimaverträgliche Wirtschaftsweise ohne die Verbrennung von Kohle und Öl umgestellt werden muss. Zum anderen wegen der alternden Gesellschaft, in der neue Wachstumspotenziale gehoben werden müssen, um die demografiebedingten Wachstumsverluste zumindest teilweise auszugleichen.

Die AutorInnen des Gutachtens beziffern die zusätzlichen Investitionsbedarfe in Deutschland in den kommenden zehn Jahren auf etwa 450 Milliarden Euro. Die Betonung liegt auf "zusätzlich". Dieser außerordentliche Kraftakt sei durchaus zu stemmen. Jedoch nicht aus den laufenden Haushalten von Bund, Ländern und Kommunen.

IMK und IW schlagen deshalb die Einführung der sogenannten goldenen Regel im Grundgesetz vor: Öffentliche Investitionen, die den staatlichen Kapitalstock ausweiten und Wachstum anstoßen, sollen durch Kredite finanziert werden. Alternativ sollten Extrahaushalte genutzt werden, beispielsweise Verkehrsgesellschaften. Zudem müssten die Kommunen nachhaltig entschuldet werden, etwa, um wirkungsvoll in den ÖPNV investieren zu können.

Das staatliche Anlagevermögen ist in Deutschland zwischen 2001 und 2017 nicht mehr gestiegen. In den wichtigsten Industrieländern – mit Ausnahme Japans – ist es hingegen im gleichen Zeitraum zum Teil deutlich gewachsen. Die langfristige Wettbewerbsfähigkeit des Standorts wird so kontinuierlich beschädigt. Deutschland und auch Baden-Württemberg leben von der Substanz. Sie gefährden ihre ökonomische und ökologische Zukunft, weil die Haushaltskonsolidierung zum alles überstrahlenden Leitstern erhoben wurde. Was oft in der Diskussion vergessen wird: Nicht nur Schulden werden an künftige Generationen vererbt, sondern auch öffentliche Vermögen!

Soziale Spaltung wird vertieft

Deutschland zeichnet sich durch hohe Außenhandelsüberschüsse aus, für die vor allem die viel zu niedrigen Investitionen verantwortlich sind. International werden diese deutschen Außenhandelsüberschüsse angeprangert. Aus unserer Sicht sind sie eine Gefahr für die europäische Integration und das transatlantische Verhältnis. Das böse Wort "Swabian Housewife Economics" macht international die Runde. Diese schwäbische Hausfrauenpolitik verwechselt öffentliche Haushalte mit privaten Portemonnaies, wonach nicht mehr ausgegeben als eingenommen werden könne. Doch die Finanzierung von Zukunftsinvestitionen über Kredite ist auch in der Privatwirtschaft völlig normal und ein Ausdruck der ökonomischen Vernunft. Warum wird sie dann beim Staat zum Sündenfall erklärt? Jeder von der öffentlichen Hand investierte Euro zieht weitere private Investitionen und Ausgaben nach sich. Das stärkt die Steuersäckel und die Sozialversicherungssysteme.

In Deutschland würde die geplante Schuldenbremse in der Landesverfassung aber vor allem eines bewirken – die soziale Spaltung würde weiter vertieft, das Prinzip der Chancengerechtigkeit geschwächt und soziale Aufstiegsmöglichkeiten gebremst. Nur die Reichen können sich einen schlanken Staat leisten. Eltern, die genug Geld haben, können es sich leisten, ihre Kinder in private Einrichtungen zu schicken, wenn sich die unzureichende öffentliche Daseinsvorsorge in unterfinanzierten öffentlichen Kitas und Schulen zeigt.

Enorme Investitionen sind zudem in den Wohnungsbau, in die Infrastruktur und in die Integration erforderlich. Auch weil die starke Migrationsbewegung nach Baden-Württemberg eine Erfolgsgeschichte werden muss.

Die Initiative der Grünen zur Aufnahme der Schuldenbremse in die Landesverfassung, die Herausforderungen des Klimawandels und eine erfolgreiche Gestaltung der Verkehrswende – Stichwort Green New Deal – stehen im Widerspruch zueinander. Allein die ökologische Verkehrswende erfordert einen massiven Ausbau des Schienenverkehrs. Nur dann ist die gewünschte Verdoppelung der Fahrgastzahlen realistisch. Diese Investitionen können aber nur über Kreditaufnahmen in Extrahaushalten finanziert werden.

Auch wenn die vier Fraktionen das Gegenteil suggerieren: Das Land ist nicht verpflichtet, die Schuldenbremse in die Landesverfassung aufzunehmen. Nordrhein-Westfalen, Berlin, Sachsen-Anhalt, Thüringen und das Saarland haben die Anforderungen des Grundgesetzes nur mit einem einfachen Gesetz umgesetzt, um sich Investitionsspielräume zu bewahren.

Rigidere Regeln als im Grundgesetz

Über die Regelungen des Grundgesetzes hinaus sieht der baden-württembergische Gesetzesentwurf vor, dass zukünftig auch Extrahaushalte, nämlich "Fonds, Einrichtungen und Unternehmen des Landes", deren "Schuldendienst aus dem Landeshaushalt erbracht wird", in die Schuldenbremse einbezogen werden. Das lehnt der DGB ganz klar ab. Zukunftsinvestitionen wie in den öffentlichen Wohnungsbau oder in neue Schienenfahrzeuge würden erheblich erschwert.

Zudem würde die geplante Einbeziehung der Extrahaushalte einen enormen Privatisierungsdruck auslösen. Damit würden falsche Anreize gesetzt für Öffentlich-Private-Partnerschaften (ÖPP), weil der öffentlichen Hand wegen der strikten Schuldenbremse die Hände gebunden sind. Die Kosten für Kredite in ÖPP-Projekten sind aber viel höher als die der öffentlichen Hand – so wird etwa der Autobahnbau unnötig teuer. Dem Staat und der Allgemeinheit entstehen Nachteile, die Banken profitieren. Zugleich würden mit der Einbeziehung der Extrahaushalte Öffentlich-Öffentliche Partnerschaften (ÖÖP), wie bereits in Berlin und Hamburg beim Schulbau praktiziert, verunmöglicht. Nur Rheinland-Pfalz und Bremen haben ihre Extrahaushalte in die Schuldenbremse einbezogen, wie es nun auch Baden-Württemberg vorhat.

Über Streitfälle, ob Extrahaushalte einzubeziehen sind oder nicht, entscheidet letztlich die europäische Statistikbehörde Eurostat in Luxemburg. Die baden-württembergische Landespolitik würde ohne Not ihr Budgetrecht teilweise an eine demokratisch nicht legitimierte EU-Behörde abtreten. Davor warnen wir ausdrücklich.

Bereits kurz vor Weihnachten 2019 hatte Grün-Schwarz die Bestimmung in der Landeshaushaltsordnung verschärft, wonach in "außergewöhnlichen Notsituationen" von dem strikten Kreditaufnahmeverbot abgewichen werden könne, etwa im Fall einer neuen weltweiten Wirtschafts- und Finanzkrise, oder wenn der Klimanotstand ausgerufen wird. Künftig liegt die Hürde dafür aber viel höher. Statt einer Mehrheit der Mitglieder des Landtags ist dafür nunmehr eine Zweidrittelmehrheit erforderlich. Die neue baden-württembergische Regelung ist damit nicht nur rigider als ihre vorherige, sondern auch als die des Grundgesetzes, die für den Bund die Kanzlermehrheit zur Feststellung einer "außergewöhnlichen Notlage" vorsieht.

Wenn nun mit der geplanten Verfassungsänderung zusätzlich – wie im Dezember auch bereits mit Änderung der Landeshaushaltsordnung geschehen – auch noch die Extrahaushalte in die Schuldenbremse einbezogen werden, müssen künftige Generationen eine Zweidrittelmehrheit im Landtag erreichen, um diese Regelungen wieder rückgängig zu machen. Angesichts der zunehmenden Zersplitterung der Parteienlandschaft ist Skepsis angebracht. In einigen Jahren wird die Schuldenbremse im Grundgesetz möglicherweise gelockert. Es mehren sich einflussreiche Stimmen, die für eine Reform plädieren. Die Schuldenbremse in der hiesigen Landesverfassung wäre dann aber weiterhin in Kraft und würde die erforderlichen Investitionen im wahrsten Sinne des Wortes ausbremsen. Man kann es anmaßend finden, dass die derzeitigen Mitglieder der vier genannten Fraktionen Fakten schaffen, die selbst die Mehrheit künftiger Landtagsabgeordneter nicht korrigieren kann.


Martin Kunzmann ist DGB-Landesvorsitzender in Baden-Württemberg. Jendrik Scholz ist Abteilungsleiter Arbeits- und Sozialpolitik beim DGB Baden-Württemberg.

Was ist die Schuldenbremse?

Die Regelungen zu den Schuldenbremsen des Bundes (Artikel 109, 115 und 143d des Grundgesetzes) und der Länder (Paragraf 18 der Landeshaushaltsordnung bzw. der geplante Artikel 84 der Landesverfassung Baden-Württembergs) haben wie der europäische Fiskalpakt und die Maastrichter Konvergenzkriterien zum Ziel, Kreditaufnahmen zur Finanzierung öffentlicher Aufgaben möglichst zu unterbinden oder zumindest stark einzuschränken. Damit werden die Spielräume für öffentliche Ausgaben zwangsläufig reduziert – Stichwort schlanker Staat.

Dieser Ansatz im Sinne des österreichischen Ökonomen Friedrich August von Hayek (1899 bis 1992) zielt auf die Schwächung der Umverteilungs- und Gestaltungsfähigkeit des Staates zugunsten der besitzenden und zulasten der besitzlosen Bevölkerungsgruppen. Zudem beschneidet er das Budgetrecht demokratisch gewählter Parlamente.

Die Obergrenzen für Kreditaufnahmen oder Schuldenstände auf den unterschiedlichen Ebenen sind allesamt nicht wissenschaftlich begründet, sondern politisch willkürlich festgelegt. Zusammenfassend kann diese ideologische – wie das Beispiel Baden-Württembergs zeigt – weiter sehr wirkungsmächtige Schule als neoliberale Austeritätspolitik charakterisiert werden. (kun/olz)


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1 Kommentar verfügbar

  • Dr. Diethelm Gscheidle
    am 12.02.2020
    Antworten
    Sehr geehrte Damen und Herren,

    das darf doch wohl nicht wahr sein! Da befürworten ansonsten sehr unredliche Parteien wie die Bevormundungs-Bündnisgrünen und die Staatsverschuldungs-Sozen einmal in ihrer Parteigeschichte eine vernünftige Regelung, die verhindern soll, dass der Staat und damit das…
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