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Ganz große Oper

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Es ist notwendig, dass die öffentliche Hand Steuergelder bereitstellt, um das Große Haus technisch endlich auf den neuesten Stand zu bringen, meint unsere Autorin. Und um einen Spielbetrieb aufrecht zu erhalten, der Tradition und Renommee entspricht. Nur leider hat die Summe neun Nullen.

In der Stadt des Tiefbahnhof-Debakels wollen die Grünen neue Wege gehen. Optimierte Kostensteuerung heißt die neue Herangehensweise technokratisch. Deshalb ist paradox, dass sie zum ersten Mal publikumswirksam angewendet werden soll für die Bretter, die die Welt bedeuten. "Mit noch mehr Transparenz, Offenheit, Gründlichkeit und einer verstärkten Bürgerbeteiligung will das Land bei der Kostensicherheit von Bauvorhaben neue Wege gehen", heißt es im Hochglanztext von Finanzministerin Edith Sitzmann, als sie die neuen Verfahren vorstellt.

Für die Sanierung der Oper läuft das konkret auf 740 bis 960 Millionen Euro hinaus, die irgendwann Anfang der 2030er-Jahre geflossen sein werden. Und Finanzstaatssekretärin Gisela Splett legt ausdrücklich Wert auf die Feststellung, die Differenz von 200 Millionen sei gerade nicht Ausdruck von Un-, sondern von Seriosität und wohlbedachter Risikovorsorge. Umgerechnet aufs Jahr, zehn Jahre unterstellt, geht's also, den Höchstbetrag zu Grunde gelegt, um 50 Millionen Euro jeweils für Stadt und Land. Das ist viel Geld. Demgegenüber steht allerdings allein ein Landesetat mit einer Milliarde Ausgaben für Bau oder Sanierung, und das per anno.

Operninterim soll in die "Maker-City"

Und noch eine Überraschung hatten Land und Stadt, Wissenschaftsministerin Theresia Bauer, Splett und OB Fritz Kuhn – bekanntermaßen alles Grüne, was für den Fortgang der Dinge nicht unwichtig ist – im Verwaltungsrat zu präsentieren. Denn dessen endgültige Zustimmung irgendwann im Frühjahr 2020 vorausgesetzt, ist auch die Frage der Interimsspielstätte endgültig gelöst: Die wird nicht am Beginn der Königstraße stehen, nicht auf den Gründen der Post, nicht im "Kulturschutzgebiet". Schon allein für die "Sprachkreativität", die in dem Begriff steckt, mag der studierte Linguist im OB die experimentierfreudige Wagenhallen-Truppe ganz besonders leiden.

Mehrere Gespräche mit Kuhn selber hatten die Kulturschaffenden der Wagenhalle geführt. Einerseits ist das Dasein der Container-City ungenehmigt und ergo kein Dauerzustand, andererseits aber bereits eingegangen in die DNA der Stadt und ihrer "kulturbeflissenen Bürgerschaft", zu der sich Kuhn, wie er schon mal sagt, selber zählt. Die logische Konsequenz ist die Verschiebung des Interimsbaus weg vom Kulturdorf und raus auf den Stadtacker nach Norden. Die Taskforce des Rathauses hat sich für einen Platz in der künftigen "Maker-City" ausgesprochen, dem neuen Stadtlabor, das auf dem Areal C1 entstehen wird mit seinen Mischansiedlungen für Wohnen und Arbeiten. Zwei fünfstöckige Gebäude sollen zunächst die Oper und dann Start-ups beherbergen. Hinzu kommen Bühnen und Zuschauerraum, deren Ausstattung nach Nutzungssende veräußert werden soll, etwa nach dem Beispiel der Olympischen Spiele in London 2012, wo nachher ganze Sportstätten ab- und andernorts wieder aufgebaut wurden.

Für Stuttgart ist eine konkrete Rechnung erstellt: Die fünfstöckigen Gebäude samt Stellplätzen finanziert die Stadt mit 84 Millionen Euro, alles andere teilen sich Stadt und Land als die beiden Träger der Württembergischen Staatstheater je zur Hälfte. Nach Abzug der Verkaufserlöse werden hierfür 47 Millionen Euro für jede Seite fällig. Zum Vergleich: Die von Kuhn gestoppte Interimslösung auf dem Areal des Paketpostamts hätte jeweils 58 Millionen Euro für beide Kostenträger bedeutet, und nach dem Rückzug der Oper wäre das Gebäude abgerissen worden. Außerdem, darauf weist die Taskforce mit Nachdruck hin, wäre dieses Gelände überhaupt nur dann für die Oper frei geworden, wenn die Post sechs Hektar Innenstadtfläche als ihr neues Quartier bekommen hätte.

Neckarphilharmonie ade

Auch eine zweite, durchaus erfrischende Idee hat sich als unrealisierbar erwiesen. Jener Teil der Stadtgesellschaft, die sich im "Aufbruch" von Wieland Backes & Co. zusammenfand, hatte den Komplex Königstraße 1 bis 3 ins Gespräch gebracht. Schon vor der Sommerpause erteilte Baubürgermeister Peter Pätzold, ein weiterer Grüner, dem Vorschlag eine klare Absage, weil der Bühnenturm mit 40 Metern so hoch gewesen wäre wie das heutige, zum Abbruch vorgesehene Hotel Am Schlossgarten – und damit die Anlieferung von Opernkulissen verhindert hätte.

Im Verwaltungsrat wurde diese Absage noch einmal erläutert. Ebenso das große teure Ganze, von dem manch Stuttgarter wohl hoffte, es könne Dimensionen annehmen wie die Elbphilharmonie in Hamburg. Am Neckar aber wird das große Ganze kein Neubau sein, weil, sagt Wissenschaftsministerin Bauer, noch nie jemand habe erklären können, wie eine Schmalspursanierung und ein weiterer hochmoderner Großkomplex an anderer Stelle billiger sein können.

Also soll die alte Oper im Littmann-Bau ihre Kreuzbühne bekommen, zum in allen modernen Häusern üblichen Austausch von Bühnenbildern. Und natürlich die anderen Veränderungen, die für den Spielbetrieb auf jenem Niveau benötigt werden, das dem Haus am Eckensee die Mehrfach-Adelung zur "Oper des Jahres" eingetragen hat. Einer der Beteiligten führt als Beispiel für die bisherige Beschränktheit sogar "Don Carlos" an. Die Verdi-Oper in ihrer französischen Langfassung hatte Ende Oktober Premiere. Das Bühnenbild ist auffallend karg und lebt fast ausschließlich vom Einsatz der Drehbühne.

Jahrhundertaufgaben sollen auch was kosten dürfen

Hinter den verschlossenen Türen im neunten Stock des Wissenschaftsministeriums, wo der Blick über den Talkessel im Idealfall Hirn und Herz weitet, diskutierte der Verwaltungsrat auch darüber, dass Zeit Geld ist. Ohnehin hat das Schauspiel um die Opernsanierung bereits Überlänge. Schon im Sommer 2015 sollte der "große Wurf", wie es damals hieß, Gestalt annehmen, der Verwaltungsrat beschloss erste Leitlinien für die Renovierung des – die MitarbeiterInnen-Zahl zu Grunde gelegt – größten Opernhauses der Welt. Der Oberbürgermeister brachte damals als "Hausnummer" einen Betrag von 300 bis 400 Millionen Euro ins Spiel, während Kretschmann lieber "dem Fluch der ersten Zahl" entgehen wollte und über die Bedeutung der Stuttgarter Oper sprach, die er selber regelmäßig als Kenner und Liebhaber aufsucht. Es handele sich um eine Jahrhundertaufgabe, schon deshalb wolle er das Thema Kosten lieber "gelassen" sehen.

Daran geändert hat sich wenig bis nichts. Allerdings stehen zwei wichtige Wahlkämpfe vor der Tür – um den Posten des oder der OB und zum Landtag. Jede weitere Verzögerung kostet Experten zufolge zusätzliche 30 bis 50 Millionen Euro im Jahr. Die CDU hat sich bisher um Positionierungen weitgehend gedrückt. Und es könnte gut sein, dass ihre allzeit kampfbereite Spitzenkandidatin für die Landtagswahl Susanne Eisenmann – aus ihrer Sicht durchaus nachvollziehbar – den vielen Grünen den Erfolg nicht gönnen will. Schon am Rande der Verwaltungsratssitzung problematisierten einige der TeilnehmerInnen mit umwölkter Stirne diese "Riesensumme" und geeignete Wege, auf denen nicht opernaffinem Wahlvolk die Problematik einer derartigen Investition nahezubringen sei.

Edith Sitzmann hätte da einen Vorschlag. Als die Finanzministerin die neue "optimierte Kostensteuerung" anpries, setzte sie die Kosten für die Oper ins Verhältnis zu anderen Ausgaben: Das Land sei zwischen Main und Bodensee der größte Bauherr, zahlt aktuell für rund 1800 Einzelprojekte, darunter ebenfalls über Jahrzehnte unsanierte Bauten, wie an der Uni Vaihingen am Pfaffenwald-Ring, wo für den neuen naturwissenschaftlichen Campus mit 50 000 Quadratmetern zwischen 600 und 800 Millionen Euro veranschlagt sind aus dem Landesetat und ohne Kostensteigerung.


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13 Kommentare verfügbar

  • Hans Dietrich
    am 08.02.2020
    Antworten
    Bei der Finanzierung der Staatsoper bin ich ganz bei Marla. Warum finanzieren die Eliten nicht ihren Kulturtempel (teilweise) selbst und verkaufen von mir aus Schampus, so wie anderswo Kuchenstände zur Finanzierung des Vereinsleben gemacht werden.

    Klar, Kultur (jed weder Art) ist irgendwie auch…
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