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Kreuzfahrt

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Grohmanns "Wettern der Woche": Wenn das Schiff sinkt, geht der Käpten immer zuerst von Bord. Nicht der Wulff, da sinkt ja nix, sondern Herr Schettino (ital: der Schatten). Was für ein Name! Der Käpten der Costa Concordia wurde beim voreiligen Landgang erwischt.

Wenn das Schiff sinkt, geht der Käpten immer zuerst von Bord. Im vorliegenden Falle eben nicht Wulff, denn da sinkt ja nichts, da brennt auch nichts an, sondern dieser Käpten heißt Fransesco Schettino (italienisch: der Schatten). Was für ein Name! Der Erste Mann der Costa Concordia wurde beim voreiligen Landgang erwischt und festgenommen. Wollte er das Weite suchen? Lilien pflücken? Jene grazilen und extravaganten Blumen, deren Salbe schon zu Zeiten der alten Griechen den heimkehrenden Kriegern auf den Ranzen geschmiert wurde, um die Pein verlorener Schlachten zu lindern?

Eins nach dem anderen! Schettino wollte zuerst einer Gruppe eingebetteter Journalisten Interviews geben – Kollegen, die sich aus naheliegenden Gründen selbst nicht mehr auf die Dampfer trauen, sondern im sicheren Hafen zuschauen. Und er wollte es zweitens jenem anderen Käpten gleichtun und gewissermaßen einen Exklusivvertrag mit "Bild" schließen. Daraus wurde nichts, weil das Schiff ja nicht wirklich gesunken ist. Daraufhin winken natürlich alle Journalisten müde ab. Wen interessiert schon ein nicht sinkendes Schiff, noch dazu bei der vergleichsweise geringen Zahl an Opfern?

Einerseits! Andererseits – man erinnert sich nicht – sank im Mittelmeer in den letzten Jahren so manches gut besetzte Boot, ohne daß ein Hahn danach gekräht hätte. 8200 Tote im Mittelmeer und im Atlantik, 2500 Tote im Kanal von Sizilien, 4000 Tote zwischen Nordafrika und Spanien, 900 in der Ägäis – Flüchtlinge, die selbst Gaddafi seligen Angedenkens und trotz massiver demokratischer Hilfe nicht von ihren Rundfahrten abhalten konnte. Für sie ist immer Saison. Freilich – im Gegensatz zur Costa Concordia, deren Passagiere den Rettern glücklich in den Armen lagen, wurde und wird hier der Landgang verwehrt: Das Boot ist voll, wie der Volksmund beziehungsreich sagt.

Peter Grohmann. Foto: Martin StorzAuf den Instinkt der Kapitäne ist Verlass. Sie wissen, wann es so weit ist. Berlusconi,der andere Italiener, ist von Bord, hat aber die Schiffskasse, die Schiffsglocke und den gesamten Proviant mitgenommen. Mubarak wurde beim Landgang erwischt, doch er hatte seine Schäfchen längst im Trockenen. Hamid Karsai, der schwarze Afghane, denkt nicht ans Gehen, solange er relativ gut in Lohn und Brot steht, also ein geregeltes Einkommen hat. Anders die alten Griechen, denen fehlt's am Einkommen – und am Auskommen. Die ollen Rentner bleiben zu Hause, nix Ouzo, allenfalls selbst gebrannt. Aber die jungen Griechen gehen jetzt verstärkt auf Kreuzfahrt. Und so schnell kommen die auch nicht wieder.

 

Peter Grohmann ist Kabarettist und Gründer des Vereins Die Anstifter.


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