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Die Wahrheit unter Zeitdruck

Die Wahrheit unter Zeitdruck
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Sie ist aufgewachsen mit zwei Zeitungen und der Prämisse, dass Geld nicht alles ist im Leben. Berufswunsch: Journalistin. Heute ist unsere Autorin 22 Jahre alt, Studentin an der HdM und um einige Illusionen ärmer. Schnörkellos erklärt sie, warum sie dem Journalismus den Rücken gekehrt hat – und jetzt PR macht.

Schreiben wollte ich schon immer. Die Wahrheit zu sagen, liegt mir ebenfalls. Das meine ich ohne Wertung, ganz neutral. Ob eine Ampel rot ist oder nicht, dafür braucht man erst einmal keine eigene Meinung. Im Journalismus ist das ähnlich. Er soll aufklären, informieren und vor allen Dingen zur Meinungsbildung beitragen. Dabei bedient er sich an Fakten. Das vorneweg. Die Bedeutung von Politik, der Gesellschaft, aber auch der Wirtschaft wurden mir stets mit auf den Weg gegeben, und es interessiert mich. Es ist wichtig.

Meine journalistische Laufbahn beginnt, wie vermutlich beim Großteil des Nachwuchses, in einer Lokalredaktion. Bei der "Nord-Rundschau" in Stuttgart arbeite ich nach meiner Fachhochschulreife ein knappes Jahr lang. Treffe Menschen, stöbere Geschichten auf, wo ich oftmals keine vermutet hatte. Es gibt so viel zu erzählen und noch viel mehr zu entdecken. Dennoch schleichen sich die ersten Zweifel an meiner angehenden Berufswahl ein. Ich treffe freie Schreiberinnen und Schreiber, die schwer oder gar nicht von ihrem Geld leben können, kaum bei ihrer Familie sind, weil sie jede Zeile, jedes Bild für ihren Kontostand brauchen. Texte werden Teil einer Kostenlos-Kultur, der Absatz der Zeitungen sinkt stetig. Dennoch und gerade deswegen entscheide ich mich ganz bewusst für ein journalistisches Studium. Ich finde, Journalismus muss für die Gesellschaft wieder attraktiver werden.

Feilschen um jeden Cent

Nach zwei Semestern Grundstudium heißt es dann: eine Entscheidung treffen. Journalismus oder PR? Wahrheit oder Werbung? Oder wie mein Dozent sagen würde: "Stellen sie sich eine Pressekonferenz vor. Der Journalist sitzt auf der einen Seite und will wissen, was wirklich passiert ist. Der Pressesprecher sitzt auf der anderen Seite, und er beantwortet die Frage so, wie er sie vorbereitet hat." Zwei Welten, die sich nicht nur hinsichtlich Haltung und Anspruch auf Wahrhaftigkeit unterscheiden. Auch was den Verdienst angeht, liegen PR und Journalismus Galaxien auseinander.

Das Studium finanziere ich aus eigener Tasche. Damit das auch funktioniert, beginne ich in einer PR-Agentur zu arbeiten. Da ich den Journalismus aber nicht aufgeben will, bin ich nebenher nun in der Redaktion der "Cannstatter Zeitung" (CZ) tätig. Was nach der Schule noch ein willkommener Zusatzverdienst war, als Dinge wie Miete und Lebensmittel noch nicht in meiner Zuständigkeit lagen, wird nach meinem Auszug und während meinem Studium ein hartes Brot. Ich quäle mich durch Honorargespräche, in denen mir Angebote von 20 Cent die Zeile und zehn Euro pro Bild gemacht werden. Ich besuche Termine, führe Interviews, ich schreibe den Text. Für nicht einmal 25 Euro. Brutto. Nach dem Feilschen um Cent-Beträge schaffte ich es auf sagenhafte 40 Cent pro Zeile.

Mehr Stoff, weniger Qualität

Das einzige Mantra: mehr Zeilen und mehr Bilder. Getreu dem Motto Quantität vor Qualität. Das wird gefordert, und im Anschluss daran wird sich gewundert, warum es der Branche immer schlechter geht. Schleichend geht mir nun auch der Spaß daran verloren. Ich recherchiere nicht mehr so gut, die Interviews werden kürzer. Mein Anspruch ist eigentlich ein anderer. Meiner Meinung nach sollte Qualität eine Möglichkeit der Rettung sein. Ein Chefredakteur sagt zu mir, der eigene Anspruch sei zwar lobenswert, aber nicht vonnöten. Kurz war er – der Traum, einmal Journalistin zu sein. Die Realität gleicht einem harten Schlag ins Gesicht. Die Missstände, die mir in dieser Zeit begegnet sind, lassen das Herz bluten: Überschriften kopieren, teilweise ganze Textpassagen abkupfern oder das "Überlesen von Rechtschreibfehlern" sind keine Seltenheit.

Und da ist sie wieder, die PR, sie winkt und ruft mir zu: "Komm rüber! Hier ist alles besser." Besser nicht, aber dankbarer. Ich arbeite also mehr in der Agentur, warte seit Monaten auf mein Geld aus der Redaktion. Monatelang werde ich nicht bezahlt, beharre auf meinem Geld, auch wenn es sich nicht um Millionensummen handelt. Das Geld kommt nicht, dafür die Kündigung. Bezahlt werde ich vorerst mit lautem Geschrei, das die Zusammenarbeit endgültig für beendet erklärt. Und nun?

Auch mein Kommilitone quälte sich neben Streik und Honorargesprächen durch unzählige Anrufe und Mails, die unzählige Nachfragen nach seinem Gehalt beinhalten. Man bekommt den Eindruck, dass all die Diskussionen um Cent-Beträge am Ende doch zu nichts führen. Dank vehementem Nachhaken trudeln nach und nach immer wieder kleine Quäntchen auf meinem Konto ein. Meinem Kommilitonen ging es ähnlich: Drei Monate nach seinen ersten Terminen hat er sein erstes Geld gesehen. Man spricht über den Unmut und stellt mit Bedauern fest: alles kein Einzelfall.

Idealismus zahlt die Miete nicht

Genauso bewusst, wie ich mich für den Journalismus entschieden habe, genauso bewusst entscheide ich mich jetzt dagegen und laufe in die offenen Arme der PR. Die Entscheidung nach meinem Grundstudium ist dementsprechend ausgefallen. Kontext-Redakteur Josef-Otto Freudenreich sagte mir in diesem Zusammenhang, dass es mehr als verständlich sei, wenn einem bei solch einer Entscheidung eine Träne im Knopfloch hinge. Ein sehr treffendes Bild. Also laufe ich weiter geradeaus und schaue dabei zurück. Wer weiß denn schon, was dabei auf der Strecke bleibt. Ist es ein Traum? Ist es die Wahrheit? Auch auf dieser neuen Straße werden Ampeln kommen, und ich werde mir stets Mühe geben, die Ampel auf orange zu halten. Denn so ist sie nicht grün, aber eben auch nicht rot – alles Interpretationssache.

Den Journalismus betrachte ich weiterhin als unverzichtbare und wichtige gesellschaftliche Aufgabe, die zunehmend an Attraktivität für all jene verliert, die ihn betreiben. Die traurige und brutale Erkenntnis prügelt sich jungen Journalisteninnen und Journalisten schnell ein: Idealismus ist ganz nett, aber am Ende des Monats lächerliche Beträge für eine zehrende Arbeit zu bekommen, kratzt an der Würde und dem Selbstwertgefühl.

Das Leben ist kein Wunschkonzert. Wäre es jedoch eines, würde ich mir wünschen, dass der Journalismus und die Arbeit, die dahintersteckt, entsprechend entlohnt wird. Heißt? Ich ziehe mir die rosarote Brille auf und sehe eine schnelle und faire Bezahlung. Einen stetig existierenden Anspruch daran, der Wahrheit im Text so nah wie möglich zu kommen und einer Copy-and-Paste-Kultur entgegen zu wirken. Denn alle reden immer von Fake News, die, so denke ich, ständig voneinander abgeschrieben werden. Gründlich und qualitativ gut zu arbeiten braucht Zeit. Zeit ist Geld.

Abschließend gilt es also zu betonen: Geld ist nicht alles, aber auch eine Form der Wertschätzung. Und genau die erfährt man als junge Journalistin in dieser Branche nicht. Eines ist klar, und ich erlaube mir die Überspitzung: Reich werden war nie mein Ziel, aber arm sein genauso wenig.


Nele Günther, 22, Studentin an der Hochschule der Medien (HdM), immer auf der Suche nach der Wahrheit, arbeitet seit einem Jahr im Agenturbusiness.


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7 Kommentare verfügbar

  • Philipp D.
    am 11.04.2019
    Antworten
    Zitat: "Das Geld kommt nicht, dafür die Kündigung. Bezahlt werde ich vorerst mit lautem Geschrei, das die Zusammenarbeit endgültig für beendet erklärt. Und nun? "
    Diese Passage im Text ist mir nicht ganz klar geworden. Hat der Redakteur/Redaktionsleiter der Autorin lautstark die Zusammenarbeit…
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