KONTEXT:Wochenzeitung
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Digital first, Planet second

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5G-Ausbau, Smart City, Industrie 4.0 – das sind die Versprechen für eine glorreiche Zukunft. Der ökologische Fußabdruck der Digitalisierung allerdings treibt umweltbesorgten Menschen die Schweißperlen auf die Stirn.

Die Folgen der industriellen Produktion, des Wachstumswahns und des Hyperkonsums lassen Meeresspiegel ansteigen, verknappen das Wasser, trocknen Äcker und rotten Arten aus und entziehen der Existenz der Menschheit die Grundlage. Die Konzentration der Treibhausgase Kohlendioxid, Methan und Distickstoffoxid in der Atmosphäre hatte 2017 einen Rekordanstieg. Um diesen Anstieg zu stoppen, sind auch die Städte gefordert.

Die Smart City, die komplett vernetzte Stadt, wird als Teil der Lösung präsentiert. Sie sei der Schritt zur intelligenten, ökologischen Stadt. Weil man in ihr Daten von allen Vorgängen habe, könne man in allen Bereichen nachhaltig planen, vor allem Rohstoffe und Energie einsparen.

Die nüchterne Analyse der ökologischen Folgen ergibt allerdings: Die Smart City wird zum Teil des Problems. Millionen neuer Geräte werden gebraucht, um der Industrie 4.0, der Smart City, dem Smart Home, der Smart School oder dem autonomen Fahren den Weg zu ebnen. Und die Aussicht auf Wirtschaftswachstum verstellt wie so oft den Blick auf die notwendige Technikfolgenabschätzung.

Fundierte Einwände gegen die Folgen der Digitalisierung, etwa gesundheitliche Risiken, eine autoritäre, die Totalüberwachung möglich machende Technik und letztlich ein unverantwortbarer zusätzlicher Energie- und Rohstoffverbrauch, werden eher als Randnotiz denn als Gefahr wahrgenommen. Die zukünftige smarte Lebensführung wird als revolutionär angepriesen, die nackten Verbrauchsparameter allerdings treiben jedem umweltbesorgten Menschen die Schweißperlen auf die Stirn.

Neue Bundesländer: Manganien und Sulfidonien

Auf die Frage, wie viele Bundesländer es in Deutschland gibt, würde jeder halbwegs gebildete Mensch mit 16 antworten. Derzeit sind es aber 18 – strenggenommen! Zwei neue, sehr unwirtliche Gebiete, dafür aber proppenvoll mit Rohstoffen, für die die Bundesrepublik Lizenzen erworben hat, werden gerne außer Acht gelassen.

Von 2006 bis 2021 hat sich Deutschland ein 75 000 Quadratkilometer großes Tiefseeareal im äquatornahen Nord-Pazifik gesichert, den sogenannten Manganknollengürtel zwischen Hawaii und Mexiko. Hinzu käme das 18. Bundesland im Indischen Ozean mit 10 000 Quadratkilometern, für das Deutschland von 2015 bis 2030 Abbaurechte an Massivsulfiden hat. Bei beiden zielt man darauf ab, in Tiefen von bis 6000 Metern Rohstoffe wie Kupfer, Nickel und Kobalt in gigantischen Mengen (25 bis 40 Milliarden Tonnen) gewinnen zu können. Der Rohstoffhunger der gesamten Welt macht auch vor den entlegensten Winkeln der Erde nicht Halt, und noch bevor diese wenig erforschten Naturräume wissenschaftlich verstanden sind, fallen sie riesigen Explorationsmaschinen zum Opfer.

Mangels eigener Rohstoffvorkommen oder schlicht wegen zu hoher Umweltauflagen bei ihrer Ausbeutung weichen Industrieländer gerne auf fremde Territorien aus. Mit geschickter Politik und Diplomatie sichern sich Industrienationen so ihren Anteil am Rohstoffkuchen.

Iim Hintergrund klärt das Bundeswirtschaftsministerium direkt mit dem Bundesverband der deutschen Industrie (BDI) und seinem "Ausschuss für Rohstoffpolitik", wie und wo die Rohstoffversorgung der Wirtschaft politisch gefördert beziehungsweise abgesichert werden kann und muss. Wörtlich: "Die Verfügbarkeit von Rohstoffen wird zu einer zentralen Herausforderung für das Industrieland Deutschland. Nur mit High- Tech-Rohstoffen werde es Zukunftstechnologien 'made in Germany' geben, erklärte BDI-Präsident Dieter Kempf." Das ist Lobbyismus in Reinkultur, ohne Vertretung von Umweltorganisationen oder der Betroffenen der Abbaugebiete.

Viel Leid für ein neues Smartphone

Beginnend im Jahr 2011 veröffentlicht die EU ihre Liste kritischer Rohstoffe. Erstmals wurden 14 genannt. <link https: ec.europa.eu transparency regdoc rep de com-2017-490-f1-de-main-part-1.pdf _blank external-link-new-window>Im aktuellen Bericht ist schon von 27 solcher Ausgangsprodukte die Rede. Hauptkriterien, die zu einer kritischen Bewertung führen, sind hier vor allem die wirtschaftliche Bedeutung und die Versorgungssicherheit der Industrieländer. Fast alle der im Einzelnen genannten Rohstoffe spielen für die Digitalisierung eine zentrale Rolle: Antimon, Baryt, Beryllium, Borat, Bismut, Kobalt, Kokskohle, Flussspat, Gallium, Germanium, Hafnium, Helium, Indium, Magnesium, Natürlicher Grafit, Naturkautschuk, Niob, Phosphorit, Phosphor, Scandium, Siliciummetall, Tantal, Wolfram, Vanadium. Metalle der Platingruppe: Iridium, Platin, Rhodium, Ruthenium, Palladium. Hinzu kommen leichte- und schwere Seltene Erden.

Vor allem bei Lithium, leichten und schweren Seltenen Erden oder bei Tantal übersteigt der zukünftige Bedarf die heutigen Fördermengen um etwa das Dreifache. Bei diesen Stoffen schlägt sich die (noch) geringe Recyclingquote auf die primäre und damit maximal umweltschädliche Entnahmemenge und -form nieder.

Zusammen mit Silber, Kupfer, Aluminium, Zinn, Wolfram, Platin, Indium und Gallium sind damit auch schon die wesentlichen Bausteine der Industrie 4.0 mit ihren Zukunftstechnologien genannt. Unmengen an neuen Sensoren, Displays, Mikrochips, Radio-Frequency-Identification (RFID)-Systeme und die dafür notwendigen verbindenden Lote (Legierungen) werden gebraucht.

Aber auch schon in unseren heute verfügbaren digitalen Geräten, den Smartphones, Tablets, Routern, Wearables oder Spielekonsolen steckt dieser brisante Rohstoffcocktail. Beispiel Smartphone: Jedes der rund sieben Milliarden produzierten Geräte weltweit seit 2007 schleppt laut der Verbraucherzentrale NRW einen Ökologischen Rucksack von etwa 75 Kilogramm mit sich herum – bei einem Eigengewicht von rund 100 Gramm.

Es sind nicht nur die ökologischen Schäden. Die sozialen Auswirkungen für die in den Fördergebieten und Minen arbeitenden Menschen sind alles andere als menschenwürdig. Das von der UNO gut dokumentierte Beispiel der Demokratischen Republik Kongo steht stellvertretend für viele Länder und Regionen: Seit den Sechzigerjahren taumelt das Land von einem Bürgerkrieg zum nächsten.Profiteure der Auseinandersetzungen zwischen Staat und Rebellengruppen sind die rohstoffbeziehenden Konzerne. Im Kampf um die lukrative Minenausbeutung im Land werden Waffen gegen Rohstoffe getauscht. Ein Bericht der Deutschen Welle von 2018 beschreibt die Lage wie folgt: "Auch im Osten der rohstoffreichen Demokratischen Republik Kongo herrscht Gewalt. Milizen, Rebellen, Banditen, Armee und Polizei kämpfen gegeneinander. Den Milizen geht es zumeist um die Kontrolle über die reichen Bodenschätze der Region. Insgesamt sind rund 4,5 Millionen Menschen innerhalb des afrikanischen Staates auf der Flucht. Knapp 700 000 flüchteten ins Ausland. Die UN bemühen sich, das Land mit Hilfe einer rund 17 000 Mann starken Friedenstruppe zu stabilisieren."

Endlos könnte man solche Berichte aneinanderreihen. Die Opferzahlen schwanken zwischen drei bis vier Millionen Menschen. Es sind die immer gleichen Auswirkungen des Rohstoffabbaus: schlechte Arbeitsbedingungen, viel Leid durch mangelnde Nahrungs-, Gesundheits- oder Bildungsversorgung, rücksichtslose Naturzerstörung und in der Folge Entzug von Lebensgrundlagen für Mensch, Tier und Pflanzen, weit über die eigentlichen Abbaugebiete hinaus. 

Dabei wäre es ein Leichtes, die Herkunft der blutigen Minerale exakt nachzuvollziehen und zu sanktionieren. Über einen sogenannten analytischen geochemischen Herkunftsnachweis lassen sich Mineralien einzelnen Abbaugebieten oder Minen zweifelsfrei zuordnen. Die Umsetzung würde allerdings ein anderes Problem aufwerfen: Es gibt kaum konfliktfreie Mineralien beziehungsweise Abbaugebiete. Dies musste der holländische Hersteller des Fairphones bei seinem Mobiltelefon einschränkend zu bedenken geben. Derzeit stecken immerhin die vier fair gewonnenen Mineralien Zinn, Wolfram, Tantal und Gold im nachhaltigsten Smartphone, das es derzeit zu kaufen gibt.

Massiv wachsender Stromverbrauch

Erfüllen sich alle Wünsche der Wirtschaft zur Digitalisierung, stehen uns massiv wachsende Stromverbräuche ins Haus. So wird der globale Stromverbrauch der Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) von aktuell ca. 2300 Terawattstunden (TWh) bis zum Jahr 2030 auf etwa 8000 TWh taxiert. Allein das Internet hat damit zehn Prozent Anteil am weltweiten Stromverbrauch und wäre damit auf Platz drei im internationalen Ranking. Bis 2030 soll sich dieser Anteil auf 30 Prozent hochschrauben. Mittlerweile sind 350 sogenannte Hyperscale-Rechenzentren am World Wide Web und selbstverständlich auch am Stromnetz.

Während bisher Hyperscale-Zentren auf Sportplatzgröße mit einem Stromverbrauch einer mittleren Stadt untergebracht wurden, reichen die Dimensionen heute am Beispiel des Leftal Mine Datacenter in Norwegen bis zu 120 000 Quadratmeter (16 Fußballfelder), einer Kühlleistung von 45 Megawatt und einer installierbaren Rechnerleistung von 200 Megawatt. Genug, um damit eine moderne Großstadt vollkommen mit Strom zu versorgen.

Notwendig ist dieser Leistungssprung in der Infrastruktur durch den immens steigenden Datenverkehr. Allein im Zeitraum 2015 bis 2020 wird sich die weltweit gespeicherte Datenmenge in Rechenzentren um den Faktor fünf auf dann 915 Exabyte erhöhen. Frankfurt steigert in nur zwei Jahren seine Rechenzentrumsfläche um 20 Prozent von 500 000 auf 600 000 Quadratmeter. Nicht nur in Deutschland ist das ein Milliardenmarkt mit annähernd zweistelligen Wachstumsraten.

Server und Rechenzentren verbrauchten in Deutschland 2016 zusammen 12,4 Milliarden Kilowattstunden (kWh) Strom. Ein Anstieg um knapp 20 Prozent seit 2010. Bis 2025 wird mit einem Verbrauch von 16,4 Milliarden kWh gerechnet. Theoretisch schlummern hinter solchen Energieleistungen auch immense Einsparpotenziale. Bei Abwärme, Kühlung, effizienzoptimierten Servern und Datenspeicherung konnten in den letzten Jahren Kohlendioxideinsparungen zwischen 30 bis 90 Prozent erzielt werden. Jedoch kommt die naheliegende Kraft-Wärme-Kopplung erst bei 15 Prozent der Betreiber zum Einsatz. Rechenzentren könnten die Heizkraftwerke der Zukunft sein.

Wenn sich allerdings die Rechnerleistung pro kWh alle 1,5 Jahre verdoppelt, gleichzeitig aber immer mehr Geräte produziert und genutzt werden und dabei deren verbaute Prozessorleistung stark ansteigt, verpufft das Einsparpotenzial. Bis 2020 werden ca. 32 Milliarden Dinge über das Internet vernetzt sein. Dieser Datenaustausch trägt zum jährlichen 20-prozentigen Datenwachstum bei und wird auch den Energieverbrauch drastisch steigern.

Schon der Bitcoin torpediert die Klimaziele

Einen Fingerzeig, woher die zunehmenden Datenmengen kommen, liefern die Verkaufszahlen von Endgeräten. 2016 wurden in Deutschland mehr als 20 Millionen Smartphones verkauft, Erlöse aus hochwertigen Flachbildfernsehern hatten rund 300 Prozent Zuwachsraten, Wearables wie Fitnesstracker oder Smartwatches spülten gut 80 Prozent mehr in die Händlerkassen. Da nehmen sich die 25 Prozent Steigerung beim Verkauf von hochwertigen (smarten) Home-Audiosystemen fast schon bescheiden aus. Dabei stützen sich die immer effizienteren Geräte wie bereits erwähnt nicht selten auf Rechenkapazität, Speicherplatz und Dienstleistungsangebote aus der Cloud im Hyperscale-Rechenzentrum. Der ausgewiesene (verhältnismäßig geringe) Energieverbrauch des genutzten Gerätes verschleiert deshalb die Gesamtbilanz benötigter Ressourcen- und Energiequellen im Hintergrund.

Den Vogel als Energietreiber schlechthin schießen aber Blockchain-Anwendungen mit einer Proof-of-Work-Absicherung ab, wie sie beispielsweise bei der Kryptowährung Bitcoin zum Einsatz kommen. Eine einzige Transaktion zieht 500 kWh Stromverbrauch nach sich. Deshalb trauen die Autoren eines <link https: www.nature.com articles s41558-018-0321-8 _blank external-link-new-window>Artikels in der wissenschaftlichen Fachzeitschrift "Nature Climate Change" Bitcoin alleine das Potenzial für eine Erderwärmung über das Zwei-Grad-Ziel hinaus zu.

So wird auch der Gesamtstromverbrauch nicht fallen, wenn für die neue 5G-Technik der mobilfunkgestützten Datenübertragung nur noch ein Tausendstel Stromverbrauch pro Byte veranschlagt wird, das System gleichzeitig aber auf die Kommunikation von 100 Milliarden Geräten ausgelegt ist und 2050 ca. 50 Milliarden solch vernetzter Geräte in Interaktion erwartet werden.

Auch materiell stehen alle Signale auf Mehrverbrauch. Elektroschrott hat seit 2015 um fast ein Viertel, der Verpackungsmüll, angeheizt durch Lieferdienste, seit 1990 um 40 Prozent zugelegt. Die Online-Handelsplattform Ebay verzeichnet seit 2008 einen Rückgang des Gebrauchtwarenanteils am Gesamtangebot von 50 Prozent auf nur noch 20 Prozent in 2016. Das Volumen des Online-Handels in Deutschland ist seit 2010 von 20 Milliarden auf 49 Milliarden Euro im Jahr 2017 hochgeschnellt. Eine Dematerialisierung der Wirtschaft in Folge der angestrebten Industrie 4.0, Smart City, Smart Home etc. zeichnet sich nirgendwo ab. Aber der ausgelegte Köder wird begierig verbreitet.

Die Digitalisierung soll auch helfen, die bestehende Straßeninfrastruktur noch besser auszulasten, um den Zubau neuer Straßen in Grenzen zu halten. Wenn zunehmend autonom gefahren werden soll, heißt das wiederum, die technische Infrastruktur dafür massiv aufzurüsten. Ein einzelnes Fahrzeug soll pro Tag im vollautonomen Modus etwa 4000 Gigabyte an Daten produzieren. Verantwortlich dafür ist das räumliche Scannen der Umgebung über GPS, Sonar, Laser, Radar und eingebaute Kameras. Auch hier lassen sich wenig Anhaltspunkte für eine zukünftige Verbesserung der Ressourcenbilanzen erkennen. Die klassischen Forderungen, weniger Auto- und Güterverkehr, Verkehrsverlagerung auf die Schiene und Entschleunigung haben wenig Schnittmengen mit den Attributen der Digitalisierung.

Die Grundzüge der Digitalisierung weisen in eine Zukunft des Mehrverbrauchs, Mehrkonsums, steigenden Wachstums. Vermeintlich bequem, zeitgemäß, eben smart, lenkt der massenhafte, zum Zwang werdende Austausch von Daten vom eigentlich zu lösenden Problem ab: der drastischen Reduzierung von Rohstoff- und Energieverbräuchen. Die Digitalisierung in all ihren Facetten wird hierzu keinen Beitrag leisten. Zumindest so lange nicht, wie sie der etablierten Wachstums- und Profitlogik folgt.

Jürgen Merks ist seit 2001 Referent des BUND Regionalverband Stuttgart. Seine Themen: suffiziente Lebensstile auf Basis ökologischer Fußabdrücke, alternative Wohnformen und Auswirkungen von Flächenverbrauch. Der vorliegende, gekürzte Text ist erschienen in der Broschüre "Smart City- und 5G-Hype", herausgegeben von Peter Hensinger, Jürgen Merks und Werner Meixner <link http: pad-verlag.de index.html _blank external-link>im Pad-Verlag.


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10 Kommentare verfügbar

  • Anette
    am 22.10.2021
    Antworten
    <Den Vogel als Energietreiber schlechthin schießen aber Blockchain-Anwendungen mit einer Proof-of-Work-Absicherung ab, wie sie beispielsweise bei der Kryptowährung Bitcoin zum Einsatz kommen. Eine einzige Transaktion zieht 500 kWh Stromverbrauch nach sich. Deshalb trauen die Autoren eines Artikels…
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