KONTEXT:Wochenzeitung
KONTEXT:Wochenzeitung

Absurditäten der Woche

Absurditäten der Woche
|

Datum:

Ein Minister, der Audi A8 fährt, geht gegen Umweltschützer vor. Das jahrelange Trauerspiel um ein Mahnmal für NS-Opfer nähert sich einer entwürdigenden Eröffnung. Das S-21-Marketing fährt eine unterirdische Kampagne. Abgründige Nachrichten aus der vergangenen Woche.

Thomas Strobl hält von rechtsfreien Räumen ungefähr so viel wie der Teufel vom Weihwasser. Könnte man zumindest meinen, wenn man sich die Aussagen des Innenministers in diversen Interviews zu Gemüte führt. "In Baden-Württemberg wird es keine rechtsfreien Räume geben", sagte Thomas Strobl im Mai 2018, als sich ein Geflüchteter in Ellwangen dagegen wehrte, gefesselt, geknebelt und gewaltsam außer Landes verfrachtet zu werden. "Solche rechtsfreien Räume wird es in Baden-Württemberg nicht geben", sagte Thomas Strobl ebenfalls im Mai 2018 über die Hausbesetzung in Stuttgart-Heslach und lobte die Räumung durch die Polizei. "Bei uns gibt es auch keine rechtsfreien Räume wie die Rote Flora in Hamburg", betonte Thomas Strobl erneut im Mai 2018, diesmal um zu betonen, dass der Verfassungsschutz – der trotz 40 V-Leuten im direkten NSU-Umfeld als Frühwarnsystem versagt hat – "auf keinem Auge blind" sei.

Nur dann, wenn das Gesetz in Konflikt mit der deutschen Autoindustrie gerät, schlägt Strobl andere Töne an. Etwa wenn sich ein gemeinnütziger Verein anmaßt, das Recht auf Gesundheit einzuklagen und darauf pocht, dass gesetzlich festgelegte Grenzwerte zum Schadstoffausstoß auch tatsächlich eingehalten werden. "Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) zieht gegen die Autofahrer ins Feld", vermeldet Strobl nun. Dabei handle es sich um einen "Abmahnverein, der ohne Maß und Mitte einen ideologischen Kampf führt." Und das darf natürlich nicht gemeinnützig bleiben: "Wer die Menschen im Land gängeln und bevormunden will, darf dafür nicht auch noch mit finanzieller Unterstützung aus Steuergeldern finanziert werden." Der Innenminister und stellvertretende Ministerpräsident unterstützt daher das Anliegen der CDU-Vorsitzenden Annegret Kramp-Karrenbauer, dem Verein seine Gemeinnützigkeit zu entziehen.

Spannend ist dabei nicht nur, dass sich die grün-schwarze Landesregierung vor Gericht mehrere krachende Niederlagen gegen die DUH einfing und sich, ganz als wäre Baden-Württemberg zum rechtsfreien Raum geworden, lange Zeit weigerte, die richterlichen Anordnungen in die Praxis umzusetzen. Auch Strobl selbst geriet mit der Umwelthilfe aneinander: So enthüllte die DUH im August 2018, dass kein einziger Dienstwagen im Fuhrpark der Landesregierung die EU-Grenzwerte im Fahrbetrieb einhält. Einsam an der Spitze der Dreckschleudern steht der Audi A8 von Thomas Strobl, mit einem Verbrauch von 376 Gramm CO2-Ausstoß pro Kilometer. Auf Platz zwei landete, bereits weit abgeschlagen, Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut mit 252 Gramm.

Keine Frage: Für viele Dieselfahrer, die sich keinen Neuwagen nach Euro-6-Norm leisten können, sind die Fahrverbote in Stuttgart eine Katastrophe. Die Schuld für die Verbote ist aber nicht bei einem Verein zu suchen, der geltendes Recht einklagt. Sondern bei einer desaströsen Verkehrspolitik, die in Stuttgart seit mehr als einem Jahrzehnt versagt hat, wirkungsvoll gegen Luftverschmutzung vorzugehen und gültige Grenzwerte einzuhalten. Ein Zeitraum, in dem die CDU übrigens meistens mitregiert hat.

Absicht oder Unvermögen?

Weit mehr als nur ein Jahrzehnt lang versagt hat die Landespolitik bei einem anderen Thema, nämlich der Aufarbeitung von Verbrechen der NS-Justiz im Land. 1989, immerhin schon 44 Jahre nach Kriegsende, hatte der Verwaltungsrichter Fritz Endemann begonnen, für ein Mahnmal für die über 400 Menschen zu kämpfen, die im Hof des früheren Oberlandesgerichts (OLG) Stuttgart hingerichtet wurden, dort, wo heute ein Parkplatz für das Landgericht ist.

Nahezu zweieinhalb Jahrzehnte tat sich fast nichts. Erst 2013 kam allmählich Bewegung in die Sache bis das Justizministerium im Juni vergangenen Jahres endlich vermeldete: Finanzierung gesichert, bis Ende 2018 werden drei Stelen zur Erinnerung an die Hingerichteten vor dem Landgericht sowie eine Ausstellung in dessen Inneren realisiert (<link https: www.kontextwochenzeitung.de zeitgeschehen verschleppte-erinnerung-5170.html _blank external-link>Kontext berichtete). Mit dem angepeilten Datum hat es zwar nicht ganz geklappt, aber mit vergleichsweise geringer Verzögerung soll die Eröffnung nun am 29. Januar stattfinden.

Zumindest bei der Planung der Eröffnung scheint es, dass sich das Justizministerium nicht von den hohen Erwartungen an einen solchen Ort unter Druck setzen lassen wollte. Sehr dürr gehalten ist der Text der Einladungskarte, das Haus der Geschichte kommt gar nicht vor, obgleich das zu Eröffnende ja von ihm konzipiert wurde, ein Programm des Abends fehlt, und in Mails an Eingeladene wird darauf hingewiesen, dass es wegen der "sehr, sehr beengten" Räumlichkeiten in einem Flur im ersten Stock "nicht möglich sein (wird), alle Einladungswünsche bzw. organisatorischen Anregungen zu berücksichtigen." Vertreter vieler Initiativen, die sich um die Erinnerung an das NS-Unrecht und speziell die in Stuttgart Hingerichteten verdient gemacht haben, wurden gar nicht erst eingeladen. Zumindest bei der Hotel-Silber-Initiative wurde dies mittlerweile nachgeholt: eine Person darf kommen.

Absicht oder Unvermögen? Jedenfalls erbost dieses Procedere viele. Auf eine Kontext-Anfrage beim Justizministerium, warum kein größerer Raum gewählt wurde, erklärte Ministeriums-Pressesprecher Steffen Tanneberger, dass "die Veranstaltung unmittelbar in den Ausstellungsräumen" stattfinden sollte, und dass "dieser Ort auch deshalb gewählt (wurde), weil er einen Blick auf den hinteren Bereich des Landgerichts zulässt" – dorthin, wo bis 1944 "über 400 Todesurteile vollstreckt wurden." Trotzdem: Wäre es zu viel verlangt gewesen, Räumlichkeiten zu finden, in denen nach so langer Vorlaufzeit mehr Gäste Platz haben?

Ein weiterer Faux-pas: Den immerhin eingeladenen Familienangehörigen von Ermordeten wird kein Grußwort oder sonstiger Redebeitrag zugestanden – stattdessen gibt es Reden von Guido Wolf, OLG-Präsidentin Horz, HdG-Leiterin Paula Lutum-Lenger und Ex-Landtagsvizepräsident Alfred Geisel (der neben Endemann zu den Hauptaktivisten für Mahnmal und Ausstellung zählte). Viel Raum für vier Redner aus dem Land, keiner für die Nachkommen. Auf Nachfrage begründet der Ministeriumssprecher dies folgendermaßen: "Das Thema Nachkommen der in der NS-Zeit in Stuttgart Hingerichteten ist bislang nur unvollständig aufgearbeitet", daher sei die Eröffnungsveranstaltung auch "nicht als Abschluss-, sondern als Auftaktveranstaltung angelegt." Hm. Warum den bereits ermittelten und eingeladenen Nachkommen, nach jahrzehntelanger Ignoranz, nicht trotzdem schon jetzt die Gelegenheit für einen Beitrag gegeben wird, erschließt sich daraus freilich nicht.

Tunnelwerbung, pubertär

Die Erinnerung an die NS-Zeit scheint eine schwierige Sache, der Amnesie kann nur mit größten Anstrengungen entgegengewirkt werden. Woran sich hingegen viele Menschen (die männlichen mutmaßlich häufiger) immer gerne erinnern, ist die Pubertät. Vor allem der Teil, in dem Tage damit verbracht werden können, sich über sexuelle Andeutungen krumm zu lachen. Bei den meisten Menschen hört diese Phase irgendwann im Laufe des Erwachsenwerdens auf. Nicht so bei den Verantwortlichen vom Bahnprojektverein Stuttgart-Ulm, der die Werbung macht für Stuttgart 21 und die Neubaustrecke. Am 6. Januar, dem Tag der offenen Baustelle, ließ er am Tiefbahnhof-Loch in der Stuttgarter Innenstadt Postkarten verteilen mit dem Slogan "Untenrum ist immer geil." Da hört man schon förmlich Komiker Mario Barth bei einer seiner repetitiven Humorsimulationen: "Höhö, untenrum, verstehste, verstehste, untenrum, verstehste, untenrum, GEIL." Dabei gibt es bei Stuttgart 21 mittlerweile schon fast eine genitalreferenzielle Tradition: Man erinnert sich mit Grausen an die "Oben ohne – tu ihn unten rein"-T-Shirts, die die Silhouette einer barbusigen Frau abbildeten und von Befürwortern des Großprojektes auf einer Demonstration verteilt wurden. Die jetzige "Untenrum"-Karte jedenfalls ist pubertärer Flachsinn und so dürftig, dass es der Kapazität des künftigen Tiefbahnhofs entspricht.


Gefällt Ihnen dieser Artikel?
Unterstützen Sie KONTEXT!
KONTEXT unterstützen!

Verbreiten Sie unseren Artikel
Artikel drucken


4 Kommentare verfügbar

  • Jue.So Jürgen Sojka
    am 16.07.2020
    Antworten
    Absurdistan als wöchentlich bestehen bleibender Affront im Umgang mit tatsächlichem – Grundschuld generationsübergreifend, oder besser übernommen von nachfolgenden Generationen, weiter im Bestand; und das seit Jahrhunderten!

    Im WDR Fernsehen die Sendung "planet wissen" mit dem Thema
Kommentare anzeigen  

Neue Antwort auf Kommentar schreiben

KONTEXT per E-Mail

Durch diese Anmeldung erhalten Sie regelmäßig immer Mittwoch morgens unsere neueste Ausgabe unkompliziert per E-Mail.

Letzte Kommentare:






Die KONTEXT:Wochenzeitung lebt vor allem von den kleinen und großen Spenden ihrer Leserinnen und Leser.
Unterstützen Sie KONTEXT jetzt!