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Der zweite Skandal

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Es sollte sein Comeback werden – und hat doch sein Image endgültig ruiniert: das fatale Krisenmanagement des Karl-Theodor zu Guttenberg. Online und offline gehorcht sein Vorgehen einem längst bizarr erscheinenden Dreiklang: leugnen, abstreiten, umdeuten. Nun hat der einst als "Lichtgestalt" gefeierte Politiker auch noch die Netzgemeinde provoziert und einen Sturm der Empörung ausgelöst.

Alle Welt redet über Christian Wulff, aber Horst Seehofer will seinen Guttenberg wiederhaben. Es steht zu befürchten, dass der CSU-Chef es ernst meint mit dem Comeback des Freiherrn. Dabei hat der sich längst selbst ruiniert, meint der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen.

Es sollte sein Comeback werden – und hat doch sein Image endgültig ruiniert: das fatale Krisenmanagement des Karl-Theodor zu Guttenberg. Online und offline gehorcht sein Vorgehen einem längst bizarr erscheinenden Dreiklang: leugnen, abstreiten, umdeuten. Nun hat der einst als "Lichtgestalt" gefeierte Politiker auch noch die Netzgemeinde provoziert und einen Sturm der Empörung ausgelöst.

Es ist ein Schauspiel, es ist eine Groteske, die sich in ihrer Lächerlichkeit nur schwer überbieten lässt. Karl-Theodor zu Guttenberg hat seine Doktorarbeit abgeschrieben, das ist seit Februar 2011 öffentlich. Seine Leistung, wenn man denn schon von einer solchen sprechen möchte, besteht darin, aus den Hausarbeiten, Zeitungsartikeln und Fachaufsätzen einen relativ geschlossen wirkenden Text geformt zu haben, der sich einigermaßen flüssig liest.

Ansonsten muss man sagen: Vieles nur geklaut, den eigenen Doktorvater betrogen, die eigene Universität getäuscht, die wissenschaftliche Öffentlichkeit in die Irre geführt. Der Betrug lässt sich für jeden, der mag, auf dem eigens eingerichteten Wiki Guttenplag nachvollziehen. Und jedem Schulkind ist klar, dass man nicht unabsichtlich abschreiben kann, schon gar nicht auf ein paar hundert Seiten. Aber genau dies behauptet der ehemalige Minister, der sich dieser Tage zum ehrenamtlichen Internetberater der EU küren ließ ("Ich habe persönlich die Macht des Internets erfahren"), nachzulesen in seinem gerade erschienenen Interviewbuch.

Dass Guttenberg der CSU, die ihn bis an die Grenze des Erträglichen gestützt hat, in diesem sich über 200 Seiten hinziehenden Gespräch beiläufig den Charakter einer Volkspartei abspricht – geschenkt. Dass er die Europapolitik der Regierung, zu der er eben noch gehörte, kritisiert – das mag man für unfein halten. Dass er, der gerade Zurückgetretene, mit der Idee einer Parteigründung kokettiert – das kann einem absurd vorkommen. Aber dass er behauptet, nicht bewusst abgeschrieben zu haben, und seine einstige Heimatuniversität attackiert, deutet, wie der Bayreuther Jurist Oliver Lepsius zu Recht vermerkt, auf einen Realitätsverlust hin.

Versuchte Umdeutung eines Skandals

Und eben in diesem Moment einer so selbstbewusst formulierten Leugnung beginnt die Groteske – ein Hochstapler ist es, der für seine Hochstapelei letztlich dann eben doch nicht verurteilt werden möchte. Es gab zu viele Dateien, so lässt er seinen Interviewer wissen; er sei überlastet gewesen, er habe den Überblick verloren, die viele Arbeit, der Druck der Familie, die beständige Anspannung. Natürlich, so meint er, sei diese Arbeit ungeheuer schlecht. Aber sie sei eben kein Plagiat. Das heißt: was dieses Buch illustriert, ist die versuchte Umdeutung eines Skandals – und zwar im Augenblick des scheinbaren Eingeständnisses, im Moment der vermeintlich ernsthaften Entschuldigung.

Aus einem gezielten Täuschungsmanöver soll ein Überlastungssymptom werden, aus dem Betrug die einfache Überforderung, aus dem bewussten Fake das hilflose Spiel mit leider irgendwie falsch einsortierten Disketten. Guttenberg möchte einfach nur furchtbar durcheinandergeraten sein. Sein so rasant promotetes Interviewbuch, das eigentlich den Skandal aus der Welt schaffen sollte, hat einen zweiten Skandal produziert, der in dem Umgang mit dem Skandal besteht. "Grenzüberschreitungen zweiter Ordnung" nennt die Wissenschaft ein solches Vorgehen. Seine haltlose Rechtfertigung hat die Empörung nur verstärkt; der Sturm der Entrüstung setzt sich inzwischen im Netz und in den sozialen Netzwerken fort.

Man macht sich in Twitter-Meldungen über ihn lustig, in den Kommentarzeilen von Blogs erregt man sich über seine Berufung zum Internetberater. Vertreter der Piratenpartei verspotten ihn, sprechen ihm die nötige Kompetenz ab und meinen, er sei für den Job ungefähr so geeignet wie der Playboy-Gründer "Hugh Hefner als Gleichstellungsbeauftragter". Und es existiert eine erste Online-Petition, die mit dem Satz beginnt: "K.-T. zu Guttenberg ist als Person nicht geeignet, die europäische Bevölkerung im Rahmen einer Mitarbeit in der Europäischen Kommission zu vertreten, weil er nicht als genügend vertrauenswürdig gelten kann."

Die offensichtliche Lüge

Das heißt: der sich nun online austobende "Shitstorm" verdankt sich erneut dem fatalen, entschieden kontraproduktiven Skandal- und Krisenmanagement des Exministers, das sich zu der Formel verdichten lässt: leugnen, abstreiten, umdeuten. Es ist, man muss es so unprosaisch sagen, die offensichtliche Lüge, die empört. Sie erlaubt es, jeden neuen Schritt in Richtung der öffentlichen Bühne blitzschnell mit dem Verweis auf das so deutlich wahrnehmbare Versagen zu diskreditieren. Für die möglichst breitflächig sichtbare Angriffsfläche sorgt Karl-Theodor zu Guttenberg selbst und in Eigenregie.

Vielleicht hat er ganz im Ernst geglaubt, sein Comeback ließe sich derart schlicht in Szene setzen. Aber man möchte fast hoffen, dass der einst gefeierte Politstar in dieser Frage tatsächlich spielt, dass er nun erneut täuscht und trickst. Und dass die geschockten Parteifreunde, die Wissenschaftler und die staunende Öffentlichkeit letztlich nur einem raffiniert inszenierten Experiment beiwohnen. Es handelt, ganz altmodisch formuliert, von dem Wert und dem Ethos der Glaubwürdigkeit. Sollte Guttenberg in absehbarer Zeit erneut ein hohes Amt übernehmen oder als Parteigründer reüssieren, dann wäre dieses Experiment gescheitert – und bewiesen, dass Glaubwürdigkeit als politische Kategorie nicht wirklich zählt.

Sollte jedoch, wie trotz des neuen Ehrenamts in Brüssel zu erwarten, sein Comeback misslingen, dann hätte das Rückkehrspektakel doch sein Gutes gehabt – und die Grenzüberschreitung hätte die Grenze gezeigt und die Unmoral schließlich die Geltung der Moral.

Das wäre dann ein echtes Verdienst des Karl-Theodor zu Guttenberg.

Bernhard Pörksen, 42, ist Professor für Medienwissenschaft an der Universität Tübingen. 2009 veröffentlichte er – gemeinsam mit Jens Bergmann – das Buch "Skandal! Die Macht öffentlicher Empörung".


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1 Kommentar verfügbar

  • imagine
    am 08.01.2012
    Antworten
    Sollte es Seehofer, Bild und Bunte gelingen, Herrn C&P Guttenberg wieder salonfähig zu machen, werden wir den noch als Kanzler erleben. Die Leute lieben den Blender- warum auch immer.
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