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Beethoven, wir haben ein Problem

Beethoven, wir haben ein Problem
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Der Betrieb der klassischen Musik, von Steuergeldern gestützt, ist reif fürs Museum. Aber nicht die klassische Musik ist in der Krise, sondern es sind die, die diesen Klassikbetrieb verantworten. Ein Plädoyer des jungen Cellisten Steven Walter dafür, Rituale über Bord zu werfen und sich auf das zu konzentrieren, worum es geht: das unendlich Aufrüttelnde guter Musik.

Eines ist sicher: Die Zeit der alten musikkulturellen Bescheidwisser ist vorbei. Die selbst ernannten Hüter des Wahren, Schönen und Guten werden plötzlich konfrontiert mit Horden gebildeter junger Menschen, die doch eigentlich den Publikumsnachwuchs Steven Walter bilden müssten, aber nun nicht wissen, woraus ein Streichquartett besteht und auch nicht den Unterschied zwischen Beethovens "Pastorale"  und seiner "Eroica" hören – und damit ganz gut leben können. Das "System Klassikbetrieb" musste sich in seiner steuergeldgestützten Freiheit nie ändern und blieb seinem bildungsbürgerlichen Modell des späten 19. Jahrhunderts beharrlich treu. Das "System Publikum" – die Gesellschaft also – entwickelte sich jedoch so rasant wie nie zuvor. Und so musealisiert unser Klassikbetrieb vor sich hin, verliert seinen Bezug zur Gesellschaft, und zu allem Überfluss kündigen nun die jungen Generationen den Kulturkonsens auf, der jahrzehntelang den Musikgenres eine Hierarchie gab, ein Oben und Unten.


Wir Musikschaffende müssen also den so sicheren und urteilskräftigen Ausruf Ciceros ("Was für Zeiten, was für Sitten!") in die bange und unsichere Frage umkehren: In welchen Zeiten leben und musizieren wir? Und welche Rezeptions-Sitten gelten eigentlich heute? Da es hier um Musik gehen soll, müssen wir uns also fragen: Was können wir mit dieser alten Musik heute bewirken? Und in welcher Gesellschaft erklingt sie, wer hört eigentlich zu? Wir sind gezwungen, uns ganz urtümliche Gedanken zu der Wirkung und Bedeutung von Kunstmusik zu machen. Und wir sollten dann auch frohen Mutes die kulturpessimistischen Klagelieder der verspäteten Bildungsbürger ignorieren. Was morsch ist, wird zusammenbrechen. Es ist schon immer so gewesen.
 
Selbst Musiker sprechen von der Krise der Klassik

Wir verlieren also den Kontakt mit dem Publikum. Der erste Reflex ist meistens Selbstmitleid. Man stellt einfach fest, dass man von Banausen umgeben ist. Aber zum  Glück wähnt man sich ja auf der Seite der großen Meister: "Entschuldige, lieber Beethoven. Ich mag dich, aber wir haben ein Problem: Die Menschen interessieren sich nicht mehr für unsere Konzerte." Musiker selbst sprechen also nun von der "Krise der Klassik".
 
Welche Krise der Klassik? Ich sehe keine Krise der Sinfonien Beethovens oder des Streichquintetts von Schubert. Bach hat keine Krise und auch Haydn nicht. Wir, die wir den Klassikbetrieb verantworten, haben eine Krise. Weil wir borniert und fantasielos waren. Weil uns die Rituale des Konzertbetriebs und die feinen Unterschiede der bürgerlichen Abgrenzung wichtiger wurden als das, worum es doch gehen muss: das Erlebnis, das ewig Aktuelle, das unendlich Aufrüttelnde guter Musik. Stellt man sich unser Konzertwesen leibhaftig als (Lebe-)Wesen vor, so wäre es also eine recht schwerfällige, verfressene, domestizierte Spezies, deren Herrchen und Frauchen immer betagter werden und überhaupt drohen (wahrhaftig mit erhobenem Zeigerfinger drohen sie) auszusterben.

Um zu verstehen, wie es dazu kommen konnte, lohnt sich ein Blick in die Vergangenheit: Das klassische Konzert, wie es heute Land auf, Land ab ziemlich standardisiert über die Bühne läuft, ist noch immer ein genaues Abbild der bürgerlichen Konzertkultur des späten 19. Jahrhunderts. Das Bildungsbürgertum benutzte die Künste – und unter ihnen am allerliebsten die Musik –, um sich gegenüber anderen Gesellschaftsschichten abzugrenzen. Das Konzert nahm einen quasisakralen Raum ein: daher die andächtige Stimmung, die Künstlermythen, der ritualisierte Ablauf der Programme und die klar geregelten Verhaltensnormen. Damals war dieses Format ein genuiner Ausdruck der Zeit und dieser Gesellschaft – heute mutet es eher museal und unzeitgemäß an.

Die erstaunliche Überlebenskunst eines überholten Betriebs

Interessant ist, dass es vor dieser bürgerlichen Variation der Aufführungskultur zahlreiche andere Konzertformate gab. Seltsamerweise hat sich aber gerade diese bürgerliche Konzertausprägung bis heute als das "klassische Konzert" durchgesetzt, selbst wenn heute Musik von Palestrina bis Stockhausen aufgeführt wird, ist als Mem in den Köpfen der Nachwelt. Diese erstaunliche Überlebenskunst eines längst von gesellschaftlichen Entwicklungen überholten Betriebs zu untersuchen sprengt sicherlich diesen Rahmen. Der Vergleich mit der Religion ist jedoch hilfreich: Im selben Maße, wie der Zulauf zu den Gottesdiensten der klassischen Konfessionen abnimmt, so nimmt auch das Interesse für unseren musikalischen Götzendienst im Konzerthaus ab, ohne dass das Interesse für spirituelle oder künstlerische Erfahrungen in unserer Zeit abnimmt.

Gerade in Zeiten der medialen Reizüberflutung wächst die Sehnsucht der Menschen, sich endlich auf etwas Wahrhaftes, Transzendierendes einzulassen – abzulesen am Boom der Soziokultur und der Esoterikszene. Wir Musiker müssen uns also fragen, wieso wir unsere sehnsüchtigen Zeitgenossen nicht erreichen, wo doch die Musik, als deren Agenten wir auftreten, ganz zweifellos echt, wahrhaftig und transzendierend ist. Diese Diskrepanz zwischen dem, was Musik kann, und dem, was der Betrieb umsetzt, muss aufgelöst werden. Wir müssen unser Traditionsgepäck im Umgang mit Musik loswerden. Beethoven würde es uns danken.

Viele Künstler sind in die Popmusik abgewandert

Was kann man tun? Es gibt ja immer dieselben drei Möglichkeiten: Entweder man mag etwas, wie es ist, und kämpft leidenschaftlich für den Fortbestand unserer aus der Tradition abgeleiteten "kulturtragenden Institutionen" und der altbekannten Konzertkultur. Diese Fraktion ist in Deutschland mit verschiedenen Verbänden und Lobbyisten immer noch sehr stark und erfolgreich. Oder man erweckt den Möglichkeitssinn und setzt sich für Umdenken und Reform ein. Diese Gruppe hat sich in den letzten Jahren etabliert. Oder aber man verlässt den klassischen Betrieb ganz, weil man keine Chancen darin sieht oder schlicht woanders viel mehr Erfolg hat. Siehe hierzu "Klassik light"-Produktionen wie David Garrett und die vielen Musiker, die in die Popmusik oder völlig andere Bereiche ausgewandert sind.

Das größte Problem ist, dass sehr viele Musikschaffende meiner Generation zunächst gar keine Position einnehmen, sondern sich in einer sonderbaren, selbst verschuldeten Unmündigkeit aalen, die sie "Künstlertum" nennen – bis die Realität sie aufweckt. Diese Haltung ist unverantwortlich und verstärkt den Eindruck nachwachsender Generationen, dass man mit einer solchen Szene eigentlich nichts zu tun haben will. Die magische Wirkung unserer Musik findet immer im Dreieck Komponist-Musiker-Zuhörer statt. Wir müssen unsere Instrumente und Stimmen beherrschen, und wir müssen die Partituren der Komponisten studieren. Aber erst im Zuhörer entfaltet sich Musik.

Der Zuhörer und überhaupt: das Zuhören ist unser Problem in dieser Zeit. Wir brauchen unbedingt einen neuen Umgang mit Kunstmusik, neue Verbindungen in unsere Zeit, eine neue Aufführungskultur jenseits der noch immer vorherrschenden Klischees des 19. Jahrhunderts, die in unserer heutigen pluralen Gesellschaft schlicht nicht mehr ziehen. Wir müssen aufhören mit der elitären Eckensteherei, die unmöglich aus der Musik selbst zu rechtfertigen ist. Diese Musik und ihre Konzertkultur wurden usurpiert. In alten Zeiten und nach alten Sitten, über die wir wohl allmählich hinweg sind. Klassische Musik geht alle an und ist für jeden da – nicht nur, weil Musik keine Unterschiede kennt, sondern auch ganz profan: weil alle mit ihren Steuern dafür bezahlen.

Wir brauchen einen kollektiven Aufbruch

Wir brauchen also nichts Geringeres als einen kollektiven Aufbruch. Es passiert schon viel. Klassische Konzerte beginnen, sich von der Sphäre des Konzertsaals zu emanzipieren und in die tatsächlichen Lebensräume der Menschen einzudringen. Warum nicht anspruchsvolle, instrumentale Musik im Club, oder als Jam in einer Bar, oder kombiniert mit anderen Künsten? Eine neue Generation schlauer Programm-Macher beginnen, sich mehr als Musik-Kuratoren zu verstehen. Es wird neuer Wert auf Konzertdramaturgien und programmatische Beziehungsfelder gelegt, anstatt immer dieselben Repertoireabläufe abzuliefern.

Wenn es uns gelingt, das klassische Konzert mit neuen Formaten wieder zu einer zeitgemäßen sozial-ästhetischen Plattform (die ein Konzert immer ist!) zu machen, kann die Musik nachhaltig die Menschen erreichen. Denn die Musik ist nicht das Problem. Es geht vor allem um unsere Haltung, Überzeugung und Authentizität. Wir dürfen niemals aufhören, anzufangen und niemals anfangen, aufzuhören für die wahre, breite Entfaltung dieser Musik zu kämpfen.

Steven Walter, 24 Jahre alt, ist in Nürtingen geboren. Er war Solocellist im Landesjugend-Orchester Baden-Württemberg. Vor drei Jahren rief Walter die Konzertreihe Podium – Junges Europäisches Musikfestival Esslingen ins Leben, für die er als künstlerischer Leiter fungiert. Das Festival wurde im vergangenen Jahr mit einem Sonderpreis beim ECHO Klassik ausgezeichnet. Die dritte Auflage des Podium-Festivals findet vom 29. April bis zum 7. Mai 2011 in Esslingen statt.

<link http: www.podiumfestival.de>www.podiumfestival.de


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1 Kommentar verfügbar

  • VolkerDowidat
    am 15.05.2011
    Antworten
    Interessant ist ein vergleichender Blick auf die Jazzmusik. Diese wurde nie komplett ursupiert, weder vom Kommerz noch von Kulturpolitik. Die Bedingungen mussten immer wieder aufs neue ausgehandelt werden - bilateral, ohne vermittelnde Instanz. Ständige Reibung, immer die volle Verantwortung.…
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