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War was?

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Hessen hat gewählt. Aber interessiert das überhaupt noch jemanden nach Merkel? Ja, uns! Unser Autor schaut nicht nur auf Schwarz-Grün in Wiesbaden, sondern auch auf Grün-Schwarz in Stuttgart. Und fragt sich, wo die linken Alternativen bleiben. Ein Kommentar.

Noch redete niemand vom Ende der Ära Merkel. Noch hatte die Kanzlerin ihren Verzicht auf das Amt der CDU-Vorsitzenden nicht erklärt. Noch schien es, als hätte das "Weiter so" der großen Koalition in Berlin doch noch eine Chance. Es war Sonntagabend, Hessen hatte seinen neuen Landtag gewählt. CDU und SPD, die großen Verlierer, erzählten etwas von "Fahrplänen" und "Sacharbeit" und einem Leben ohne Streit, mit dem man den Leuten schon zeigen werde, was für eine tolle Politik man macht.

Die Grünen, neben der AfD die großen Gewinner, hatten am Ende mit ihren fast 20 Prozent der Landesregierung die schwarz-grüne Mehrheit und dem ehemaligen CDU-Sheriff Volker Bouffier das Amt des Ministerpräsidenten gerettet. Die Alternative einer grün-rot-roten Mehrheit, die nach den Umfragen in Reichweite gelegen hatte, war verfehlt. Das bereitete nicht nur Bouffier große Freude, sondern auch vielen Grünen, die erst gar nicht überlegen mussten, ob sie nicht doch mal wieder eine linke Landesregierung wagen wollten.

In den folgenden Stunden lieferte die Partei der Stunde einen beeindruckenden Beweis ihrer Geschlossenheit ab. "So grün war Hessen noch nie", verkündete Landes-Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir. "So grün war Hessen noch nie", ergänzte Landes-Umweltministerin Priska Hinz. Und was sagte Annalena Baerbock, die Bundesvorsitzende? "So grün war Hessen noch nie."

Was Robert Habeck sagte, der andere Bundesvorsitzende, wird hier nicht verraten. Nur noch so viel: Michael Kellner, der Bundesgeschäftsführer der Grünen, tanzte aus der Reihe und stellte den Satzbau eigenmächtig um: "Noch nie war Hessen so grün." Ist halt vom linken Flügel übriggeblieben, der Kellner, typisch.

Geschlossen wie Fort Knox – die Grünen

Man sieht: Die Grünen sind eine richtig professionelle Partei. Geschlossen wie Fort Knox und im Slogan-Erfinden mindestens auf dem Niveau einer Baumarktkette.

Nun hatten sie ja auch Grund zur Freude. Mit fast 20 Prozent hatten sie die erhoffte Belohnung für fünf Jahre Schwarz-Grün unter Bouffier bekommen. Von praktisch der gesamten Konkurrenz griffen sie Teile des liberal-kosmopolitischen Bürgertums ab. Offenbar ist das Kunststück, sich als glaubwürdige Gegner eines engstirnigen Nationalismus und konsequente Klimaschützer zu präsentieren und zugleich in schwarz-grünem Super-Pragmatismus ganz und gar ungrüne Kompromisse zu schließen, gelungen. Anders übrigens als der SPD, der kein Mensch mehr zutraut, über die mageren Ergebnisse ihrer Koalitionen mit der CDU hinauszudenken.

Wie gesagt: Da war Angela Merkels Rückzug vom Parteivorsitz noch nicht in Sicht. Am Montag aber, als sie ihn verkündete, stellten sich dann doch ganz andere Fragen: Wollen sich die Grünen auf Dauer darauf beschränken, in einem bürgerlichen und halbwegs liberalen Block als Bollwerk gegen ganz rechts zu fungieren – am besten gemeinsam mit einer CDU, die halbwegs auf Merkel-Kurs bleibt? Wollen sie weiter vergessen, dass diese CDU auch jetzt schon weder besonders liberal agiert (siehe Flüchtlingspolitik) noch gar sozial?

Oder entdeckt die Partei, die einst mit dem Slogan "Ökologisch, sozial, gewaltfrei" antrat, doch noch die notwendige Alternative zur neuen, schwarz-grünen, ökologisch angefärbten "Groko"? Diese Alternative bestünde darin, sowohl einer zwischen Liberalkonservatismus und Rechtsnationalismus schwankenden Union als auch den Salonrassisten von der AfD die Vision einer linken Alternative entgegenzusetzen.

Nur so ließe sich beweisen, dass es nicht nur den Wettbewerb zwischen Demokraten jeglicher Couleur und Anti-Demokraten gibt, sondern auch echte Alternativen innerhalb des demokratischen Spektrums. Und nur so, ist zu vermuten, ließe sich der Selbst-Stilisierung der AfD zur einzigen Alternative gegen den "Einheitsbrei der Eliten" etwas entgegensetzen.

Wie grün sind Kondensstreifen?

Die Chancen, dass die Grünen sich auf diesen zugegeben beschwerlichen Weg begeben, sind nach der Wahl in Hessen eher gesunken als gestiegen. Hätte es für Rot-Rot-Grün (genauer: für Grün-Rot-Rot) eine rechnerische Mehrheit gegeben, wäre wenigstens ein gewisser Druck entstanden, diese Alternative zu wagen. Nun bleibt alles beim Alten, und was das bedeutet, kann man in Hessen genauso studieren wie in Baden-Württemberg.

Zwischen Darmstadt und Kassel könnte man den Lobliedern auf das "grüne Hessen" durchaus ein paar Fragen gegenüberstellen: Wie "grün" sind die Kondensstreifen, die der weiter wachsende Flugverkehr im Rhein-Main-Gebiet an den Himmel malt? Wie "grün" ist der Lärm der Maschinen, der nicht einmal von 22 bis 6 Uhr durch ein striktes Nachtflugverbot unterbrochen wird, wie die Grünen es einst forderten? Wie "grün" das neue Terminal am Frankfurter Flughafen, das die Grünen einst strikt ablehnten und das jetzt doch gebaut wird?

Tarek Al-Wazir, unter anderem für den (Flug-)Verkehr zuständig, beruft sich darauf, dass gegen die Mehrheit der "Flughafen-Parteien" eben nicht mehr auszurichten sei als Verhandlungen mit dem (mehrheitlich staatlichen!) Airport-Betreiber über andere Flugrouten und eine bessere Einhaltung des Nachtflugverbots von 23 bis 5 Uhr. Warum er das dann nicht die "Flughafen-Parteien" machen lässt und den Menschen, die ihm einst glaubten, eine Stimme in der Opposition verleiht, sagt Al-Wazir natürlich nicht.

Es fehlt eine demokratische Alternative von links

Noch mehr Fragen: Wie "grün" sind eigentlich die stetig steigenden Immobilien- und Mietpreise in Frankfurt, gegen die vor allem die örtliche SPD mühsam ankämpft, ohne entschiedene Unterstützung durch das Land? Wie "grün" ist der einst von den Grünen rigide bekämpfte "Staatstrojaner", mit dem die hessische Polizei die Computer verdächtiger Personen ausspähen darf, nachdem mit Zustimmung der Grünen das Gesetz entsprechend verschärft worden ist (wenn auch mit einigen Einschränkungen)?

Wer sich hier an Baden-Württemberg erinnert fühlt, liegt nicht daneben. Und wird vielleicht umso besser einzuschätzen wissen, was es wert ist, wenn die Grünen im Stuttgarter Landtag dem von Innenminister Thomas Strobl geforderten "Trojaner" vorerst eine Absage erteilen. Nebenbei: Wie "grün" ist eigentlich der Stuttgarter Dieseldunst, gegen den die Regierung Kretschmann sich Schrittchen für Schrittchen zum Jagen tragen lässt, wenn überhaupt?

Man könnte das alles mit Fassung und ein bisschen Häme ertragen, ginge es "nur" um das doppelte Spiel einer einst linken Partei. Es geht aber um viel mehr, spätestens jetzt, da selbst der weichgespülte Neoliberalismus der Angela Merkel am Ende zu sein scheint. Es geht um die Frage, ob in diesem Land eine gesellschaftlich liberale und zugleich sozial-ökologische Alternative zur verwaschenen Mittigkeit der schwarz-roten und schwarz-grünen Bündnisse überhaupt noch denkbar ist.

Diese Frage allerdings ist für die Zukunft der Demokratie von entscheidender Bedeutung. Es war ja gerade diese mittige Annäherung der etablierten Parteien bis zur Ununterscheidbarkeit, die der Wut über den angeblichen Einheitsbrei der Eliten Vorschub geleistet hat.

Wenn die Parteien der (ehemaligen) Linken auch weiter die Arbeit an einer demokratischen Alternative von links verweigern, machen sie sich an der Demokratie insgesamt schuldig. Und den vielen erfreulichen Bewegungen, die sich in der Gesellschaft sowohl gegen nationale Verbohrtheit als auch gegen grenzenlosen Marktliberalismus wehren, geht mit den Grünen ein weiterer Verstärker im parlamentarischen Raum verloren.


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7 Kommentare verfügbar

  • Jue.So Jürgen Sojka
    am 08.11.2018
    Antworten
    War was? Hessen hat gewählt. [b][1][/b] Aber interessiert daran, dass die Hessen ebenfalls diese Wahl wahrnehmen konnten?
    15 Vorschläge der Enquetekommission „Verfassungskonvent“
    Die Volksabstimmung parallel zur Landtagswahl - 28. Oktober https://www.verfassung-hessen.de/volksabstimmung
    Mit dem…
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