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Die Investoren-Party beenden

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Der Stuttgarter Wohnungsmarkt braucht eine Kulturrevolution, meint der linke Stadtrat Tom Adler: Weg von der investorenfreundlichen Politik, hin zu Mieterschutz und scharfen Sanktionen für Spekulanten. Ein Beitrag zur bevorstehenden Generaldebatte über Wohnungspolitik im Stuttgarter Gemeinderat.

Vom 27. April bis 28. Mai waren in der Wilhelm-Raabe-Straße 4 in Stuttgart-Heslach zwei leerstehende Wohnungen wieder bewohnt. Genauer: besetzt von zwei jungen Familien, die nach einer vorausgegangenen Kundgebung mit Stadtteilspaziergang vorbei an leer stehenden Gebäuden und Wohnungen, begleitet von vielen Unterstützern, einfach eingezogen waren.

Die Nachbarschaft solidarisierte sich mit aus den Fenstern gehängten Transparenten und praktischer Solidarität für die neuen Bewohner des sympathisch "belebten Leerstands", wie einer der Slogans der Besetzer hieß. Die Wilhelm-Raabe-Straße 4 war vier Wochen lang ein quirliger Ort des Austauschs, an dem sich nicht nur interessierte Mitbürger, sondern auch die Medien die Klinke in die Hand gaben. Die Resonanz in der Stadt und darüber hinaus war groß und auch in Print, Rundfunk und TV überwiegend wohlwollend. Denn die Aktion hatte offenbar einen Nerv getroffen und mit einem Paukenschlag Mietpreiswahnsinn, Wohnungs-Leerstand und Spekulation ins Scheinwerferlicht gezerrt – raus aus dem ignoranten, von Nebelkerzen sichtgetrübten Raum der Rathaus-Debatten.

Dort wurde die Not der Mieter*innen mit unbezahlbarem Wohnraum erst jahrelang ignoriert, dann als Wahlkampfthema entdeckt – nur um seither im politischen Alltag den üblichen Weg vieler Wahlkampfversprechen zu gehen. Zwar kommt selbst Oberbürgermeister Kuhn inzwischen nicht mehr umhin, die Mieten- und Wohnungssituation das "größte soziale Problem in der Stadt" zu nennen. Wirksame und nachhaltige Konzepte gegen Bodenspekulation und Mietpreistreiberei bleibt er jedoch genauso schuldig wie seine Verwaltungsspitze und die große Mehrheit im Stadtrat.

Denn für CDU, Grüne und SPD gilt unverändert: dass es der Markt – sprich: die Immobilienwirtschaft – richten soll. Was ähnlich zielführend ist, wie Graf Dracula zum Organisator der Blutbank zu berufen. Immobilienunternehmen bauen und handeln mit der Ware Wohnraum, wie Porsche mit Autos, um aus investiertem Kapital mehr Kapital zu machen. Nicht um für alle leistbaren Wohnraum zur Verfügung zu stellen.

Die Rathaus-Mehrheiten eint auch immer noch, dass es nicht öffentliche Aufgabe sei, insbesondere nicht die der Stadt, das Menschenrecht auf Wohnen zu leistbaren Mieten zu garantieren. Und zu verhindern, dass ein systematischer, über unbezahlbar hohe Mieten erzwungener Austausch mit der Stadtbevölkerung stattfindet. Stuttgarter mit kleinen Geldbeuteln raus, zahlungskräftige Schichten rein. Das wird inzwischen Gentrifizierung genannt und es ist keine ungewollte Fehlentwicklung. Sondern regelrechte Hidden Agenda von Stadtverwaltungsspitze, Ratsmehrheit und Immobilienunternehmen.

Protest bremst Mietsteigerungen

Dass die noch preiswerten Mietwohnungsbestände Stuttgarts "systematisch vom Markt saniert werden", sagte in dankenswerter Klarheit der Vorsitzende des Bundesverbands der Wohnungs- und Immobilienunternehmen, Axel Gedaschko, schon 2012 der Cannstatter Zeitung. Bezogen auf Stuttgart spricht er dabei über die Hälfte des Mietwohnungsbestands, die Baujahre 1950 bis 1984, wo bisher unterdurchschnittliche Mieten bezahlt und unterdurchschnittliche Mietsteigerungen erzielt werden konnten. Dort können mit Abriss und Neubau oder mit neubaugleicher "Modernisierung" Neubaumieten durchgesetzt werden – eine Party für Investoren. <link https: www.kontextwochenzeitung.de wirtschaft vonovia-5126.html _blank external-link>Vonovia führt derzeit auch mit ihren Stuttgarter Beständen vor, wo die Reise hin gehen soll. Erst wird Instandhaltung Jahre, wenn nicht Jahrzehnte lang vernachlässigt, um dann mit "Modernisierungen" die Mieten massiv in die Höhe zu treiben. Denn deren Kosten dürfen nicht nur bis zur Amortisierung der Investitionskosten auf Mieter umgelegt werden, sondern erhöhen dauerhaft die Miete. Bis zu 60 Prozent Mieterhöhungen wurde Vonovia- Mieter*innen im Nordbahnhofviertel angekündigt.

Auch in der Politik der SWSG, zu 100 Prozent im Besitz der Stadt, spiegelt sich bisher der Unwillen der Stadtratsmehrheit, eine Wende hin zu einer sozialen Wohnungspolitik einzuleiten. Auch in den SWSG-Beständen wie etwa im Hallschlag wird mit Abbruch und Neubau das Mietenniveau nach oben getrieben und beschönigend "soziale Durchmischung" propagiert, was letztlich nichts anderes ist als Mieter*innen-Austausch. Und 2016 brauchte es erst massive öffentliche Kritik an den turnusmässig geplanten Mieterhöhungen und lautstarken Protest der Mieterinitiativen, dass die bereits angekündigte Erhöhung der SWSG-Mieten um zehn Prozent auf sechs reduziert wurde. Die nächste Mieterhöhungsrunde stünde 2019 an. Die Mieterinitiativen fordern, darauf zu verzichten und haben Proteste angekündigt, und im SWSG-Aufsichtsrat wurde von den Vertretern von SÖS-Linke-PluS bereits der dazu passende Antrag gestellt. Der publizistische Erfolg der Besetzer aus der Wilhelm-Raabe-Straße 4 lässt hoffen, dass SWSG und Stadtspitze einen neuen Großkonflikt vermeiden wollen und diese Mieterhöhung verhindert werden kann.

Grundsätzlicher wohnungspolitischer Kurswechsel notwendig

Die SWSG hält zwar den größten Teil der Stuttgarter Wohnungen mit Mietpreisbindung. Aber auch mit dem längst überfälligen konsequenten Kurswechsel zu einer dezidiert sozialen Wohnungs- und Mietenpolitik könnte sie allein das Ruder in der Stadt nicht komplett herumreißen.

Dazu braucht es einen grundsätzlichen wohnungs- und mietpolitischen Kurswechsel der Stadt. Neben der Neuausrichtung der SWSG setzt der nicht weniger als eine Kulturrevolution im Denken von Stadtverwaltung und Stadträten voraus. Statt sich, wie bisher, als immer dienstbarer Geist für Investoreninteressen zu verstehen, müsste der alte Spruch von Hoover verinnerlicht werden: dass das Kapital zwar ein scheues Reh sein mag, das flieht, wenn man es erschreckt. Dass es aber noch das letzte Blatt frisst, wenn man es nicht tut.

Zugespitzt und profaner ausgedrückt: Die Politik muss Investitionen in die Stadt zum "Risikokapital" machen (Andrej Holm). Denn solange die bisherige Investoren-Party ungehindert weitergeht und jährlich unter dankbarem Kopfnicken der Politik rund zwei Milliarden Euro auf der Suche nach maximaler Rendite in die Stadt gepumpt werden, kann sich nichts zum Besseren verändern. Die Stadt muss ein Instrumentarium entwickeln und anwenden, das Bodenpreis- und Wohnungsspekulation gezielt behindert statt wie bisher befeuert, ein Instrumentarium, das Mieter*innen schützt.

Trotz einer einseitig eigentümerfreundlichen Rechtsordnung gibt es Instrumente wie zum Beispiel Satzungen zum Milieuschutz und zu Städtebaulichen Entwicklungsmaßnahmen, die der Stadt bei entschiedener und kreativer Anwendung weitreichende Einflussmöglichkeiten erschließen würden – wenn man das denn will. Von Mietobergrenzen über Genehmigungspflichten für Verkäufe und Modernisierungen bis zu Vorkaufsrechten für die Stadt. Eine Leerstandsatzung mit schärferen Sanktionen könnte, angewandt und durchgesetzt mit entsprechender Personalausstattung, wirkungsvoll Druck aufbauen und wirkungsvoll "Leerstand beleben" (Besetzerslogan) statt wie bisher pures Alibi zu bleiben.

Weniger Sozialwohnungen werden als Erfolg verkauft

Und last but not least: statt weiterhin städtische Grundstücke zu verkaufen, muss die Stadt selbst auf eigenem Grund Mietwohnungen mit dauerhaft leistbaren Mieten bauen. An Geld dafür fehlt es in dieser Stadt nicht. Allein in den nächsten beiden Jahren könnten so rund 1500 städtische Wohnungen entstehen. Wenn tatsächlich die Bodenpreisexplosion ausgebremst werden würde durch konsequentes Anwenden der oben genannten "Spekulationsbremsen", könnten große Areale wie das der EnBW in der Hackstrasse für so ein kommunales Wohnungsbauprogramm erschlossen werden. Was eine ganz kleine Ahnung von Wiener Verhältnissen geben könnte, wo so ein Programm zum Kommunalen Wohnungsbau seit rund 100 Jahren mit großem Erfolg für die Mieter*innen praktiziert wird.

Doch im Stuttgarter Rathaus tut man sich nicht nur grundsätzlich schwer mit allen selbstermächtigten Erhebungen, siehe Stuttgart 21. Sondern selbst mit der dringend nötigen wohnungspolitischen Kulturrevolution. Am 27. April wurde im Stadtrat der aktuelle "Wohnungswesen Jahresbericht" vorgestellt. Er dokumentiert, dass die Zahl der Wohnungen mit sozialer Mietpreisbindung weiter sinkt, von ehemals 22 000 waren 2017 noch 14 443 übrig. 2024, so die Prognose, werden es 14 137 sein. Anspruch auf eine Sozialwohnung hätten dagegen 100 000 Stuttgarter Haushalte. Die Diskrepanz könnte nicht größer sein, doch die Stadträte (mit Ausnahme der üblichen Verdächtigen auf der Linken) sahen's positiv, eine "Trendumkehr" sei es, ein "aufsteigenden Ast", gar ein "großer Erfolg".

Zwei Tage danach wurde die Wilhelm-Raabe-Straße 4 besetzt, der "Weckruf aus Heslach" (Stuttgarter Zeitung) in der Stadt und darüber hinaus war unüberhörbar, weil sein Resonanzboden die soziale Wirklichkeit vieler Zehntausender in Stuttgart ist. Die Versuche der "Stuttgarter Nachrichten", der Immobilien-, Haus -und Grundeigentümer-Lobby beizuspringen, indem die immer gleiche Platte von "Rechtsbruch!" und "Linksextremisten!" aufgelegt wird, scheitern deshalb an der Realität. Auch wenn bei weiteren Aktionen wieder mit solch schriller Begleitmusik zu rechnen ist. Denn weitere Aktionen sind dringend nötig. So ruft das "Aktionsbündnis Recht auf Wohnen" gemeinsam mit den Anstiftern und Verdi Stuttgart für Donnerstag, den 14. Juni um 17 Uhr, zur Kundgebung auf den Marktplatz auf. Am Tag der "Generaldebatte zur Wohnungspolitik" im Gemeinderat. Damit der "Weckruf aus Heslach" endlich auch im Rathaus ankommt.


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3 Kommentare verfügbar

  • Waldemar Grytz
    am 08.06.2018
    Antworten
    Die Bissigkeit mit der einige Herrschaften (und ihre Lohnschreiber) auf den heslacher Weckruf reagieren, zeigt doch nur, dass da zu Recht in die Eiterbeule der Spekulation gepikst wurde. Wer nur seine Kontoauszüge lesen kann und mag (partielle Asozialität) kann auch mit dem Grundgesetz nichts…
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