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Männer too

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Ursprünglich bewegte sich die MeToo-Debatte in den Sphären der Glitzerbranche des Films. Aber was hat MeToo mit unserem Alltag zu tun? Und was sagt Mann, wenn Frau einen reichen Lover und ein Haus am Starnberger See haben will? Unser Autor tut sich schwer. Und kommt zu einem radikalen Schluss.

Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, werte Leserin, werter Leser. Spricht Sie die #MeToo-Debatte (noch) an? Haben Sie das Gefühl, sie hat etwas mit Ihrem Leben zu tun? Hat sie Spuren bei Ihnen hinterlassen? Oder haben Sie das Thema schon satt? Ich glaube, die Debatte hat erst dann ihr Ziel erreicht, wenn sie in den Alltag findet, wenn sie sich praktisch auswirkt. Und ich weiß nicht, inwiefern das der Fall ist.

Um eine Antwort zu finden, habe ich mich selbst beobachtet, mit einem Auftrag der Kontext-Redaktion im Hinterkopf, einen Text über #MeToo zu schreiben. Aufgefallen war ich dort, weil ich die Redaktionstoilette mit einem Schild verzierte, das Männer zum sich Setzen aufforderte. Sie wissen – Putzmittel sparen, Sauberkeit, aber auch Männerstolz, solche Sachen. Hat das was mit #MeToo zu tun? Und schon sind wir mittendrin!

"Wichtiger" alter Mann trifft junge Frau

Das Thema an sich ist ja nicht neu: Rainer Brüderle und ein ausgefülltes Dirndl, Roman Polanski und eine mit Drogen und Alkohol abgefüllte und vergewaltigte Dreizehnjährige, Silvio Berlusconi und die 17 Jahre alte Prostituierte Ruby, Bill Clinton und Monica Lewinsky, Donald Trump, der der Meinung ist, er könne jeder Frau an die Pussy grabschen. Das sind alles altbekannte Beispiele. Es sind immer asymmetrische Situationen: "wichtiger" alter Mann – junge Frau. Situationen, die allgemein verurteilt werden. Und die aber trotzdem immer wieder Nachahmer finden.

Auch die ursprüngliche #MeToo-Diskussion bewegte sich in Sphären, in denen sich Otto und Ottilie Normalbürger selten bewegen, im Glamour und den Abseitigkeiten der mondänen Glitzerbranche. Die Debatte hat einen genau definierten Ausgangspunkt, eine sehr spezielle Situation: nämlich Schauspielerinnen, die im Oktober des vergangenen Jahres einen mächtigen Film-Produzenten, von dem sie in gewisser Weise abhängig waren, des sexuellen Missbrauchs bis hin zur Vergewaltigung beschuldigten – Harvey Weinstein. Die Schauspielerin Alyssa Milano, bekannt unter anderem aus der Serie "Melrose Place", ermutigte betroffene Frauen, auf Twitter ihre Erfahrungen mit übergriffigen Männern zu schildern und das Ganze mit dem Hashtag #MeToo zu versehen.

Dies ist ein sehr spezieller Kontext. Mit meinem Alltag hat die Filmwelt, abgesehen von dem einen oder anderen Kinobesuch, nichts zu tun, und ich vermute, mit dem des Großteils unserer LeserInnen auch nicht. Doch es wäre falsch, #MeToo deswegen ad acta zu legen, ganz im Gegenteil. Auch wenn es vielleicht manche Männer verlockt, sich der Debatte mit genau dem Verweis darauf nicht zu stellen. Doch allein die Masse an Berichten, die mit #MeToo versehen wurden, verbietet es uns.

Sie zeigen, wie allgegenwärtig Missverhalten von Männern ist. Spätestens wenn man die Debatte also vom Hintergrund des Showbusiness mit seinen speziellen Bedingungen löst, wird sie anwendbar, relevant, gesellschaftlich wichtig. Man muss ihren Kern herausschälen, und genau da fangen die Probleme an. Denn was genau ist ihr Kern? Wie immer, wenn man Details in den Blick nimmt, wird es komplex. Und das Ergebnis des Herausschälens hängt offensichtlich auch ganz davon ab, was man persönlich mit der Debatte bezwecken will. Ich finde, der Kern dieser Debatte ist: "Wie soll Mann sich Frau gegenüber verhalten?" Aber mein Eindruck ist, dass wir als Gesellschaft uns noch nicht einmal über die Prämisse geeignet haben, um was es in dieser Diskussion geht. Und mein Gefühl ist, wir sind schon wieder unterwegs, auf der Suche nach dem nächsten Ding, das die Gemüter erhitzt. Oder Schlagzeilen hervorbringt. Dabei sind wir mit #MeToo doch noch gar nicht fertig!

Ich habe in meinem Alltag geschaut, was sich dort von #MeToo findet, so wie ich den Themenkomplex verstehe. Ich weiß übrigens nicht, wie es Ihnen geht. Aber bei mir ging das ohnehin fast automatisch, das Suchen nach #MeToo im Alltag. Die Debatte hat zumindest bei mir schon etwas erreicht. Und ich hoffe – auch wenn ich es bezweifle –, dass sie das auch bei den Männern geschafft hat, die sich eigentlich gar nicht für das "Gedöns" interessieren.

Schade, dass Witze über Namen nicht erlaubt sind

Ich hatte ein paar Artikel zu dem Thema gelesen, natürlich die sensationelle Enthüllung über Harvey Weinstein im "New Yorker", habe Texte über Dieter Wedel studiert (schade, dass man keine Witze über Namen machen darf) und Catherine Deneuves Entgegnung zu #MeToo. Habe mit Freunden darüber diskutiert, inwiefern die Debatte auch kulturimperialistisch geprägt ist und sich mit einem guten Ansatz die Kultur der Prüderie durch die Hintertür ins Salonzimmer einschleicht. Jedenfalls nahm ich mir die #MeToo-Brille gerne aus dem Etui, fast ohne es zu merken. Selbst wenn es sich dabei um ein rahmenloses Gestell handelt, sodass nicht immer klar ist, was man jetzt durch die Brille anschaut und was nicht: Die Brille hat mich doch manche Realität neu sehen lassen.

Ich erinnerte mich in diesem Zusammenhang an einen frühen #MeToo-Moment. Ich habe es nicht persönlich miterlebt, doch Freunde, die dabei waren, berichteten mir, wie der Schulleiter meines Gymnasiums auf einem Weinfest in trunkenem Zustand eine Schülerin zu sich auf den Schoß zog. Wir waren damals alle einhellig der Meinung, dass das scheiße ist. Auch weil der Schulleiter nicht sonderlich beliebt war. Und vielleicht auch, so ehrlich muss man sein, weil uns die Schülerin auch gefiel. Heute, mehr als zwanzig Jahre später und damit auch zwanzig Jahre älter, frage ich mich, inwiefern sich bei manchen meiner Kollegen diese Ablehnung etwas verschoben haben mag. Ich persönlich möchte keine Abiturientin auf meinem Schoß sitzen haben, des Alters wegen, unabhängig von ihrem Aussehen. Aber so sicher bin ich mir nicht, dass die Phalanx der Ablehnung von damals heute nicht etwas löchriger wäre.

Vom Starnberger See aus lässt sich prima starten

Ich habe auch gemerkt, dass für mich #MeToo irgendwie im Raum schwebt, aber nicht trennscharf. In Leipzig, zum Beispiel, mit Freunden in der Kneipe, am Tisch eine junge Frau, 33, eigentlich eine Dauer-Reisende. Um Geld zu sparen, hat sie sich jedoch in der günstigen Stadt Leipzig niedergelassen. Sie sei emanzipiert, sagt sie, und betont, wie wichtig ihr ihr Lifestyle sei, Sport machen, raus in die Berge, im Grünen sein, und natürlich reisen. Sie wolle einen reichen Mann, am besten aus München, mit einem Haus am Starnberger See, man sei so schnell draußen von dort aus. Meinen Einwand, das sei jetzt nicht gerade emanzipiert, lässt sie nicht gelten. "Mir ist mein Lifestyle halt wichtig", sagt sie. Fängt #MeToo da schon an, frage ich mich, und komme zu dem Ergebnis, dass man diese Frage am besten mit sich selbst ausmacht.

Ich bin ein Mensch, der eher zurückhaltend flirtet. Ich bin darüber auch froh, ich mag es nicht, wie andere Männer Frauen offensiv anmachen. Zum einen finde ich, sollte eine Frau durchaus auch Signale senden und nicht nur den Mann "graben" lassen. Zum anderen erfordert es doch auch der Respekt vor der Frau, ein "Nein" als "Nein" stehen zu lassen. Aber ich habe auch schon öfter bemerkt, dass die Männer, die ihren Flirt nach einem "Nein!" nicht abbrechen, am Ende oft doch erfolgreich sind. Im Extremfall ärgere ich mich dann doppelt: Dass die Dreistigkeit der Männer von Erfolg gekrönt ist. Und dass Frauen dieses Spiel auch noch mitspielen. (Und weil die #MeToo-Debatte immer auch ein Schleudersitz ist: Es geht hier nicht darum, die Viktimisierung von Frauen zu relativieren. Es geht mir um Zwischentöne, die meiner Meinung nach auch zu einer Debatte gehören, die nicht dank einer Schwarz-Weiß-Sicht funktionieren soll.)

Aber kann das der Sinn einer so wichtigen Debatte sein? Und darf man eine Debatte, die um die Rolle von Frauen, die Opfer von Männern wurden, auf etwas so Banales wie Flirtverhalten beziehen? Ich denke ja, vor allem wenn man das Verhalten von Männern in den Fokus nimmt.

#MeToo geht natürlich alle Geschlechter an. Dennoch nehme ich die Diskussion als eine wahr, die sich um Frauen dreht. Oder kennen Sie den Hashtag #HowIWillChange? Ich schätze nicht. Dies ist der Zusatz, unter dem sich Männer auf der Internetplattform Twitter äußern sollen. Wo Männer ihre Geschichten erzählen sollen, berichten, wie sie sich verändern werden. Abgesehen davon, dass dieses Wortungetüm nun wirklich nicht so griffig ist wie #MeToo, vermute ich, liegt der geringe Erfolg auch daran, dass die #MeToo-Debatte sich wunderbar eignet, weitergereicht zu werden. Ich habe ja keine Frauen vergewaltigt, kann einer sagen, so schlimme Sachen, das machen andere. Und dann weiter sexistische Sprüche machen. (Man kann diese Treppe Stufe um Stufe nach unten gehen, irgendwann passt dieses Argumentationsmuster auch für einen selbst. Und man hat es sich dann bequem eingerichtet, weil man sich eben nicht ändern muss.)

Ganz schlicht: Wir leben immer noch in einer Männerwelt

Reicht das allein als Erklärung, warum die Debatte frauenzentriert läuft? Ich glaube nicht. Man muss sich nur umschauen und sieht sofort, woran es auch liegt. This is a Man's World, sang James Brown 1966 zum ersten Mal. Und während rings um uns herum in den vergangenen fünfzig Jahren ein Bewusstsein für Umweltschutz, Tierschutz, Datenschutz, Abfallentsorgung, Ernährung, Vegetarismus, Veganismus, gleichgeschlechtliche Lebensbeziehungen und und und gewachsen ist, leben wir immer noch in einer Männerwelt. In einer Männerwelt, die einfach akzeptiert, dass im neuen Bundestag weniger als ein Drittel der Menschen, die das Volk vertreten sollen, Frauen sind. Dass nur 12,5 Prozent der Vorstände in den 30 Dax-Unternehmen weiblich sind, nur fünf Prozent der Führungspositionen bei Regionalzeitungen von Frauen eingenommen werden.

Lange wurde über Quoten diskutiert. Wie schaffen wir es in Deutschland, 30 Prozent Frauenanteil hier oder 30 Prozent Frauenanteil dort zu haben? Pro Quote, eine Organisation, die sich um Frauen in Führungspositionen bei Medien kümmert hat die Latte jetzt auf 50 Prozent gelegt. Gut so. Aber die Diskussion muss doch sein, wie kriegen wir die Männer aus den Vorständen raus! Das ist nicht radikal, das ist logisch. Wir müssen bei den Männern ansetzen. Wir haben kein Problem des zu wenig, sondern ein Problem des zu viel. Problemmänner entstehen, weil es zu viele Männer gibt. Das muss die Essenz der #MeToo-Debatte sein. Warum gibt es nicht einen einzigen Mann, der zugunsten einer Frau seinen Sessel räumt, als Zeichen?


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5 Kommentare verfügbar

  • adabei adabei
    am 07.03.2018
    Antworten
    Klar, kann man sich als einigermaßen zivilisierter Mann eigentlich nur für jene übergriffigen Geschlechtsgenossen fremdschämen.
    Dennoch muss man nach der #MeToo-Debatte vielleicht fragen dürfen: Ist zum Beispiel Melania Trump hilfloses Opfer eines gealterten Pussy-Grabschers oder subjektiv und als…
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