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Die Lücke der Linken

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Die Debatte um eine neue Volkspartei zeigt, dass die Linke eine Leerstelle hat: im Feld des Linkspopulären. Unser Autor will sie schließen. Er plädiert für getrennt marschieren, vereint schlagen.

Eine linke Sammlungsbewegung, eine neue linke Volkspartei, die die Partei Die Linke sowie Teile der Grünen und der SPD umfassen soll – diese Initiative Sahra Wagenknechts und Oskar Lafontaines sorgt für reichlich Kontroversen. Sie stößt nicht nur auf wenig positiven Widerhall bei SPD und Grünen, sondern auch auf massiven Widerspruch aus anderen Teilen der Linken. Lafontaine und Wagenknecht wird vorgeworfen, damit ihren persönlichen Ambitionen zu frönen und zur Spaltung der Linkspartei beizutragen.

Der Zeitpunkt für die Initiative ist jedenfalls gut gewählt. Die linken Parteien haben bei der Bundestagswahl sehr schlecht abgeschnitten. Das knappe Votum für die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen sorgt für viel Unzufriedenheit in der SPD. Der linke Flügel der Grünen kann nicht mehr auf eine gleichberechtigte Repräsentation in der Parteiführung vertrauen. Und in der Linkspartei herrscht sehr schlechte Stimmung, wie jüngst etwa <link http: www.taz.de querfront-debatte-bei-der-linken external-link-new-window>bei den massiven Auseinandersetzungen um Ken Jebsen deutlich wurde.

Es gibt aber einige problematische Aspekte bei diesem Unterfangen. Zunächst ist es recht unrealistisch, dass sich eine größere Anzahl von Parteimitgliedern der Grünen und der SPD – oder gar die ganzen Parteien – dieser Initiative anschließt. Ähnliches gilt für die Zustimmung der gesamten Linkspartei zur Umwandlung in eine überparteiliche Sammlungsbewegung – auch wenn die Partei ja eigentlich schon eine solche Sammlung aus PDS und WASG darstellt. Falls die Initiatoren trotzdem an ihrem Vorschlag festhalten, könnte es tatsächlich zu einer Spaltung der Linkspartei kommen, nicht zu der eigentlich beabsichtigten Erweiterung.

Auch der Begriff einer "Volkspartei" ist durchaus ambivalent. Natürlich wäre es wünschenswert, auf der Linken eine kraftvolle Partei zu haben, die viele gesellschaftliche Gruppen unter einem Dach vereinigt. Allerdings zeigt die jüngere Geschichte der deutschen Volksparteien, einschließlich der SPD, dass diese breiten Bündnisse zuletzt vor allem zugunsten der Mittelschicht agiert haben. Letztere beteiligt sich zuverlässig an Wahlen, im Gegenteil zu den Marginalisierten, die schon lange den Glauben an die Verbesserung der eigenen Lage durch den Wahlakt aufgegeben haben und allenfalls ein Kreuzchen bei einer Protestpartei setzen. Notwendig wäre aus dieser Perspektive eher eine Klientelpartei für die sozioökonomisch am wenigsten Privilegierten und die vom Abstieg bedrohte untere Mittelschicht.

Riskant: Fixierung auf eine Führungsfigur

Schließlich ist auch die personelle Fixierung auf Sahra Wagenknecht zweischneidig. Der kurzfristige Appeal einer Personalisierung ist offensichtlich, man denke nur an Lindner und die FDP, Kurz und die ÖVP sowie natürlich Macron. Auch auf der Linken ist das Rezept nicht ohne Meriten, wie Jean-Luc Mélenchon in Frankreich und Jeremy Corbyn in England bewiesen haben. Zudem strahlt Sahra Wagenknechts Popularität auch deutlich über die Grenzen der Linkspartei hinaus.

Ob eine personenfixierte Sammlungsbewegung langfristig zum Erfolg führen würde, ist aber eine andere Frage. Zunächst steht und fällt eine solche Sammlungsbewegung mit der Popularität der Führungsfigur. Derzeit ist diese im Falle Wagenknechts hoch, aber das muss nicht endlos anhalten – und dann könnte eine solche Bewegung ins Bodenlose stürzen. Neben der Fixierung auf eine Person ist es auch gefährlich, auf Parteistrukturen zu verzichten, denn diese erfüllen wichtige Funktionen im politischen Prozess. Sie können beispielsweise für eine demokratische Entscheidungsfindung im vorparlamentarischen Raum sorgen, sowie für die systematische Rekrutierung und Bewährung des Personals für verantwortungsvolle Positionen.

Der Kern der wütenden Ablehnung der Initiative in Teilen der Linkspartei liegt allerdings weniger in diesen Aspekten der demokratischen Repräsentation begründet, als vielmehr in inhaltlichen Fragen. Wagenknecht und Lafontaine nehmen politische Positionen ein, die von ihren Gegnern als "linksnationalistisch" bezeichnet werden. Dazu gehört insbesondere eine skeptische Haltung zu umfangreichen Migrationsbewegungen und gegenüber der bestehenden EU. Ihre innerparteilichen Kritiker favorisieren hingegen offene Grenzen und setzen nach wie vor große Hoffnungen auf eine Stärkung der EU, trotz deren ausgeprägt wirtschaftsliberalen Charakters.

Besonders deutlich wird dieser inhaltliche Hintergrund beim Institut Solidarische Moderne (ISM). Eigentlich sollte dieses Institut von der Initiative vollkommen begeistert sein, es hat sich schließlich genau zu dem Zweck gegründet, Vertreter von SPD, Linken und Grünen zusammenzubringen. Stattdessen <link https: www.solidarische-moderne.de de article external-link-new-window>lehnt es die aktuelle Initiative mit größter Schärfe ab. Es geht in dieser Ablehnung aber weniger um die verletzte Eitelkeit, dass das ISM bei dieser neuen Initiative nicht gefragt wurde, sondern vor allem um eine Migrationspolitik, die an der Vorstellung offener Grenzen festhält und eine restriktive Haltung gegenüber Wanderungsbewegungen aus Afrika und dem Nahen Osten ablehnt.

Parteipolitisch nicht repräsentiert: linke EU-Skeptiker

Bei diesem Dissens geht es um eine Kernfrage für die zukünftige Ausrichtung linker Politik. Es gibt ein deutliches Repräsentationsdefizit im deutschen Parteiensystem für jene Menschen, die eine sozioökonomisch linke Ausrichtung gerne mit einer Position verknüpft sehen würden, die aus Sorge um den Schutz des Sozialstaat eine eher skeptische Haltung gegenüber der liberalisierenden Wirkung der EU und den Folgen ungebremster Migration einnimmt. Derzeit finden diese Menschen auf der politischen Linken allerdings keine Repräsentation, außer bei Wagenknecht und Lafontaine.

Eine politische Position, die diesen Motiven eine Stimme verschafft, wäre kein opportunistisches Fischen nach Wähleremotionen, sondern würde sich an realen Problemen orientieren. Während die akademisch gebildeten Gruppen der Mittel- und Oberschichten von der – insbesondere auch durch die EU geförderten – wirtschaftlichen Globalisierung profitieren, müssen sie gleichzeitig Migranten als Konkurrenten nicht fürchten. Ganz anderes ist das bei den formal weniger qualifizierten Bevölkerungsgruppen, die die Neuankömmlinge als Konkurrenten auf dem Arbeitsmarkt, um bezahlbaren Wohnraum und um Sozialleistungen mit Sorge sehen. Derzeit artikulieren diese Gruppen ihre Befürchtungen – wenn sie nicht gleich auf die Mitwirkung im politischen Prozess verzichten – durch die Wahl der AfD, die diese Unterstützung aber nicht nur für ihre chauvinistischen und oftmals auch rassistischen Zwecke missbraucht, sondern in ihrer Wirtschafts- und Sozialpolitik neoliberale Positionen vertritt, die den Interessen der weniger privilegierten Gruppen diametral widersprechen.

Politische Positionen, die einer supranational-liberalen EU und einer sehr liberalen Migrationspolitik skeptisch gegenüberstehen, werden oftmals als "rechts" wahrgenommen. Das ist aber eine verkürzte Wahrnehmung des politischen Feldes. Wir müssen uns dieses Feld zweidimensional vorstellen, wobei die Links-rechts-Achse von einer zweiten Achse gekreuzt wird, die in der wissenschaftlichen Diskussion häufig als kosmopolitisch-kommunitaristische Achse bezeichnet wird. Auf dieser Achse stehen sich Präferenzen für das Regieren jenseits des Nationalstaats, für verstärkte Migration und für eine vertiefte wirtschaftliche Globalisierung ("kosmopolitisch") solchen Präferenzen gegenüber, die demgegenüber stärker auf den Schutz des demokratischen nationalen Sozialstaats ("kommunitaristisch") setzen.

Während in unserem Parteienspektrum die drei Felder links-kosmopolitisch (Linkspartei, Grüne, SPD), rechts-kosmopolitisch (CDU/CSU, FDP) und rechts-kommunitaristisch (AfD) besetzt sind, fehlt eine solche Vertretung im Bereich links-kommunitaristisch. Aus meiner Sicht wäre es sinnvoll, wenn eine solche Position parteipolitisch besetzt würde. Ich bezeichne sie als "linkspopulär". "Populär", um sie von den negativen Begleitumständen des Populismus (etwa Vereinfachung und Polarisierung), aber auch vom in Chauvinismus und Rassismus ausstrahlenden populistischen Kommunitarismus der AfD abzusetzen.

So könnte eine linkspopuläre Migrationspolitik beispielsweise darauf basieren, dass sie auf offene Grenzen verzichtet, aber trotzdem einen solidarischen Umgang mit den Geflüchteten praktiziert. Dazu gehört insbesondere eine viel großzügigere finanzielle Unterstützung für ärmere Staaten und das UN-Flüchtlingswerk bei der Aufnahme von Migrationsströmen besonders in den Heimatregionen, anstatt der vermehrten Aufnahme von Geflüchteten in Deutschland. Bei jenen geflüchteten Menschen, die schon in Deutschland leben und bei denen eine Rückkehr auf absehbare Zeit unzumutbar ist, muss die Integrationsunterstützung intensiviert werden, was aus linkspopulärer Sicht dann akzeptabel ist, wenn gleichzeitig die Lage der sozioökonomisch schwächsten Gruppen in Deutschland substanziell verbessert wird.

Ohne das linkspopuläre Spektrum keine linken Mehrheiten

Um eine weitere Fragmentierung der Linken zu vermeiden, wäre es am besten, wenn eine der beiden etablierten linken Parteien die Besetzung des linkspopulären Feldes wahrnehmen würde (die Grünen sind besonders kosmopolitisch orientiert – und auch nicht mehr besonders links). Die SPD ist allerdings aktuell auf einem ganz anderen politischen Pfad, ihr Parteivorsitzender Martin Schulz beispielsweise investiert sehr viel politisches Kapital in die weitere Stärkung der supranational-liberalen EU. Aber auch die lautstarken Kritiker der GroKo, insbesondere die Jusos, favorisieren meist keine linkspopuläre Position, sondern eine liberalere Flüchtlingspolitik als in den Sondierungen vereinbart. Zugleich ist es unwahrscheinlich, dass die Linkspartei in diese Lücke stößt, da sie derzeit eine Neuausrichtung auf urbane Akademiker vorzunehmen scheint. Jene sind mit ihrer kosmopolitischen Haltung kaum für linkspopuläre Positionen zu begeistern.

Wenn sich die von Wagenknecht/Lafontaine angestoßene Initiative darauf fokussieren würde, das linkspopuläre Feld abzudecken, wäre hier notfalls auch eine neue politische Kraft willkommen, selbst wenn sie zur weiteren Fragmentierung der linken Parteienlandschaft beitragen würde. Wenn die Linke das linkspopuläre Spektrum nicht abdeckt, wird sie dauerhaft nicht in der Lage sein, politische Mehrheiten zu erringen und ihre Aufgabe, den Schutz der ökonomisch Schwachen, zu erfüllen. Es sollte dann aber besser um die Gründung einer neuen linken Partei gehen, nicht um eine personenfixierte Sammlungsbewegung. Eine solche Partei könnte potenziell auf starke Resonanz aus dem Spektrum der Nichtwähler zählen – und jener AfD-Unterstützer, die ihr Kreuzchen bei dieser rechtspopulistischen Partei als Denkzettel verstehen, nicht als chauvinistisch-rassistisches Statement.

Linke Parteien wären sich dann zwar in Fragen von EU, Migration und Globalisierung nicht einig, hätten aber noch ausreichende Gemeinsamkeiten bei Fragen von Wirtschafts- und Sozialpolitik, dass sie bei einer zukünftigen Mandatsmehrheit potenziell koalieren könnten. Das Motto wäre dann: getrennt marschieren, vereint schlagen.

 

Andreas Nölke ist seit 2007 Professor für Politikwissenschaft an der Goethe-Universität Frankfurt, nach Tätigkeiten in der Entwicklungszusammenarbeit und an den Universitäten von Konstanz, Leipzig, Amsterdam und Utrecht. Am 1. Februar erscheint im Westend Verlag sein Buch <link https: www.westendverlag.de buch linkspopulaer _blank external-link-new-window>"Linkspopulär".


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8 Kommentare verfügbar

  • Philippe Ressing
    am 04.02.2018
    Antworten
    Die gesamte Debatte muss vom Kopf auf die Füße gestellt werden. Da ventilieren sich selbst zu politischen Führern Berufenen darüber, wie man den Wähler in die eigenen Scheuer treiben kann. Spannend wird dieses taktische Rumgehuber erst, wenn die Anklündigung mit Inhalten gefüllt werden muss. Zu…
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