Jetzt ist Andrea Nahles Fraktionsvorsitzende im Bundestag und kanzelt die GroKo-Gegner als notorische Neinsager ab. Kevin Kühnert, heute Juso-Chef und einer dieser GroKo-Gegner, wird manchmal staunen, was aus jungen Sozialisten so alles werden kann.
Natürlich hat nicht automatisch recht, wer wie Kühnert radikal Nein sagt zu dem neuen Bündnis mit CDU und CSU. Auch dessen Verteidiger haben ein paar Sachargumente auf ihrer Seite: Wenn Arbeitgeber wieder so viel für die Krankenversicherung bezahlen wie Arbeitnehmer, ist das für Normalverbraucher ein Fortschritt. Wenn sich die Politik zu einer gewissen Stabilisierung des Rentenniveaus bekennt, ist es besser, als wenn sie das unterließe. Wenn Reformen und Investitionen für Europa angedeutet werden, ist das besser, als wenn man Emmanuel Macrons Ideen weiter unbeantwortet ließe. Und so weiter. Und sollte von den Nachforderungen der Sozialdemokraten – Krankenversicherung, Familiennachzug, befristete Arbeitsverhältnisse – etwas Nennenswertes hängenbleiben, dann ist das umso besser.
Wer also zufrieden ist, wenn sich überhaupt etwas verbessert, wird Gründe finden, Ja zu sagen. Aber was ist, wenn man das Ergebnis an dem misst, was das Land eigentlich bräuchte – zumindest an dem, was die SPD noch im Wahlkampf für notwendig hielt? Dann häufen sich die Gründe für ein Nein.
Wie kann die SPD einer Obergrenze für Flüchtlinge zustimmen?
Die Wiederherstellung der Parität, so schön sie ist, bleibt meilenweit hinter der Notwendigkeit einer Bürgerversicherung zurück. Die Stabilisierung des Rentenniveaus ist zu wenig, wenn zugleich am Drei-Säulen-Modell (also auch an Fehlkonstruktionen wie "Riester") festgehalten wird. Die EU-Passagen im Papier sind zu vage, um als "Aufbruch" durchzugehen. Und was ist aus dem zentralen Ziel geworden, notwendige Investitionen durch höhere Steuern am oberen Ende zu finanzieren? Schließlich: Wie kann eine Partei, zu deren Grundsätzen die internationale Solidarität gehört, einer faktischen Obergrenze für Flüchtlinge zustimmen? Selbst bessere Ergebnisse auf anderen Feldern wären diese Bankrott-Erklärung nicht wert.
Aber natürlich argumentieren die Befürworter anders: Dass, gemessen an der SPD-Programmatik, vieles fehlt, würden sie gar nicht bestreiten. Aber jenseits inhaltlicher Fragen greifen sie dann auf wahl- und machtstrategische Argumente zurück: Die SPD habe nur 20 Prozent, da sei mehr nicht durchzusetzen. Und wenn es Neuwahlen gäbe, ginge es womöglich weiter bergab.
Seltsam, dass dieses Argument nicht zählte, als sich die Parteispitze nach der Wahl im September einstimmig gegen eine große Koalition aussprach. Warum war das damals richtig? Oder umgekehrt: Wenn es richtig ist, für begrenzte Zugeständnisse in die GroKo zu gehen, warum galt das einen Tag nach der Wahl, am 25. September 2017, nicht? Hätte Jamaika, das damals alle erwarteten, etwa SPD-Politik gemacht?
Es stimmt schon: Wenn die Parteibasis am Ende doch noch Nein sagen sollte, wird ein medialer Shitstorm folgen. Ein Aufschrei derjenigen, die meinen, verantwortliches Handeln könne ausschließlich darin bestehen, dass man der Union per Koalition zu einer Regierungsmehrheit verhilft. Die SPD ginge also tatsächlich ein Risiko ein, wenn sie dafür sorgte, dass nur die Alternative Minderheitsregierung oder Neuwahlen bleibt.
Von den eigenen Zielen und Idealen meilenweit entfernt
A propos Neuwahlen: Das stärkste Stück, was schräges Argumentieren betrifft, hat auch hier Andrea Nahles, die Ex-Linke, abgeliefert. Wenn es Neuwahlen gäbe, sagt sie, müsste die SPD ja mit Themen für sich werben, die sie auch jetzt schon durchgesetzt habe. Seit wann hat die SPD nicht mehr zu bieten als das?
8 Kommentare verfügbar
Fritz Meyer
am 30.01.2018Aber leider wird man das "Feld"…