Und im Herbst 2011, in dem Wochen vor dem historischen Volksentscheid, bestimmten ohnehin andere die Tonlage. Peter Hauk (CDU): "Wir wissen, der Kostenrahmen von 4,1 Milliarden Euro wird eingehalten, der Puffer ist vorhanden, es gibt keine Kostensteigerungen." Claus Schmiedel, immerhin SPD-Fraktionschef: "Man könnte sagen: Das Projekt ist angesichts dessen, was es bringt, insgesamt zu teuer. Aber wir sind anderer Meinung. S 21 bringt schon längst das, was es kostet." Und Nicole Razavi stimmte einen Evergreen an, der zwar zur Sache noch nie etwas beitrug, aber Unfug mit demokratischen Weihen salben sollte, um ihn gegen sachliche Einwände immun zu machen: "Stuttgart 21 ist über viele Jahre in vielen Parlamenten mit Recht beschlossen."
Wenigstens in der Info-Broschüre zur Volksabstimmung versuchten die Grünen gegenzusteuern. Der Stresstest sei "nur unter Einschränkungen und nicht mit guter Betriebsqualität bestanden". Weil sich zukünftig S-Bahn und Fernverkehr auf der Filderstrecke das Gleis und den Bahnhof am Flughafen teilen müssten, drohten zusätzliche Störungen. "S 21 hat den Stresstest bestanden und ist damit als leistungsfähiger Bahnknoten bestätigt worden", behaupteten die Befürworter und lehnten sich weit aus dem Fenster: "Mit S 21 können der Landesflughafen und die Landesmesse aus weiten Teilen Baden-Württembergs wesentlich schneller und besser erreicht werden."
Dem Flughafen droht der Vorwurf "fremdnütziger Untreue"
Genau deshalb hatte sich die Flughafen GmbH entschlossen, einen Obolus zu geben. Mitte 2008, als das Projekt wieder einmal auf der Kippe stand, flossen 112 Millionen Euro, ausdrücklich zur Rettung des Vorhabens, wie Stuttgarts CDU-OB Wolfgang Schuster lobte. Insgesamt hat die Flughafen-Betreibergesellschaft aus Land und Landeshauptstadt mittlerweile 359 Millionen Euro ins Fass ohne Boden gesteckt – immer in der Hoffnung auf die gerühmten Vorteile in Sachen Erreichbarkeit. Werden die aber gar nicht erzielt mit nur drei Zugpaaren täglich, dann entfällt die Geschäftsgrundlage. Und dann steht womöglich ein Vorwurf im Raum, der Jurastudierenden gern den Examensschweiß auf die Stirne treibt: "Fremdnützige Untreue". Das ist ziemlich kompliziert und würde im heikelsten Falle bedeuten, dass der Flughafen gar nicht mitzahlen darf, weil für ihn nicht genug Nutzen abfällt.
Apropos Geschäftsgrundlage: Träumen ist ja erlaubt. Es wäre zu schön, um wahr zu sein, wenn die Razavis, die Rivoirs und Gönners dieser Welt endlich die Bahn ins Visier nähmen, anstatt sich immer nur an dem widerborstigen Hermann abzuarbeiten. Denn längst sind auch jene Versprechen gebrochen, auf deren Einhaltung zunächst die Große Koalition im Land (1992-96) und in den Folgejahren mehrere CDU-geführte Landesregierungen blauäugig vertrauten.
Kretschmann glaubt derweil weiterhin, dass der Umstieg nicht mehr möglich ist. Dabei müsste gerade ihm als intimen Kenner des Milliardengrabs aus langen Oppositionsjahren rasch klar zu machen sein, was alles noch veränderbar ist, würde er sich dieser Diskussion stellen. "Wenn die Anbindung jetzt gecancelt und die Zugfolge drastisch reduziert wird", sagt der Ministerpräsident, "dann muss ich sagen: Das geht irgendwo nicht." Wieder ist nur ein Wort falsch: irgendwo. Ein Regierungschef, der – wie er selbst sagt – die Interessen seines Landes tangiert sieht, muss handeln. Alles andere wäre wirklich ein Aprilscherz schon im Januar.
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Manfred Fischer
am 12.01.2018