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Fast drei Jahrzehnte moderierte unser Autor die SWR-Radiosendung "Leute". Tag für Tag. Da lernt man Land und Leute kennen. Auch Winfried Kretschmann kennt Siller. Und schreibt ihm in Kontext einen sehr persönlichen Brief zur Zukunft des Autos.

Sehr geehrter Herr Ministerpräsident, lieber Winfried Kretschmann,

es drängt mich, Ihnen zu sagen, dass ich es großartig finde, wie Sie sich als Landesvater um Ihre Bürger kümmern und als Opa um Ihren Enkel. Sie machen dienstlich wie privat, was Sie für richtig halten. Das ist richtig, und das macht Sie authentisch. Deswegen habe ich Sie im Wahlkampf unterstützt.

Sie sorgen sich um die Arbeitsplätze im Land, denn in der Automobilindustrie mit all ihren Zulieferern sind sie in Gefahr, zehntausende. Da tut es den Arbeitnehmern gut, wenn der Regierungschef sich für sie einsetzt.

Sie haben auch erkannt, dass sich jeder, der nicht zuletzt aus Umweltgründen vor zwei Jahren einen Diesel gekauft hat, betrogen fühlen muss, wenn er nächstes Jahr mit diesem Auto nicht mehr nach Stuttgart fahren dürfte. Ich finde auch, die darf man nicht im Regen, bzw. in ihrer Abgaswolke, stehen lassen.

Sie haben sich privat ein gescheites Auto gekauft, also einen Diesel, um nicht zuletzt Ihren Enkel zu besuchen (<link https: www.kontextwochenzeitung.de schaubuehne die-zukunft-ist-leider-undicht-4387.html external-link>und ihm auch mal eine Tonne Sand vorbeizubringen). Super. Ich hole gleich meine Enkelin aus dem Kindergarten ab, habe es dabei allerdings einfacher, weil ich das zu Fuß und mit der Stadtbahn erledigen kann.

Nun habe ich mir als interessierter Bürger auch Gedanken darüber gemacht, wie Arbeitsplätze erhalten oder gar neue hinzugewonnen werden können. Dabei bin ich auf die verwegene Idee gekommen, dass es besser sein könnte, in die Zukunft zu investieren als in Auslaufmodelle, zumal wenn man damit auch etwas für das Klima und gegen die weitere Vergiftung der Menschen tun kann (ich möchte sogar sagen: tun muss). Nur wenn sich die deutsche Automobilindustrie im Marathonlauf zur emissionsfreien E-Mobilität an die Spitze setzt, werden Arbeitsplätze erhalten. Unsere Ingenieure sind Weltklasse, sonst wäre Deutschland nicht führend in der Dieseltechnologie. Ihnen wird auch der nächste Schritt gelingen. Manchmal allerdings muss den Entscheidern in den Chefetagen ein wenig auf die Sprünge geholfen werden. Auch den Sicherheitsgurt und den Katalysator haben sie nicht schnellstmöglich und freiwillig eingebaut.

Aus guten Gründen und mit bestem Gewissen, wenn auch zu lange, haben Industrie und Politik den Autofahrern den Diesel ans Herz gelegt. Die fühlen sich nun zu Recht betrogen. Nicht nur VW, auch viele andere Hersteller haben gelogen und sie hintergangen, und die Politik hat das durch irreale nichtsnutzige Abgastests möglich gemacht. Ist Lug und Trug in Deutschland inzwischen erlaubt? Wer entschädigt den Käufer, der nicht bekommen hat, was ihm versprochen wurde und was er bezahlt hat? "Es gibt den sauberen Diesel," haben Sie gesagt. Was für ein Satz! Ich weiß, Sie meinten damit die neuesten Fortschritte, die immerhin darin bestehen, die schon lange verlangten Grenzwerte nun endlich einzuhalten. Aber natürlich gibt es keinen sauberen Verbrennungsmotor. Deswegen ist Ihr Satz so verhängnisvoll und ziemlich nah an der Trump-Äußerung von der "clean coal".

Und er ist genauso ein falsches Signal wie Ihr privater Diesel-Kauf. In Ihrer Position könnte es Ihnen gelingen, einen der raren Opel Ampera E zu ergattern, möglicherweise reichen Ihre Einkünfte sogar für einen Tesla, und auch eine E-Ladesäule für Ihre Garage müsste erschwinglich sein. Ein bisschen teurer wird die bundesweite Ausstattung mit E-Tankstellen. Auf diesen Mangel haben Sie ja auch i<link https: www.kontextwochenzeitung.de politik wirtschaftsversteher-misstraut-erfindergeist-4448.html _blank external-link>n Ihrer "privaten" Wutrede hingewiesen. (So einen Mitschnitt zu fertigen und auch noch auf dieser Plattform zu veröffentlichen, ist wirklich nicht die feine Art, aber da Sie privat nicht anders denken, reden und handeln als in der Öffentlichkeit, müsste es für Sie kein Problem sein.) Da muss etwas getan werden.

Ich bin nicht vom Fach und weiß deshalb nicht so viel, wie die Experten, die sich schon lange darüber Gedanken machen (sollten). Aber was mir einfiel: In den car2go-Städten ist schon ein Anfang gemacht, und da könnte man noch nachlegen. Bei den Tankstellen, das haben Sie ganz richtig angemerkt, kann man schon wegen der Ladezeit nicht einfach die alten Kraftstoffsäulen durch Ladesäulen ersetzen. Aber dort gibt es jede Menge Parkplätze, weil viele Autofahrer den Aufenthalt auch so schon für einen Kaffee oder eine Wurst nutzen. Die Hälfte dieser Parkplätze ausrüsten – und nach der Pause ist nicht nur der Magen, sondern auch der Wagen voll. Und schließlich: Wer den Bürger zwingt, bei Neubauten einen Stellplatz für Kfz oder Rad nachzuweisen, der kann ihm auch eine erweiterte Steckdose abverlangen.

Zugegeben, das ist nicht ausgereift, muss aber auch nicht übermorgen fertig sein. Ich fürchte nur, ohne Zielvorgabe geht es nicht. Müssen uns erst die Chinesen mit ihrer Quotenregelung zu schnellerem Fortschritt zwingen? Einigermaßen erschreckt hat mich übrigens, dass Ihnen mehr Prozente bei Wahlen wichtiger sind als Inhalte. Ist klar: Erstmal muss man an die Macht kommen, erst dann kann man seine Ziele auch durchsetzen. Aber sind Sie nicht an der Macht?

Ganz versöhnlich möchte ich Ihnen zum Schluss recht geben. Sie haben mal gesagt: "Weniger Autos sind besser als mehr". Das stimmt immer noch.

Mit freundlichen und hoffnungsvollen Grüßen

Ihr Stefan Siller


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14 Kommentare verfügbar

  • Monika Kremmer
    am 20.07.2017
    Antworten
    Großartig ironischer Brief. Danke!
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