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Gut und böse

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Die Uni Tübingen hat sich verpflichtet, nicht für die Rüstung zu forschen. Das Karlsruher Institut für Technologie sträubt sich gegen eine solche Zivilklausel. Gut und böse? So einfach ist das nicht, denn die Forschungsergebnisse sind meist zivil und militärisch nutzbar. Und es ist schwer nachzuvollziehen, wer da für wen forscht.

Studenten drängen darauf, bei der Forschung nicht mit der Rüstungsindustrie in Berührung zu kommen. Szene vom Campus der Uni Heidelberg.

Die Uni Tübingen hat sich verpflichtet, nicht für die Rüstung zu forschen. Das Karlsruher Institut für Technologie sträubt sich gegen eine solche Zivilklausel. Gut und böse? So einfach ist das nicht, denn die Forschungsergebnisse sind meist zivil und militärisch nutzbar. Und es ist schwer nachzuvollziehen, wer da für wen forscht.

Panzer, Maschinengewehre oder Militärflugzeuge werden von Rüstungsfirmen entwickelt und sind eindeutig von militärischem Nutzen. An vielen deutschen Universitäten wird ebenfalls für die Rüstungsindustrie geforscht. An Kommunikationssystemen, an Behandlungen von Traumata, an Materialien, mit denen Panzer und Hubschrauber verkleidet werden können, oder an den Auswirkungen von Nuklearstrahlung auf Körperzellen. Allerdings nicht ganz so offensichtlich. Häufig ist nicht auf den ersten Blick klar, wer da für wen was erforscht und zu welchem Zweck. Das ist das Problem.

An einigen Hochschulen haben sich studentische Initiativen gegen militärische Forschung formiert. Sie fordern eine Zivilklausel für alle Unis, eine Selbstverpflichtung der Hochschulen, nur für friedliche Zwecke zu forschen und nicht für militärische. Bestenfalls eine verbindliche Zivilklausel für das ganze Land, wie es von 1993 bis 2002 in Niedersachsen eine gab.

Grundsätzlich eine gute Sache, gegen die nichts einzuwenden ist. Einige Hochschulen wollen aber keine einheitliche Zivilklausel, wie zum Beispiel das Karlsruher Institut für Technologie (KIT). Und andere haben eine, nehmen sie aber nicht ganz so ernst, wie die Uni Tübingen. Es gibt mittlerweile sogar ein eigenes Wort für diese Diskrepanz: den "Zivilklauselstreit". Und der tobt in vielen Universitätsstädten.

Der Verdacht, die Rüstungsfirmen könnten Einfluss nehmen

Die Uni Bremen stellte sich 1986 der Selbstverpflichtung, nur noch zu friedlichen Zwecken zu forschen, und nahm die Zivilklausel in ihre Satzung auf. Nun wehren sich die Studenten gegen eine rund anderthalb Millionen Euro teure Stiftungsprofessur für "Raumfahrttechnologie", gesponsert Das Karlsruher Institut für Technologie hält nichts von einer sogenannten Zivilklausel.durch den Bremer Raumfahrtkonzern OHB Systems, der viel fürs Militär produziert, unter anderem Aufklärungssatelliten.

Die Uni Konstanz hat sich 1991 einer Zivilklausel unterstellt. Im März dieses Jahres hat die Uni trotzdem einen Kooperationsvertrag mit den Firmen Astrium und Cassidian, zwei Tochterunternehmen des Rüstungsriesen EADS, unterzeichnet. Die Zusammenarbeit sei vor allem für den Erhalt der wirtschaftlichen Leistungskraft der Region von Nutzen, finden die Firmenbosse. Die Kontakte sicherten ein exzellentes Forschungsklima, findet die Universität.

Forschungsarbeiten und Dissertationen werden deutschlandweit von Rüstungsfirmen gesponsert, Jugendoffiziere der Bundeswehr geben Seminare, Rüstungskonzerne finanzieren Stiftungsprofessuren, und das Verteidigungsministerium steckt jährlich Millionen in die militärische Forschung an Hochschulen. Die Unis sacken durch diese Kooperationen viel Geld ein, knüpfen nutzbringende Kontakte zur Industrie, sichern sich so Vorteile im Hochschulwettbewerb. Aber damit, so fürchten die Zivilklausel-Befürworter, machen sie sich abhängig, lassen sich von Firmen sponsern, die Massenvernichtungswaffen bauen. Das ist nicht nur moralisch bedenklich, sondern legt auch den Verdacht nahe, die Rüstungsfirmen könnten Einfluss nehmen auf die Forschung der Universitäten.

In Tübingen wurde an Mikrodrohnen geforscht

Drohnen sind momentan auf dem weltweiten Rüstungsmarkt der Renner, unbemannte Fluggeräte, die über fremdes Gebiet fliegen und den Feind ausspähen sollen. Manche dieser Drohnen können bewaffnet werden und eliminieren ihr Ziel per Fernsteuerung.

An der Uni Tübingen wurde zwischen 2007 und 2009 am Institut für kognitive Neurowissenschaft am kleinen Bruder dieser unbemannten Kampfmaschinen geforscht – an Mikrodrohnen, die beispielsweise unbekanntes Stadtgebiet ausspähen können. 3,35 Millionen Euro hat das Projekt gekostet, davon stammten 1,9 Millionen aus EU-Fördermitteln. Das Projekt gilt derzeit als abgeschlossen.

Die Uni Tübingen hat seit 2009 auf Druck der Studenten eine Zivilklausel als Präambel in ihre Grundordnung aufgenommen. Die Drohnenforschung sei aber, da ist sich der Tübinger Christoph Marischka, Mitglied im Vorstand der Initiative gegen Militärforschung an Universitäten, sicher, noch bis weit über die Zivilklauselvereinbarung hinaus im Gange gewesen. "Mit Sicherheit aber werden die Kontakte aufrechterhalten, die man im Institut während der Forschung geknüpft hat", beklagt er. Und nicht nur das: "In Tübingen findet man an jeder Ecke militärische Forschung. Aber nach außen hin brüsten sich die involvierten Institute mit Alzheimer- und Demenzforschung und nutzen die Ergebnisse dann doch fürs Militär."

Forschungsergebnisse können zivil und militärisch genutzt werden

Die Forschung an Organophosphaten am Institut für experimentelle Anästhesiologie beispielsweise, ein Forschungsprojekt, das vom Sanitätsamt der Bundeswehr finanziell unterstützt wird – für Marischka klar erkennbare militärische Forschung. Gleichzeitig aber auch ein Projekt, das die Grauzone der Zivilklausel gut ausleuchtet. Organophosphate sind Giftstoffe, die Militärisch oder zivil? So genau weiß man das eben nicht immer. Forschung an der Uni Hohenheim in Stuttgart.die Muskulatur lähmen und die Atmung ausschalten können. Zum einen würden diese Stoffe in Entwicklungsländern zur Schädlingsbekämpfung eingesetzt, lässt das Institut verlauten, und ein Gegenmittel könnte vielen Menschen helfen. Andererseits können Organophosphate auch als chemische Waffe gebraucht werden. Damit wäre die Forschung an diesen Stoffen von militärischem Nutzen.

Das ist die Krux an der Geschichte und gleichzeitig die Strategie dahinter. Klar, Drohnen werden militärisch eingesetzt, aber viele Forschungsergebnisse und Entwicklungen können auch zivil genutzt werden, im Fachjargon nennt man das "Dual-Use-Problematik". Prominentestes Beispiel: das Internet. Fürs Militär erfunden, nicht mehr wegzudenken aus dem zivilen Leben. Ganz genau weiß man meist nicht, was da beforscht wird, denn viele militärische Forschungsprojekte an Hochschulen unterliegen der Geheimhaltung.

Auch dagegen kämpfen die Studenten. "Wir wollen vor allem mehr Transparenz", sagt Tobias Bölz vom Unabhängigen Studierendenausschuss Karlsruhe, der momentan für eine Zivilklausel im KIT-Gesetz streitet. Viele Studenten, sagt er, forschten an einer Kleinigkeit, einem winzigen Baustein, ohne zu wissen, dass dieser einmal militärisch genutzt würde oder in einem weiteren Zusammenhang mit militärischer Forschung stünde. Aber nicht mal die Transparenz sei im neuen KIT-Gesetz irgendwie verankert. Von einer Zivilklausel ganz zu schweigen.

Die grüne Ministerin ist gegen eine gesetzliche Regelung

Im Juli 2009 fusionierten das Forschungszentrum Karlsruhe und die Universität Karlsruhe zum KIT – dem Karlsruher Institut für Technologie. Das KIT-Gesetz, das vom Land damals beschlossen wurde, beinhaltet zwar für das ehemalige Forschungszentrum die Friedens-Prämisse, nicht aber für den Unibereich. Im Januar hatten sich die Studenten in einer Urabstimmung mit Zweidrittelmehrheit dafür ausgesprochen, die Zivilklausel auf den gesamten Forschungsbereich zu übertragen. Sie wurden vom Betriebsrat unterstützt, von Gewerkschaften; und es gab eine Unterschriftenliste, auf der Nobelpreisträger und Politiker der SPD, der Grünen und der Linken unterschrieben hatten.

Mit ihnen Theresia Bauer, grüne Landesministerin für Wissenschaft, Forschung und Kunst und damit zuständig für die Hochschulen im Land, die sich explizit für eine Zivilklausel eingesetzt hatte, vor allem am KIT. Das allerdings war vor der Landtagswahl. Danach sagte sie in einem Interview, in Sachen Hochschulpolitik sei man der CDU immer näher gewesen als der SPD. Ein Sprecher des Ministeriums betont, Bauer sei immer für eine Selbstverpflichtung der Unis gewesen, nicht aber für eine gesetzliche Regelung.

Die nämlich, und das ist das große Problem, steht der im Grundgesetz verankerten Freiheit von Forschung und Lehre im Wege. Und wer möchte sich schon mit dem Grundgesetz anlegen? Der Tübinger Marischka und der Karlsruher Bölz sehen das anders: eine Klausel, die hier akzeptiert werde, könne dort doch nicht plötzlich verfassungswidrig sein.


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1 Kommentar verfügbar

  • PaulKnapp
    am 09.11.2011
    Antworten
    EADS-Cassidian hat die Herbsttagung der DGfE-Sektion "Berufs- und Wirtschaftspädagogik" (BWP) an der Universität Konstanz, 26.-28.09.2011, gesponsert. Wir, die Initiative gegen Waffen vom Bodensee, haben daraufhin einen Brief an die DGfE geschrieben. Am 04.04.2011 kam von der DGfE nun folgende…
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