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De-Maizière mich nicht voll!

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Da sind sie wieder: die Verbots-Fetischisten. Nach dem Amoklauf in München wird der Schrei nach einem Verbot von "Killerspielen" wieder laut. In unserer letzten Ausgabe empörte sich unsere Autorin Johanna Henkel-Waidhofer über das fehlende politische Interesse, endlich zu handeln ‒ und den verteufelten Spielen den Garaus zu machen. Eine Replik.

Zertreten, abschlachten, vergewaltigen, vernichten, Blut, Rache, kill, kill, kill ‒ wieso wird die Bibel eigentlich nicht verboten? Als Christdemokrat müsste Innenminister Thomas de Maizière wissen, dass das Buch der Bücher vor widerwärtigen Gewaltakten nur so strotzt. Besteht bei übermäßigem Konsum der Killerspiele von Moses, Samuel, Jesaja und unzähligen blutigen Gewaltpsalmen nicht die Gefahr, dass sie sich im Kopf und in der Seele der Menschen festsetzen? Besonders in denen junger Menschen? Wie können es Bibel-Lobbyisten vertreten, dass in ihrem All-Time-Kassenschlager "Kinder vor ihren Augen zerschmettert, ihre Häuser geplündert und ihre Frauen geschändet werden" (Jesaja 13, 16)? Klar kann die überwiegende Zahl ihrer LeserInnen mit den Inhalten der Bibel umgehen. Zu viele eben aber auch nicht. Abertausende christliche Amokläufer zerstörten Millionen von Menschenleben.

Zum Glück hat man sich irgendwann dazu entschieden, Staat und Kirche zu trennen. Wer die Bibel-Gang joinen will, soll's tun. Wer nicht, dem werden die Eingeweide von keinen Kreuzrittern mehr herausgerissen. Die Bibel aber wurde nicht verboten und das ist gut so. Die Menschen lernten vielmehr einen differenzierten Umgang mit ihrem Inhalt. Wenn heute jemand Amok läuft, der eine Bibel im Nachtkästchen hatte, entbrennt keine Debatte über ein Verbot.

Dass sich dieser Tage PolitikerInnen wieder einmal anschicken, Videospiele verbieten zu wollen, die explizite Gewalt beinhalten, ist absurd und scheinheilig. Statt sich einzugestehen, dass die Ursachen amoklaufender Jugendlicher komplex sind, reduziert man sie auf einen Sündenbock. Dieses täglich grüßende Murmeltier kennen wir bereits. Bevor es Videospiele gab, schossen sich PolitikerInnen auf Horrorfilme oder Rockmusik ein. Als zwei Jugendliche 1999 an der Columbine-Highschool in den USA 13 Menschen erschossen, wurde der "Schock-Rocker" Marilyn Manson von PolitikerInnen mit in die Verantwortung gezogen. Die Amokläufer seien von seiner gewaltverherrlichenden Musik inspiriert gewesen. Auch zahlreiche Regisseure kamen an den öffentlichen Pranger, als nach Filmen wie "Taxi Driver" (1976), "Natural Born Killers" (1994) oder "Scream" (1996) Menschen zu Mördern wurden, die diese "bösen" Filme gesehen hatten.

Mit schwitzigen Fingern wird der Repressions-Buzzer gedrückt

Heute sind es also wieder einmal die bösen Videospiele. Immer noch ist die Diskussion undifferenziert, hysterisch und populistisch. Mangels fruchtbarer Argumente wird der so bitter notwendige Diskurs über den Umgang mit popkulturellen Phänomenen wie Videospiele einfach de-maizièristisch, paternalistisch abgeblockt. "Kein vernünftiger Mensch könne bestreiten", dass Videospiele eine "schädliche Entwicklung auf Jugendliche" haben, erklärte de Maizière. Dass sich die Fakten der brennenden GegnerInnen meist auf die höchst umstrittenen Ergebnisse diverser Hirnforschungen beziehen, oder ganz schlicht auf ihre persönlichen, "vernünftigen" Einsichten, zeigt nur, mit welcher Hilflosigkeit dem Thema begegnet wird.

Will oder kann man nach Erfurt, Emsdetten, Winnenden und jüngst München das große Fass nicht aufmachen, drückt man mit schwitzigen Fingern wieder den Repressions-Buzzer. Ist ja auch einfacher. Außerdem simuliert er Aktivismus. Das Totschlagargument: Alle Amokläufer haben "Killerspiele" gespielt. Das ist Stammtisch-Evidenz. Heroinabhängige StraftäterInnen haben womöglich schon mal gekifft in ihrem Leben. Doch wer kifft, wird nicht zwangsläufig heroinabhängig oder straffällig. So einfach ist es halt nicht.

Das große Fass bleibt zu. Dass viele Heranwachsende heute schon in der Schule unter Burn-Out leiden. Dass sie keine Zeit mehr haben, mit einer komplexen Welt klarzukommen. Dass sie massiv unter Leistungsdruck stehen. Dass sie orientierungslos sind. Mobbing. Konkurrenzdruck. Depression. Dass sie in einer Gesellschaft groß werden, die ihnen vorgaukelt, alles erreichen zu können, wenn man sich nur genügend anstrengt. Dass es heute fast schon eine Ausnahme ist, wenn man mit 30 nicht schon völlig am Ende ist: Das ist der Stoff, der junge Menschen krank macht. Nicht nur. Nicht alle. Aber viel zu viele.

Die Welt samt der Probleme, die sie jungen Menschen machen, ist komplizierter geworden als die Welt, in denen ihre Eltern aufgewachsen sind. Die Lösungsansätze der zuständigen PolitikerInnen hingegen sind dieselben eindimensionalen. Im Fall der Videospiele heißt das: verbieten. Punkt.

Doch wollen wir in einer Welt leben, in der PolitikerInnen entscheiden, welche Kulturprodukte "gut" und welche "schlecht" sind? Noch dazu aufgrund einer Faktenlage, die dünner nicht sein könnte? Kein vernünftiger Mensch, um bei de Maizère zu bleiben, kann widerspruchslos belegen, dass Gewaltspiele Menschen monokausal zu Mördern werden lassen. Wäre dem so, könnte tatsächlich kein vernünftiger Mensch gegen ein Verbot sein. Doch so viele neurowissenschaftliche "Beweise" es für die Killer-Theorie gibt, so viele gibt es dagegen.

Soziale Phänomene mit Hirnforschung erklären – ganz dünnes Eis

Wenn man glaubt, neurowissenschaftlich ergründen zu können, was Ulrike Meinhof zur RAF-Terroristin werden ließ, gelingt das auch. So geschehen bis 2002: An der Uni Magdeburg dokterte man an ihrem Gehirn herum und stellte Veränderungen fest, die besondere Kaltblütigkeit begünstigen würden. Gesellschaftlicher und politischer Kontext? Fehlanzeige. Wer sozialen Phänomenen mit Hirnforschung begegnet, argumentiert auf dünnem Eis. Die kurzschlüssigen Zusammenhänge zwischen Videospielen, die Mord und Totschlag beinhalten, und Amokläufen, rechtfertigen kein Verbot.

Sonst müsste man viel verbieten. Bücher wie "American Psycho" etwa, Filme wie "300" und Tarantino-Streifen oder Bushido. Sie und viele andere Kulturprodukte distanzieren sich nicht von der Gewalt, die sie beinhalten. Sie feiern sie. Man kann davon halten, was man mag. Doch wer, bitteschön, sind de Maizière, Günther Oettinger oder Günther Beckstein, darüber zu richten? Sie sind Männer im Rentenalter, die sich aufgrund ihrer Meinung befähigt sehen, über das Verbot eines Videospiel-Genres zu entscheiden. Dass Meinungen hier ausreichen, muss jeder vernünftige Mensch bestreiten. Es gibt Regeln und Gesetze, die gewisse Kulturprodukte erst ab 16 oder 18 Jahren zugänglich machen. Das ist gut und das reicht. Dringlicher als die Sorge, dass ein 14-Jähriger an eine Counter-Strike-Version kommt, sollte die Sorge sein, dass er so leicht an reale Waffen kommt.

Der Fairness halber sei gesagt: Wie in Literatur, Film und Musik auch, gibt es Videospiele, die an abartiger Menschenfeindlichkeit nicht zu toppen sind. Sie heißen "Manhunt", "Postal" oder "Hatred". Sie alle sind unfassbar grausam, teils faschistoid und belohnen ihre SpielerInnen für möglichst niederträchtige Handlungen. Doch erstens sind diese Spiele im Gegensatz zu Kassenschlagern wie "GTA", "Call of Duty" oder "Doom" nicht sonderlich beliebt, weil bloßer Menschenhass auf Dauer langweilt. Zweitens findet innerhalb der SpielerInnen-Szene und der internationalen Gaming-Presse ein Diskurs statt, der sich kritisch mit Gewalt in Videospielen auseinandersetzt. Schnell machte es die Runde, dass die polnischen Macher von "Hatred" Verbindungen zur rechtsradikalen Szene in Polen haben. VideospielerInnen, wie die kanadisch-amerikanische Medienkritikerin Anita Sarkeesian, setzen sich vielbeachtet mit Frauenrollen in Games auseinander und treten wichtige Debatten los.

Deutschland fehlt eine ernsthafte Auseinandersetzung mit Videospielen

Genau das fehlt hierzulande: ein ernsthafter, differenzierter Diskurs. Videospiele wurden und werden in der Kulturrezeption nicht ernst genommen. Während protofaschistische Gewaltverherrlichungen wie etwa die Comicverfilmung "300" aufgrund einer funktionierenden Kinokultur repressionsfrei gefeiert werden darf, schießen sich überforderte PolitikerInnen bei Gewalt im Videospiel ins Knie. Wir brauchen eine Kultur des Videospiels statt Verbote. Sie vermittelt intellektuelle Werkzeuge, die es (jungen) Menschen ermöglicht, sich kritisch mit dem auseinander zu setzen, was sie sehen, hören und 2016 eben spielen. Bei den Killer-Spielen von Moses, Jesaja und dem Rest des Bibel-Teams "Heiliger Krieg" hat's ja auch geklappt.

Dass de Maizère und Co. keine Lehre aus der Kulturgeschichte "jugendgefährdender" Medien ziehen, ist peinlich. Sie erinnern an die alten Männer, die Allen Ginsberg und seinem Verleger 1957 den Prozess machen wollten. Sein Gedicht "Howl" wurde trotz seines sexuell expliziten Inhalts vom Vorwurf freigesprochen, "obszön" zu sein. Heute zählt Ginsberg neben William S. Burroughs und Jack Kerouac zu den berühmtesten Vertretern der Beat-Poeten.


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14 Kommentare verfügbar

  • Jörg Krauss
    am 13.08.2016
    Antworten
    Aus meiner Sicht, wenn ich die WG meines Sohnes (3 Jungs, alle Mitte 20) ab und an besuche, sehe ich vor allem eines. Diese Spiele verbieten ist völliger Schwachsinn. Das sind hervorragende Tranquilizer gegen die gesellschaftspolitische Bildung junger Leute. Ich sehe die Verbotsdebatteure in einem…
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