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"Grimbo" – der Vorhof zur Hölle

"Grimbo" – der Vorhof zur Hölle
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Die nächste Deadline für die Regierung Tsipras kommt. Am 12. Mai soll Griechenland 700 Millionen Euro an den Internationalen Währungsfonds (IWF) überweisen. Viel Geld für das klamme Athen, aber entscheidender ist das politische Kalkül: Tsipras & Co. platt machen, meint unser Autor.

Im Verlauf der nächsten beiden Monate muss das ohnehin klamme Athen insgesamt 2,5 Milliarden Euro an den IWF überweisen. Als Erstes ist am 12. Mai eine Tranche von 700 Millionen Euro fällig, basierend auf den immer noch ausstehenden 7,2 Milliarden Euro an Resthilfe aus dem verlängerten zweiten Rettungspaket. Bleibt das Geld aus, wäre die offizielle Zahlungsunfähigkeit Griechenlands die erste große politische Niederlage von Ministerpräsident Alexis Tsipras.

Aber auch das internationale Ansehen der europäischen Krisenmanagerin Angela Merkel (CDU) würde schwer lädiert: Es schadet schon heute massiv der Reputation von Bundeskanzlerin Merkel und dem Ansehen der Bundesrepublik, wenn die wirtschaftlich stärkste EU-Führungsmacht Griechenland als die historische und kulturelle Wiege der Demokratie mit selbstgerechter Belehrung wissentlich und willentlich immer tiefer in eine unabsehbare Krise abdriften lässt.

Keine Abstriche am neoliberalen Konzept

Natürlich wären im Gros der deutschen Medien die angeblich inkompetenten, chaotischen und dazu auch noch provokativen griechischen Unterhändler vom Typus eines Yanis Varoufakis für dieses Debakel verantwortlich. Die Bundeskanzlerin würde in ihrem bedauernden Statement mit treuherzigem Augenaufschlag auf die fachliche Zuständigkeit der Eurogruppe verweisen, wo Wolfgang Schäuble lediglich dem Votum seiner über Varoufakis empörten Kollegenschaft gefolgt sei. Aber jeder nicht völlig ahnungslose Betrachter des griechischen Dramas auf dem europäischen Parkett wüsste sofort Bescheid: In Wahrheit will die medial als mächtigste Frau der Welt gefeierte Angela Merkel, die als Bundeskanzlerin auf jedem EU-Gipfel ihre Dominanz betont, keinerlei Abstriche von ihrem neoliberalen Patentrezept als Sanierungsstrategie für die Eurozone machen.

Die Eurogruppe ließ Griechenland bisher keinen ernsthaften Spielraum für ein eigenständiges Reformkonzept – ohne die in Athen berüchtigte Troika aus IWF, Europäischer Zentralbank und Europäischer Union. Berlin sowie seine Verbündeten und Abhängigen in der Eurogruppe wollen einer linken Syriza auch nicht den Hauch einer Chance geben, mit einem alternativen, wachstumsorientierten Konsolidierungskonzept eine Trendwende zu erreichen und in Europa damit Zuspruch zu ernten.

Eurogruppe will Glaubwürdigkeit von Tsipras brechen

Berlin und seine gleichgesinnten oder folgsamen Verbündeten in der Eurogruppe stellten die griechische Regierung von Anfang an vor die unzumutbare Alternative: Entweder Ihr akzeptiert eine Maßnahmenliste, die gegen die Grundsätze und Wahlziele der Syriza diametral verstößt – wie etwa die Aufrechterhaltung rechtswidriger Massenentlassungen oder die Fortsetzung des Verkaufs des Staatsvermögens und der Infrastruktur zu Schleuderpreisen –, oder wir drehen euch den Geldhahn beim zweiten verlängerten Rettungsprogramm zu.

Auch die neue griechische Regierung sollte, wie die Repräsentanten der Berliner Großen Koalition reihenweise vor den Kameras verlangten, "endlich ihre Hausaufgaben machen". Nach dem Muster einer schon bisher gescheiterten Strategie, die den griechischen Wirtschaftskreislauf völlig ruiniert und die Staatsverschuldung – gemessen am Bruttosozialprodukt – seit Ausbruch der Krise von 130 auf über 170 Prozent gesteigert hatte. Die Ursache der mangelnden Kompromissfähigkeit lag also im Kern in dieser inhaltlichen Zumutung gegenüber einer demokratisch neu gewählten griechischen Regierung und nicht etwa in den unbestreitbaren Anlaufschwierigkeiten und Stilbrüchen eines neuen unerfahrenen Kabinetts.

Natürlich wäre es für die etablierten Parteien in Europa einfach zu schön, allen potenziellen linken Protestwählern gegen diese unsinnige "Brüning'sche Sparspirale" vorzuführen, wie skrupellos die Syriza ihre Anhängerschaft nach dem Wahltag betrügt.

Es geht hier deshalb auch gar nicht mehr um den vereinbarten Schuldendienst für die 280 Milliarden Euro, mit denen Athen bei ausländischen öffentlichen Gläubigern in der Kreide steht und die im Falle einer Nichteinigung in der Eurogruppe abgeschrieben werden müssten. Die deutschen Steuerzahler wären mit über 50 Milliarden Euro Verlust dabei. Nein, es geht um viel mehr als dieses Geld, das bei einem wachstumsorientierten Kompromiss über einen zeitlichen Schuldendienst zumindest teilweise gerettet werden könnte. Das spielt bei dem aktuellen Machtkampf um das richtige Wirtschaftskonzept gar keine Rolle mehr.

Und genau deshalb soll Tsipras mit seiner Reformliste entweder vor dem bisherigen neoliberalen Konzept zu Kreuze kriechen oder den Staatsbankrott ausrufen. Wenn er aber seine Glaubwürdigkeit wahren will, kann er für sein Land keine Zwischenfinanzierung erbetteln, in dem er den Kopf unter das neoliberale Joch der Troika beugt. Mit dieser angebotenen Wahl zwischen Pest und Cholera soll das bisherige politische Charisma von Tsipras international verblassen.

Ein neuer Begriff: "Grimbo", der Vorhof zur Hölle

Angesichts dieser vertrackten Lage wird – bei einer in den nächsten Tagen fortgesetzten Verhandlungsblockade ohne Einigung – Griechenland auf Sicht wohl den Weg des "Grimbo" gehen müssen. Der "Grimbo" ist die neueste Kreation des ökonomischen Wortschöpfers Willem Buiter, im Hauptberuf auch Chefvolkswirt der Citygroup, die er aus "Greece" und "Limbo", dem katholischen Vorhof zur Hölle, zusammengesetzt hat. Es handelt sich dabei um ein künftig noch quälenderes ökonomisches und finanzielles Stadium der schier endlosen Hängepartie. Damit ist aber keineswegs ein Austritt aus der Eurozone verbunden, weil dieser vertragstechnisch nach dem Europarecht gar nicht möglich ist, was die vielen "Grexit"-Fans nicht wissen. Rechtlich möglich ist nur ein komplettes Ausscheiden Griechenlands aus der EU, das aber nicht nur in Europa, sondern vor allem in Washington große geostrategische Sorgen auslösen würde.

Denkbar wäre im Rahmen dieser verschärften Hängepartie des "Grimbo", dass die Regierung Tsipras Löhne und Gehälter der Staatsbediensteten und inländische Rechnungen mit einem griechischen Euro – einer Parallelwährung in Form staatlicher Schuldscheine – bezahlt. Vielleicht könnte man sogar die ausländischen Gläubiger noch einige Wochen mit den restlichen echten Euros bedienen. Aber auch dann wäre noch vor Jahresende Schluss mit dem Schuldendienst an ausländische Gläubiger.

Die globale Außenwirkung eines chaotischen "Grimbo" mit geostrategisch unabsehbaren Folgen für Südeuropa und einer eventuell intensiven Anlehnung Griechenlands an neue Freunde wäre für die EU zutiefst schädlich und zudem blamabel. Keiner der arroganten und ideologisch motivierten Scharfmacher gegen die aktuelle griechische Regierung macht sich klar, dass bei einem solchen Szenario nur Verlierer auf der europäischen Bühne zurückbleiben werden. Und dies wäre für Europa eine weit über die Griechenland-Krise hinausreichende Katastrophe: Wer traut nach dem Versagen in einem solchen Konflikt einer derartig chaotisch und unsouverän agierenden EU-Führung noch eine respektable Rolle in einer sich neu formierenden Weltordnung zu?

 

Dieter Spöri war SPD-Wirtschaftsminister in Baden-Württemberg. Er ist Ehrenpräsident der Europäischen Bewegung Deutschland, arbeitet heute als Publizist in Berlin und ist einer der Herausgeber des <link http: www.blog-der-republik.de _blank>"Blogs der Republik".


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6 Kommentare verfügbar

  • Monika Welke
    am 10.05.2015
    Antworten
    Herr Spöri,
    Sie sprechen mir aus dem Herzen. Was tun? Diskussion, wo es nur geht, beim Einkaufen im Bus mit den Nachbarn. Es ist unsäglich wie die "Leitmedien" das Thema Griechenland behandeln. Dabei ist das Ausscheren aus dem neoliberalen Mantra so wichtig für Europa!
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