KONTEXT:Wochenzeitung
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Panzer statt Pofalla

Panzer statt Pofalla
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Die Petition, die die Deutsche Bahn im Fall von Ex-Kanzleramtsminister Ronald Pofalla an den eigenen Ethikkodex erinnert, endet bald. Inzwischen gibt es Nachahmer: Die "Bild"-Zeitung hat ebenfalls eine Petition gestartet, wenn auch mit völlig anderer Zielsetzung. Leider, meint Kontext-Petent Jürgen Lessat, zur Boulevardkampagne gegen ein russisches Kriegsdenkmal.

Wer jetzt noch mitzeichnen will, muss sich sputen: Noch bis zum kommenden Samstag (26. April) kann jeder die Petition <link https: www.openpetition.de petition online prellbock-fuer-pofalla-co-deutsche-bahn-ag-nicht-laenger-verschiebebahnhof-fuer-politiker _blank>"Prellbock für Pofalla & Co. – Deutsche Bahn nicht länger Verschiebebahnhof für Politiker" auf dem Online-Portal www.openpetition.de unterstützen. Im Laufe der rund 15-wöchigen Zeichnungsfrist haben dies knapp 2500 Menschen getan. Initiiert wurde die Petition von Kontext-Redakteur Jürgen Lessat, unterstützt und beworben wurde sie auch in der Kontext:Wochenzeitung. Dies dürfte in der deutschen Mediengeschichte eine Premiere gewesen sein.

Mittlerweile hat die Aktion Nachahmer in zwei Zeitungsredaktionen gefunden. Vor Ostern startete die "Bild"-Zeitung zusammen mit der Berliner "B. Z." ebenfalls eine Petition. Allerdings mit völlig anders gerichteter Intention. "Weg mit den Russen-Panzern am Tor" schlagzeilten "Bild" und "B. Z." und forderten in einer gemeinsamen Kampagne ihre Leser auf, einen Brief an den Petitionsausschuss des Deutschen Bundestags zu schicken. Dessen Inhalt: "Der Bundestag möge beschließen: Die russischen Panzer am Ehrenmal im Berliner Tiergarten sollen entfernt werden." Das Andenken der im Ehrenmal beigesetzten Soldaten der Roten Armee könne auch ohne die Panzer würdig gewahrt werden, heißt es weiter in dem Entwurf. "In einer Zeit, in der russische Panzer das freie, demokratische Europa bedrohen, wollen wir keine Russen-Panzer am Brandenburger Tor", so die Begründung der beiden Blätter aus dem Axel-Springer-Verlag.

Das kam nach eigenen Angaben gut an. "Viele Bundesbürger unterschrieben gestern die Petition, machten damit deutlich: Wir wollen keine russischen Panzer, keine martialischen Kriegs-Symbole mehr am Ehrenmal mitten in Berlin. Beim Petitionsausschuss des Bundestags gingen in wenigen Stunden Hunderte Unterstützer-Faxe ein", vermeldete "Bild" am Folgetag. Als prominente Unterstützer der Petition präsentierte das Blatt unter anderen den Modedesigner Wolfgang Joop und Berlins Justizsenator Thomas Heilmann (CDU). "Bild" zitierte auch weniger prominente Mitpetenten wie etwa Yvonne (37) und Franco Lechner (35) aus Weilheim an der Teck (Baden-Württemberg): "Wir haben sofort unterschrieben, weil Gedenken mit Panzern das völlig falsche Signal ist."

Offizielle Stellen reagierten zurückhaltender. "Die Bundesregierung respektiert diese besondere Form des Gedenkens an die aufseiten der Roten Armee Gefallenen des Zweiten Weltkrieges", distanzierte sich ein Regierungssprecher vom Aufruf von "Bild" und "B. Z." Ähnlich zurückhaltend äußerte sich die Berliner Senatsverwaltung: "Die Petition verkennt den historischen Hintergrund", hieß es auf eine Anfrage der Deutschen Welle.

Medien: Kampagne schürt antirussische Ressentiments

Ein negatives Echo erntete die Aktion auch in den Medien. "Der Appell hat einen kleinen Schönheitsfehler. Der Brief fordert den Bundestag nämlich zu einem Verstoß gegen den Zwei-plus-Vier-Vertrag auf", belehrte der Berliner "Tagesspiegel" die Kollegen, wonach die auf deutschem Boden errichteten Denkmäler, die den Opfern des Krieges und der Gewaltherrschaft gewidmet sind, unter dem Schutz deutscher Gesetze stehen. Kritik sendete auch die "Deutsche Welle": "Die Initiative der größten deutschen Boulevard-Zeitung leistet nicht nur keinen Beitrag für eine Stabilisierung der Lage in der Ukraine und eine politische Lösung der Krise. Vielmehr gießt sie Öl ins Feuer: In Deutschland bedient sie alte antirussische Ressentiments und in Russland wird sie als willkommenes Geschenk die antiwestliche Kreml-Propaganda beflügeln", kommentierte der Sender. Und die taz rügte: "Es war der 'Bild'-Zeitung vorbehalten, die antirussischen Ressentiments der Deutschen in eine griffige Forderung zu bündeln." Und: "Diese Schlagzeile markiert eine Rückbesinnung auf den Kalten Krieg, wie es sie seit fast 25 Jahren nicht mehr gegeben hat."

Zurück zur von Kontext unterstützten Petition "Prellbock für Pofalla & Co.". Auch an ihr gab es im Laufe der Zeichnungsfrist Kritik, wenn auch nur vereinzelt. Zuletzt in der vorigen Kontext-Ausgabe, genauer gesagt in der Kommentarspalte eines Berichts zur Unterstützungskampagne Stuttgarter Medien für den abstiegsbedrohten Bundesligisten VfB Stuttgart. Bei der Trennung von Journalismus und PR müsse sich die Kontext-Redaktion an die eigene Nase fassen, kommentierte Leser Dominik: "Kontext hat zwei Petitionen verfasst und versucht Anhänger zu mobilisieren. Dabei wurde ebenfalls die journalistische Unabhängigkeit aufgegeben", kritisiert er.

Harter Vorwurf entbehrt jeglicher Grundlage

Kontext arbeitet also journalistisch abhängig, vermischt Journalismus mit Public Relations? Das sind harte Vorwürfe, die nicht ohne Entgegnung bleiben können. Dem Widerspruch vorauszuschicken ist am besten eine Definition. Nach allgemeinem Verständnis arbeiten Journalisten und Redaktionen nicht mehr unabhängig, sobald sie unter dem Einfluss wirtschaftlicher Unternehmen oder politischer Institutionen stehen. Die Einflussnahme kann etwa durch materielle Zuwendungen geschehen, für die bestimmte Gegenleistungen auf redaktioneller Art erwartet werden. Der Vorwurf von Leser Dominik impliziert dies, freilich ohne Näheres zu nennen.

Wer könnte Interesse haben, auf Redaktion und redaktionelle Inhalte von Kontext einzuwirken? Die CDU vielleicht, für die Ronald Pofalla derzeit noch im Bundestag sitzt? Wohl kaum! Oder der Staatskonzern Deutsche Bahn AG und dessen Manager in Vorstand und Aufsichtsrat? Auch wohl kaum, da sich die Petition gerade gegen deren Ignoranz gegenüber den unternehmenseigenen Ethik-Richtlinien richtet! Wer denn dann?

Zugegeben: In der heutigen hochtechnisierten, vernetzten und globalisierten Welt gibt es Einflussnahmen nicht nur durch materielle Zuwendungen oder gar dreiste Bestechung. Werbung und Lobbyismus erreichen ihr Ziel meist auf sehr subtile Art und Weise. Das fängt schon ganz früh an: Menschen werden von Geburt an sozialisiert und geprägt. Dem können sich auch Journalisten kaum entziehen, da auch sie wie alle anderen im hiesigen Sozial- und Gesellschaftssystem aufwachsen und leben. Auch besitzt diese Berufsgruppe gängige Werte ideeller wie materieller Art. Beispielsweise ein Aktiendepot, das im Zuge der jüngsten Finanz- und Wirtschaftskrise massiv an Wert verlor. Dessen ungeachtet müssen die Berichterstatter dennoch objektiv über Bankenskandale und Geldgier berichten. Oder das neueste Smartphone, über das ein redaktioneller Testbericht ansteht. Auch fahren Journalisten mit der Eisenbahn und ärgern sich wie alle anderen Kunden auch über Zugausfälle und Verspätungen. Gefragt ist dennoch ein neutraler Bericht, wenn der Bahnvorstand die Jahresbilanz vorlegt.

Grundgesetz schützt Meinungsfreiheit auch von Journalisten

Die Beispiele zeigen, dass unabhängiger Journalismus ein Idealzustand ist, der allen möglichen Einflüssen, auch den subjektiven Sympathien und Antipathien des Journalisten selbst, widerstehen muss. Das zu schaffen ist die hohe Kunst des Berufs.

Dennoch sollen Journalisten nicht nur objektiv informieren. Sie dürfen auch eine Meinung zum Faktischen und Thematischen haben, schließlich gilt die Meinungsfreiheit auch für sie: Meinungsbeiträge in den Medien sind durch Artikel 5 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland ausdrücklich geschützt. Nicht von ungefähr gibt es die journalistischen Stilformen des Kommentars oder Leitartikels, der Kolumne und der Glosse. Darin verarbeitet ein Autor unter namentlicher Kennzeichnung seinen Meinungsbeitrag. Das unterscheidet den Journalismus von Public Relations, die in erster Linie der (werblichen) Kommunikation eines Unternehmens oder einer Institution dient. Meinung hat deshalb aus gutem Grund ihren Platz in den Medien. Alles andere wäre Diktatur, in der Meinungen unterdrückt sind.

Die geplante Berufung von Ex-Kanzleramtsminister Ronald Pofalla (CDU) in den Bahnvorstand sorgte Anfang des Jahres für Aufregung in den Medien. Nach vielen, meist negativen Schlagzeilen wurde es aber sehr schnell wieder ruhig um die Karriereplanung des einstigen Strippenziehers von Bundeskanzlerin Angela Merkel. Der fliegende Wechsel vom Kabinett in die Wirtschaft verschwand aus dem öffentlichen Bewusstsein. Zu Unrecht, meinte Kontext-Redakteur Jürgen Lessat – und startete die Online-Petition "Prellbock für Pofalla & Co.". Sie war der Versuch, den (öffentlichen) Druck auf die Deutsche Bahn aufrechtzuerhalten, weil derart enge Verflechtungen und Verfilzungen zwischen Politik und Staatsunternehmen "nach Meinung" des Petenten das demokratische Staatswesen beschädigen. Dieser Meinung schloss sich die Kontext-Redaktion an und bat um Unterstützung der Petition.

Auch die zweite Petition, die der Kontext-Redakteur zur gleichen Zeit beim Petitionsausschuss des Deutschen Bundestags einreichte, fußt auf einer persönlichen Meinung des Petenten. Nämlich, dass ein ausländischer Geheimdienst nicht ungestraft gleich mehrere Grundrechte deutscher Bürger massenhaft verletzen darf. Die Petition soll den deutschen Generalbundesanwalt in der NSA-Abhöraffäre zur Aufnahme von Strafermittlungen gegen unbekannt zu zwingen. Auch diese Einschätzung teilt die Kontext-Redaktion und beschloss, diese Petition ebenfalls zu unterstützen. In beiden Fällen unter der Maßgabe, die Leser über den Fort- und Ausgang der Petitionen "neutral" zu unterrichten. Insofern sind die beiden Petitionen auch ein journalistisches Rechercheprojekt.

Meinungsbeiträge auch in Talkshows und auf Demos

Durchaus unterschiedliche Meinungen kann es zu der Frage geben, wie Journalisten außerhalb von Redaktionen ihre persönliche Haltung vertreten dürfen. Kann ein Journalist einen politischen Appell mittragen, der zur Freilassung politischer Gefangener in einem diktatorisch regierten Land aufruft? Darf ein Journalist bei Günther Jauch gegen die Rente mit 63 argumentieren? Oder auf einer Protestkundgebung gegen Stuttgart 21 als Redner das Bahnhofsprojekt als undemokratisches Prestigevorhaben geißeln? Hier muss jeder Journalist den Weg auf dem schmalen Grat finden, der zwischen persönlichem Engagement und journalistisch nötiger Distanz hindurchführt.

Kontext wahrt die notwendige Distanz zur aktuellen Petition von "Bild" und "B. Z.": Die Redaktion wird die Kampagne nicht unterstützen, eben weil sie alte Ressentiments aus dem Kalten Krieg schürt. Ohnehin dürfte die Aktion der Springer-Blätter ins Leere laufen: Der Deutsche Bundestag hat keine Entscheidungsbefugnis über die Ausgestaltung sowjetischer Kriegsdenkmale – deshalb wird der Petitionsausschuss die Petition wohl erst gar nicht annehmen.


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9 Kommentare verfügbar

  • Tillupp
    am 28.04.2014
    Antworten
    Unabhängiger Journalismus beruht vor allem auf Unabhängigkeit. Unbenommen davon, dass natürlich ein Journalist ein Recht auf und die Möglichkeit zu öffentlicher Meinungsäußerung hat, halte ich die Maxime Hans Joachim Friedrichs weiterhin für gültig, die da lautete: "Als Journalist soll man sich mit…
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