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"Noch immer werden Dinosaurier gebaut"

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Mit seinem "Labor für visionäre Architektur" entwirft der Stuttgarter Architekt Tobias Wallisser die Städte der Zukunft: Ein alternatives Konzept für den Stuttgarter Hauptbahnhof (S 21) ebenso wie das futuristische Zentrum einer Co2-neutralen Retortenstadt in der Wüste Abu Dhabis.

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Herr Wallisser, in der Co2-neutralen Stadt Masdar City in Abu Dhabi haben Sie den zentralen Platz entworfen. Bisher wohnt dort niemand. Was ist aus Ihrem Entwurf geworden? 

Masdar ist eine Technikutopie, entwickelt 2007 vom Star-Architekten Norman Foster, zu einer Zeit, als in den Golfmonarchien alles möglich schien. Da war es schon spannend, dass neben einer Formel-1-Strecke und all den Luxustempeln überhaupt die Idee entstand, in der Wüste, ohne fossile Brennstoffe eine Stadt zu entwickeln. Nun muss man allerdings sagen, dass davon bislang wenig realisiert wurde. Leider existiert der von uns entworfene Platz bislang nur auf dem Papier.

Also alles vertane Mühe?

Ob und wie es in Masdar weiter geht, weiß ich im Moment nicht. Sie müssen sich Masdar aber wie eine große Forschungsuniversität mit integriertem Wohnbereich vorstellen. Die ganze Stadt ist im Grunde ihr eigenes Forschungsobjekt, in dem neue Technologien entwickelt und getestet werden, etwa Photovoltaik im großem Maßstab. Hersteller aus der ganzen Welt haben ihre Anlagen über ein Jahr im Wüstenklima mit all dem Sand getestet. Dabei sind praktische Erfahrungen herausgekommen, die man sich anderswo wieder zu Nutze machen kann.

Könnte man so eine Stadt also überall bauen?

Masdar ist ein extrem techniklastiges Projekt. Das ließe sich etwa auf Indien nicht übertragen, weil es dort gar nicht die notwendigen finanziellen Mittel gibt. Aber es ist ein guter Anfang, es hat Vorbildcharakter. Das ist in Deutschland beispielsweise ein großes Problem: Wir sind zwar führend in puncto Umwelttechnologie, aber wir haben kein einziges Vorzeigeprojekt. Masdar war genau mit dieser Idee entstanden: Schaut her, so wie es hier funktioniert, so könnte es bei euch auch funktionieren!

Ihrer Agentur ist besonders daran gelegen, die vorhandenen Ressourcen so effizient wie möglich zu nutzen. Was müssen Sie bei der Standortwahl beachten?

Vor allem die ortspezifischen Klimagegebenheiten. Aktuell sind wir etwa im Süden Chinas aktiv. Dort gibt es doppelt so viele Niederschläge pro Jahr wie in Deutschland. Wassersparen ist also kein Thema. Das Wasser können wir sammeln, damit können wir Kläranlagen betreiben und so weiter. Wir schauen an jedem Standort, wie sich die vorhandenen Ressourcen ausnutzen lassen, um etwas zu schaffen, das möglichst vielen Menschen dient.

In Saudi-Arabien haben Sie eine Vision für eine ganze Stadt entworfen. Was ist das Besondere?

Diese Stadtvision wird so nie gebaut werden, es handelt sich um eine reine Machbarkeitsstudie. Das ist ein Gebiet nahe der Hauptstadt Riad, ähnlich wie Stuttgart in Tälern zwischen Hügeln gelegen - nur eben mit absolut trockenem Wüstenklima. Die Frage war: Wenn wir dort eine Stadt ansiedeln würden, könnte die sich selbst versorgen?

Könnte sie?

Dort gibt es kein Baumaterial. Wasser ist auch ein großes Problem. Dafür gibt es Sonne im Überfluss. Wir müssten also zunächst mal ein großes Solarkraftwerk bauen, damit die Stadt überhaupt ein Handelsgut produziert: Energie gegen Wasser, gegen Baustoffe, gegen Nahrung.

Klingt nicht gerade nach einer nachhaltigen Standortwahl.

Der Standort war vorgegeben. Die Aufgabe lautete: Wie autark kann man an so einem Standort werden? Und nun können wir sagen: Autark geht es nicht - muss es aber vielleicht auch nicht. Eine absolut Co2-neutrale Stadt ist zwar ein tolles Ziel, aber einfache, robuste Lösungen haben nicht den Anspruch, Emissionen zu 100 Prozent zu eliminieren, sondern das, was mit dem vertretbaren, angemessenen Aufwand machbar ist, umzusetzen. Bei Riad lag die Herausforderung für uns in der Topographie. 

Was ist denn das Besondere an Ihrem Entwurf? 

Die meisten anderen Teams haben eine konventionelle Stadtentwicklung vorgeschlagen, die Topographie ignoriert und so gut es geht dagegen gearbeitet. Unser Ansatz – zusammen mit unserem Partner Transsolar – war, die Stadt in die Täler zu legen und erstmal ein Dach drüber zu setzen. Das Dach erfüllt zwei Funktionen: Wir können damit Energie erzeugen und die Stadt verschatten. So lässt sich das Mikroklima verändern, wodurch wir theoretisch - wir sprechen hier von Rechenmodellen - das Klima von Riad an jenes in Beirut oder Madrid angleichen könnten. Das wiederum würde natürlich den Energieverbrauch für alles in der Stadt deutlich verringern.

Sie entwickeln Projekte in Ländern wie Saudi-Arabien, Äthiopien, Abu Dhabi, China, Kasachstan oder Iran. Sie bauen im Grunde für autokratische Regimes grüne Aushängeschilder.

Natürlich haben wir uns Gedanken über die politische Dimension gemacht. Es gibt etwa deutsche Architekten, die Gerichtsgebäude in Saudi Arabien bauen. Das würden wir nicht machen. Wir realisieren Bauten für die Forschung. Im Prinzip denke ich, unsere Arbeit ist dann in Ordnung, wenn die Projekte eine politische Öffnung vorantreiben und das Leben der Menschen verbessern. 

Sind Sie noch nie bei einer Ausschreibung in einen moralischen Konflikt geraten?

In Abu Dhabi haben wir den Wettbewerb um den Entwurf für ein Hotel und ein Konferenzzentrum von Masdar City gewonnen. Wir wollten ein Statement abgeben, auch Abu Dhabi ist nicht gerade eine Demokratie. Wenn es keine öffentlichen Räume gibt, fehlt ein Ort des Meinungsaustausches. Plätze sind politische Orte, das ist uns spätestens mit den Protesten in Ägypten oder aktuell in der Ukraine bewusst geworden. Die von uns entworfene Plaza soll daher ein Ort sein, der das Gemeinwesen fördert und politische Meinungsäußerungen möglich macht. Das haben wir bei unserer Bewerbung natürlich noch nicht offensiv nach außen getragen.

Trotzdem haben wir sicherlich ernüchternde Erfahrungen gemacht: Ein Verantwortlicher in Abu Dhabi hat uns etwa eines Tages beiläufig erzählt, dass seine Regierung gerade Panzer bestellt hätte. Damit war für viele Visionen leider kein Geld mehr da. 

Das Credo der klassischen Moderne lautet "Weniger ist mehr". Ihre Agentur setzt dem "Mehr mit weniger" entgegen. Was hat es damit auf sich? 

"Weniger ist mehr", formal als Reduktion auf das äußerlich Wesentliche, ist gestalterisch durchaus positiv besetzt. Die klassische Moderne aber hat den Drang, alles einer Ordnung zu unterwerfen. Menschen müssen sich damit arrangieren. Das ist wirklich diktatorisch. Wer entscheidet denn, was weniger und damit mehr ist? 

Natürlich kann man sagen, dass jede Energie, die ich nicht verbrauche, nicht erzeugt werden muss. Das führt bloß dazu, den Leuten Verzicht zu predigen - und Verzicht geht immer mit dem Gefühl von Verlust einher. Wir sollten also umgekehrt darüber nachdenken, wo wir Energie einsparen können und für welche anderen Ideen uns diese eingesparte Energie dann zur Verfügung steht: Mehr mit weniger.

Wer inspiriert Sie bei Ihrer Arbeit? 

Der britische Architekt Cedric Price sagte: "Technology is the answer, but what was the question?" (Technik ist die Antwort, aber wie lautete die Frage?) Für mich ist das ein ganz wichtiges Motto. In Masdar City haben sich zum Beispiel viele technische Möglichkeiten geboten. Die Frage lautet aber immer: Wozu? Dieses Wozu zu definieren versäumen wir oft. Schauen Sie sich all die Baufelder bei Stuttgart 21 an, die bebaut werden sollen. Vielleicht sollten wir uns einmal die Frage stellen: Wozu wollen wir das überhaupt?

Sie haben eine Vision namens Stuttgart 22 entworfen, einen Alternative für den Stuttgarter Hauptbahnhof. Was macht Ihren Entwurf besser?

Für uns war die Gleisfläche nie ein Problem. Die Gleisfläche eines Kopfbahnhofs könnte sogar einen Vorteil darstellen, wenn wir das große Dach darüber zur Energieerzeugung nutzen. Unten drunter hätten wir die Möglichkeit, andere Verkehrssysteme anzubinden: Busse, Carsharing, U-Bahn und so weiter. Es wäre doch toll, wenn ein Bahnhof als Mobilitätsknotenpunkt Zugang zu möglichst vielen Verkehrssystemen bietet und Energie erzeugt. So würde er Technologie und einen bewussten Umgang mit der Natur zusammen bringen. Das muss doch der Anspruch sein. 

Was halten Sie von den jetzigen Planungen für Stuttgart 21?

Was uns maßlos geärgert hat, war die Vorstellung, dass Stuttgart 21 Fortschritt bedeutet und als Fortschrittsverweigerer gilt, wer dagegen ist. Es geht aber eben nicht darum, ob man für oder gegen Zukunft ist. Die Fragen müssen lauten: Um welche Zukunft geht es uns? Was ist uns in der Zukunft wichtig? Und: Ist ein futuristisches Bild automatisch ein zukunftsfähiges Konzept? S 21 zeigt, dass man auch heute noch einen Dinosaurier bauen kann. Das Konzept ist von vorgestern.

Marius Münstermann (24) pflegt ein ambivalentes Verhältnis zur Architektur - wie das eben so ist mit dem Job des Vaters. Beim nächsten Familientreffen wird sicherlich über visionäres Bauen gesprochen.


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3 Kommentare verfügbar

  • Menne
    am 19.03.2014
    Antworten
    Tolles Interwiev, tolle Denkansätze/Philosophie - Technik, Umwelt, Nachhaltigkeit und Gemeinwohl verschmelzen ineinander.

    "Bau eines Dinosauriers" bildhafter kann man den Rückschritt für die Gesellschaft mit dem Bau des Tunnelbahnhof S21 nicht darstellen. Neben dem Spruch "Marx ist tot Murx lebt"…
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