KONTEXT:Wochenzeitung
KONTEXT:Wochenzeitung

Spion am Tisch

Spion am Tisch
|

Datum:

Im Kontext-Interview verlangt Constanze Kurz vom Chaos Computer Club von der hiesigen Politik, NSA-Amerika die Stirn zu bieten.

Frau Kurz, wie oft haben Sie heute schon telefoniert?

Relativ viel. Aber nicht immer verschlüsselt. Wer meine Telefonate abgehört hat, bekam einiges, aber nicht alles mit. Teilweise gab es nur Datensalat zu hören.

Sie verschlüsseln Telefongespräche und E-Mails?

Ja, denn es ist ein angenehmes Gefühl, zu wissen, dass niemand mitlauschen oder mitlesen kann. Am Telefon ist jeder von uns doch relativ offen und erzählt vieles, was Dritte interessieren könnte. Selbst bei geschäftlichen Gesprächen kommt häufig auch Privates zur Sprache. Umgekehrt erzählt man sich während einer privaten Unterhaltung manchmal auch Dinge aus dem Berufsleben.

Verschlüsselt telefonieren, das klingt kompliziert. Kriegen das auch technische Laien hin?

Beim Telefonieren gibt es heute eine Vielzahl einfacher und sicherer Software-Lösungen. Eine andere Möglichkeit sind abhörsichere Telefone, sogenannte Krypto-Telefone. Da sichere Hardware aber eine Kostenfrage ist, sind Verschlüsselungsprogramme, die sich aus dem Internet herunterladen lassen, weitaus verbreiterter.

Nach Umfragen ist es den meisten Menschen jedoch egal, dass sie eventuell abgehört werden.

Diese These würde ich bestreiten. Meine Erfahrung ist eine ganz andere. Ich treffe viele Menschen, die sich über den amerikanischen Geheimdienst NSA empören. Zugleich gibt es auch viele, die das massive Abhören verängstigt. Manchem fehlt es vielleicht noch am Vorstellungsvermögen, was digitale Überwachung für den Einzelnen bedeutet. Stellen Sie sich vor, Sie sitzen in einem Café, und es setzt sich Ihnen ein fremder Typ direkt gegenüber, der pausenlos jede Regung von Ihnen beobachtet, sie regelrecht anstarrt und alles in einem Notizbuch notiert. Da würden Sie doch schnell reagieren, ihn auffordern, zu verschwinden. Das digitale Beobachten oder Anstarren ist eben doch um einiges abstrakter für unser bisheriges Vorstellungsvermögen. Anders sieht dies in den Unternehmen aus. Dort gibt es inzwischen ein großes Problembewusstsein, welche Gefahren durch Abhörspionage drohen. Das Anstarr-Beispiel stammt übrigens nicht von mir, sondern von einem Psychologen.

Wer nichts zu verbergen hat, braucht doch auch nichts zu befürchten, führen Abhörbeschwichtiger immer wieder an ...

Eben doch. In jüngster Vergangenheit häufen sich Berichte, wonach Reisenden vor allem die Einreise in die USA ohne Begründung verwehrt wird. Unsere Reisefreiheit hat schon heute viel mit dem Gutdünken der Geheimdienste zu tun. Vor Kurzem hat die "Washington Post" veröffentlicht, dass Mordaufträge durch Drohnenangriffe unmittelbar auf dem Datenbestand der Spionagedienste basieren. Das bringt zwar uns Europäer nicht um den Schlaf, für die Menschen im Jemen oder in Pakistan bedeutet dies aber etwas völlig anderes. Der Tod kann jederzeit schlicht von oben kommen. Und wenn die Geheimdienst-Computer sich verrechnet haben, dann trifft es eben die Falschen. Unmittelbare Folgen für Deutschland sehe ich durch die Antiterrordatei, in der rund 16 000 Personen gelistet sind. Die stehen zum Großteil durch Datenübernahme von Geheimdiensten drin und nicht durch Folgeabgleich deutscher Fahndungsbehörden. Das ist in einem demokratischen Rechtsstaat ein Ding der Unmöglichkeit.

Im Bundestagswahlkampf ging die NSA-Bespitzlung aber völlig unter ...

Es stimmt, dass Edward Snowden und seine Enthüllungen bei der Bundestagswahl nicht das wahlentscheidende Thema waren. Dennoch ist die Verärgerung über die Geheimdienste und ihre Praktiken, die dank Snowden und investigativer Medien immer detaillierter ans Licht der Öffentlichkeit kommen, sehr groß in der Bevölkerung. Die meisten Menschen haben sehr wohl ein Gefühl, dass unsere Kommunikation digital vermittelt ist und dass diese nicht grenzenlos von den Geheimdiensten belauscht und ausgewertet gehört.

Nach kurzer Aufregung um Merkels abgehörtes Handy ist es in Berlin merkwürdig ruhig geworden ...

Das wundert mich auch. Sowohl Regierung als auch Opposition sind selbst völlig hilflos, auf eine derartige Herausforderung adäquat zu reagieren. Sie haben bislang keine Lösung für die Affäre. Auch gibt es eine riesengroße Angst vor einem Alleingang gegenüber dem allmächtigen Verbündeten. Die politische Lähmung resultiert zudem aus der Annahme, alternativlos am Datentropf der Amerikaner zu hängen. Die immer wieder vorgebrachte Behauptung, unsere Sicherheit hänge von Abermillionen Datensätzen ab, ist jedoch ein Märchen. Dafür gibt es definitiv keine Belege. Es ist schon merkwürdig, wie wenig Reaktionen die bisherigen Enthüllungen bei derzeitigen und künftigen Regierungsverantwortlichen hierzulande ausgelöst haben. Das finde ich politisch, juristisch und ethisch höchst bedenklich.

Wie sollte die deutsche Politik denn reagieren?

Da kann ich mir jede Menge vorstellen, politischen Druck auf die Amerikaner auszuüben. Aktuell wird bekanntlich über ein Freihandelsabkommen zwischen den USA und Europa verhandelt. Dort ließe sich beispielsweise ein mächtiger Hebel ansetzen. Mir ist vollkommen unverständlich, warum dies nicht geschieht. Abhörspionage betrifft nicht nur Deutschland, sie muss deshalb auch auf europäischer und internationaler Ebene viel deutlicher und entschlossener angegangen werden. Wir leben nicht mehr im Industriezeitalter, wo hie und dort ein Schornstein qualmt. Sondern wir leben in einer digital vernetzten Informations- und Kommunikationswelt, in der digitale Spionage nicht nur einzelne Personen, sondern ganze Gesellschaften und Staatengemeinschaften betrifft. Die NSA-Abhöraffäre ist längst ein Thema für den Sicherheitsrat und die Vollversammlung der Vereinten Nationen.

Welche Rolle spielen eigentlich die deutschen Schlapphüte im gesamten NSA-Komplex?

Deutschland leistet sich eigene Geheimdienste, deren Spionageabwehr versagt hat. Nirgendwo steht geschrieben, dass nur gegen Russen und Chinesen gearbeitet werden darf. Daneben sollte nicht vergessen werden, dass die massenweise Datensammlung durch ausländische Geheimdienste in Deutschland eine Straftat ist. Zwar hat die Karlsruher Bundesanwaltschaft nach Bekanntwerden von Merkels abgehörtem Handy Vorermittlungen eingeleitet. Ob es aber zu einem Strafverfahren kommt, bezweifle ich stark. Dabei ist und war Spionage nicht nur hierzulande strafbar. Ich möchte nur daran erinnern, dass nach dem zweiten Weltkrieg viele Spione verurteilt wurden, auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs. Wahrscheinlich gibt es jedoch von NSA-Chef Keith Alexander keine ladungsfähige Adresse. Will sagen: Es ist rein politischer Wille, nicht gegen die Abhörspionage durch Amerikaner und Briten tätig zu werden.

Gut, was kann ich selbst als Erstes gegen Spione machen, die aus dem Westen kommen?

Wenn Sie einen E-Mail-Account bei einer der großen amerikanischen Firma haben, dann sollten Sie ihn nicht mehr nutzen. Denn Sie können sicher sein, dass bei der Anmeldung ein Zweitaccount beim amerikanischen Geheimdienst angelegt wurde.

Und was würden Sie mit Edward Snowden machen?

Ich würde ihn selbstverständlich in Deutschland aufnehmen. Er ist aus meiner Sicht ein politisch Verfolgter, für dessen Aufnahme hierzulande es ein asylrelevantes übergeordnetes Interesse gibt. Es ist bestimmt keine gute Idee, ihn bei den Russen zu lassen. Edward Snowden weiß sicher noch viele weitere interessante Dinge, die auch Deutschlands Interessen berühren dürften.

 

Constanze Kurz (39) ist Informatikerin, Sachbuchautorin und Sprecherin des Chaos Computer Clubs (CCC). Die Berlinerin arbeitet als Projektleiterin am Forschungszentrum für Kultur und Informatik der Berliner Hochschule für Technik und Wirtschaft. Von 2010 bis 2013 gehörte sie als Sachverständige der Enquêtekommission "Internet und digitale Gesellschaft" des Deutschen Bundestags an. Sie engagiert sich unter anderem im Beirat für Informationsfreiheit in Rheinland-Pfalz.


Gefällt Ihnen dieser Artikel?
Unterstützen Sie KONTEXT!
KONTEXT unterstützen!

Verbreiten Sie unseren Artikel
Artikel drucken


1 Kommentar verfügbar

  • Margot Imm
    am 15.11.2013
    Antworten
    Constanze Kurz hat natürlich recht, daß unsere Politiker längstens Kante zeigen müssten gegen die unverhältnismässigen NSA-Ausspähungen!

    Da dies aber so gar nicht das Ding ist unserer Bundeskanzlerin Merkel, wird nun die olle Tante SPD bzw. der Erzengel Gabriel mit ausreichend Sternenstaub auf…
Kommentare anzeigen  

Neuen Kommentar schreiben

KONTEXT per E-Mail

Durch diese Anmeldung erhalten Sie regelmäßig immer Mittwoch morgens unsere neueste Ausgabe unkompliziert per E-Mail.

Letzte Kommentare:






Die KONTEXT:Wochenzeitung lebt vor allem von den kleinen und großen Spenden ihrer Leserinnen und Leser.
Unterstützen Sie KONTEXT jetzt!