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Der Christdemokrat und der Anarchist

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Claus Peymann durfte bei der Trauerfeier für den Stuttgarter Alt-OB Manfred Rommel nicht sprechen. "Ich habe mich beworben und wurde abgelehnt", sagt der frühere Direktor des Stuttgarter Schauspiels (1974–1979). Und dabei ist der streitlustige Theatermann der Kronzeuge für die Liberalität Rommels. Der CDU-Politiker hat ihn ausgehalten, trotz einer Spende für Gudrun Ensslins Zähne. In Kontext darf Peymann reden.

Herr Peymann, Sie gelten als Kronzeuge für die Liberalität Manfred Rommels. In den Nachrufen zu seinem Tod fällt immer wieder das Stichwort Zahnersatz und der Name Claus Peymann. Was war Ihr erster Gedanke, als Sie vom Tod des langjährigen Stuttgarter OBs erfahren haben?

Ich dachte spontan: Was für ein Verlust! – Was haben wir zusammen erlebt. Der kalte und schreckliche "deutsche Herbst" 1977 wurde wieder lebendig. Mein Herz war voll Trauer. Spontan: Gern hätte ich ihm an seinem Sarg für seinen Mut gedankt, erzählt davon, was der politische Zeitgeist heute nicht mehr kennt.

Bei der Trauerfeier in der Stiftskirche am Donnerstag haben Sie jedoch nicht geredet. Wollte man Sie nicht?

Das müssen Sie in Stuttgart nachfragen. Ich hatte in der Tat ums Wort gebeten. Aber ich wurde abgelehnt – keine Ahnung von wem. Ich hätte es schön gefunden, wenn sich in den getragenen Politikerton etwas anderes eingemischt hätte, aber die wollten wohl unter sich bleiben. Keine Störung durch einen Künstler! Schade für Rommel. Wollte man keinen Kronzeugen für den liberalen Rommel? Wollte man nicht eine Zeit hochholen, die so wichtig war für die politische Haltung von Rommel, nämlich die 70er-Jahre, den "deutschen Herbst", in dem alle in diesem Land verrückt geworden waren? Manfred Rommel hat damals die Nerven behalten. Er demonstrierte, dass Humanität und Liberalität möglich sind, in einer hasserfüllten und in Panik geratenen politischen Oberschicht.

Der CDU-Mann als Liberaler, der einen kühlen Kopf bewahrte. Hat Sie das überrascht, als Sie 1974 nach Stuttgart kamen?

Ich wollte eigentlich nicht nach Stuttgart. Doch der Intendant Hans Peter Doll hat mich überredet, und so verhandelte ich noch mit dem parteilosen OB Arnulf Klett, ein großer Liberaler. Und kaum war der Vertrag unterschrieben, verstarb Klett. Bei meinem nächsten Besuch in Stuttgart war die Stadt plötzlich übersät mit Kinoplakaten: " Die Schlacht um El Alamein", "Rommel, der Wüstenfuchs", "Tobruk". Sein Sohn Manfred Rommel wurde OB-Kandidat der CDU. Der große Schatten des Papas wurde beschworen, damit die Stadt in die Hand der konservativen CDU fällt. Und tatsächlich wurde Rommel gewählt, und ich dachte: Mein Gott, was soll das werden?

Da hat Sie die Angst vor dem neuen OB Rommel gepackt?

Ja, natürlich. Ich habe kurz erwogen, nicht hinzugehen in eine Stadt, deren Oberbürgermeister der Sohn dieses berühmten Militaristen ist. Dann für mich das größte Wunder: Der Sohn entsprach so gar nicht meinem linken Klischee vom kleinen Sohn des großen Generals, dem Bild, das ich von seinem Vater hatte, dem berühmten Panzergeneral Hitlers. Der neue Oberbürgermeister zeigte sich dagegen als ein manchmal bedächtiger, zugleich aber blitzgescheiter Politiker, der neugierig war, auch auf den Dialog mit der Kunst. Er war ein Vermittler während dieser unruhigen Stuttgarter Jahre, als sich der Stammheimer Prozess wie ein großer Schatten über das Land, die Stadt und über mein Theater legte, diese Stammheimer Festung, die bewacht wurde wie der Goldschatz der amerikanischen Regierung.

Rommel, der heute als Glücksfall für Stuttgart bezeichnet wird, wurde auch zum Glücksfall für Sie und das Theater? 

Eine lähmende Angst und Aggression überzog das Land. Unsere Theaterarbeit griff Fragen auf, die unsere Generation damals beschäftigten. Diese RAF-Leute um Baader, Meinhof und Ensslin waren ja wie viele andere unglücklich über die politische Entwicklung der Bundesrepublik. Wir wollten keine Bundeswehr, keinen Krieg in Vietnam, keine Notstandsgesetze. Wir wollten nicht, dass dieses Deutschland, das in eine neue Zukunft aufbrechen sollte, wieder in die Hände der Ewiggestrigen fällt. Und WIR waren Millionen. Insoweit fühlte ich mich immer verbunden mit den Leuten, die in Stammheim vor Gericht standen. Nicht dass ich ihren Weg gebilligt hätte, ich habe sie nur verstanden. Es waren die falschen Mittel. Krieg und Gewalt sind immer falsch. Aber sie waren auch nicht wie Bonnie und Clyde, die sinnlos durch die Gegend geballert haben. Doch in dieser Zeit haben alle die Nerven verloren.

Rommel hat die Nerven behalten. Als die drei Stammheim-Gefangenen der RAF tot waren und man sie nicht gemeinsam beerdigen wollte, sagte er den legendären Satz: "Im Tod hört alle Feindschaft auf."

Ich erzähle ihnen jetzt eine vollständig bizarre Geschichte, die eigentlich überhaupt nicht reingehört in dieses Nachruf-Interview. Manfred Rommel war ein Schauspielfan, er kam oft ins Theater, er sah sich also auch meine Inszenierung von Goethes Faust I und II an, die zehn Stunden bis nach Mitternacht dauerte. In dieser Zeit ging kein Politiker ohne Bodyguards durch Stuttgart. Eines Nachts traf ich Rommel nach der Vorstellung um ein Uhr allein im Schlosspark vorm Theater. Ich sagte: "Mensch, Herr Bürgermeister, haben Sie denn keine Angst, dass Sie von den Terroristen gekidnappt werden?" Und er antwortete (natürlich im tiefsten Schwäbisch): "Wissen Sie, Herr Theaterdirektor, die Terroristen, das sind alles wohlerzogene Leute aus gutem Haus, und wenn die mich kidnappen, werde ich ganz ruhig bleiben und nichts sagen. Wenn wir dann im Fluchtauto sitzen, werde ich fragen: Ihr habt doch nichts dagegen, wenn ich mir ein Pfeife stopfe? Und weil das höfliche Leute sind, werden die sagen: Selbstverständlich, Herr Rommel, das dürfen Sie."Und dann hat der Oberbürgermeister Rommel im Park in seine Hosentasche gegriffen und einen großen Tabaksbeutel rausgezogen, so einen großen, viereckigen, wo Pfeife und Tabak drin sind. Und er riss den Beutel auf und nahm statt der Pfeife eine kleine Damenpistole raus: "Und dann schieß ich mir den Weg frei!" Wir haben beide sehr gelacht, in der Nacht, im Park. Im Stillen dachte ich: Siehst du, in dir schlummert doch noch der Sohn des Panzergenerals.

Es ging ja nicht immer so amüsant zu in den 70er-Jahren. Vor allem nicht, als Sie für die Zahnarztbehandlung von Gudrun Ensslin Anfang 1977 Geld spendeten und den Brief der Ensslin-Mutter ans Schwarze Brett im Theater hefteten. Sie bekamen Drohbriefe, wurden als Kommunistenschwein beschimpft, Filbinger forderte Ihren Kopf. Rommel hat sich für Sie eingesetzt und gewonnen. Woher kam dieser Mut, sich auch gegen die christdemokratischen Parteifreunde zu behaupten?

Er war eben ein wirklicher Demokrat, mit dem Mut, sich auch gegen eine öffentliche Mehrheit zu stellen. Diese schwäbischen Dickköpfe und Anarchisten sagen ihre Meinung, was die Freiheit angeht, und gehen lieber auf den Hohenasperg. Der Preis dafür war hoch, auch für Rommel. Nach dem durch Hochhuth bewirkten Rücktritt von Filbinger wurde nicht Rommel der neue Ministerpräsident von Baden-Württemberg, obwohl er der beste Mann gewesen wäre – mit seinem Charisma und seinem schwäbischen Mut. Stattdessen wurde es ein "Herr Cleverle", Lothar Späth.

Nun kann man Rommel kaum als Anarchisten bezeichnen, während Sie von sich sagen: "In meinem Herzen bin ich Anarchist". Der Christdemokrat und der Anarchist – wie ging das zusammen?

Es ist kein Zufall, dass Friedrich Hölderlin, Christian Friedrich Daniel Schubart und Gudrun Ensslin aus dem Schwäbischen kommen. Mit Manfred Rommel hab ich mich total verstanden. Es gab viel politischen Streit und auch Skandale in Stuttgart. Zum Beispiel sollte ein Plakat von Klaus Staeck verboten werden, ein Programmheft zu "Frühlings Erwachen" durfte nicht erscheinen. Der eilfertige Generalintendant rannte immer wieder ins Rathaus und klagte: "Jetzt will der Peymann schon wieder das und das, was sollen wir machen?" Dann hat der Rommel mich angerufen und gesagt: "Jetzt war der Peter Doll schon wieder da, der hat die Hosen voll. Ich wollte Ihnen das nur sagen, aber machen Sie doch das, was Sie für richtig halten am Theater. So halte ich's auch in der Politik." Kunst ist immer gegen den Staat. Kunst ist nicht staatsfördernd.

Und Rommel repräsentierte diesen Staat.

Ja, und leider, muss ich sagen, wurde er nicht Ministerpräsident, leider ging er auch nicht als Bundesminister nach Bonn. Damals stand sogar die Tür zum Bundeskanzleramt offen. Die Politik braucht Menschen wie Theodor Heuss und Willy Brandt – und eben Manfred Rommel. Sie sind die Ahnherren der Liberalität. Sie wissen, der Staat muss sich behaupten, aber die Kritiker des Staates, die Künstler, müssen geschützt werden. Diese Köpfe hatten begriffen, wie die Dialektik zwischen Politik und Kunst zu funktionieren hat. Kurioserweise: ich habe mich oft mit konservativen Politikern besser verstanden als mit der sich freiheitlich gebenden SPD in Bochum, die vollständig korrupt war. 

Rommel wollte Sie in Stuttgart halten für eine zweite Intendanz. Warum hat er das nicht geschafft?

Für mich war die Zahnspende für die Stammheimer Terroristen nichts anderes als ein Akt christlicher Nächstenliebe. Das Geld dafür wurde im Frühjahr an die Mutter Ensslin überwiesen. Dann wurde Hanns Martin Schleyer entführt, und man fand ihn nicht. Es wurden Ersatzverbrecher an den Pranger gestellt. Einer davon war Heinrich Böll, ein anderer der Filmregisseur Volker Schlöndorff, und dann war da auch noch der Theaterkasper Peymann im Schauspiel Stuttgart. Wir waren die, auf die man einschlagen konnte, weil man die Täter nicht fand. Also mussten wir als "Ersatzterroristen" hochgeschrieben werden. Und da hat Rommel gesagt, stopp, das ist nicht in Ordnung. Andererseits hat mir Rommel oft gesagt, dass es nur mein Dickkopf gewesen sei, der mich nach Bochum vertrieben habe. Er hätte mich gern in Stuttgart behalten.

Er hat Sie spöttisch-spitz als "Virtuosen politischer Ungeschicklichkeit" bezeichnet.

Ja, da begegnete eben ein Bremer Dickschädel dem schwäbischen Dickkopf. Wir waren uns in einer schönen Weise gewogen. Wir waren nicht befreundet, aber wir haben uns gerne gesprochen, wenn er uns in Bochum besuchte oder wenn es Anlässe in Stuttgart gab wie etwa die Beerdigung von Doll. Es gab immer wieder Berührungspunkte. Die Theaterarbeit in Stuttgart, das war ein großer Aufbruch für uns alle. Die Schauspieler Kirsten Dene, Lore Brunner, Therese Affolter, Gert Voss, Branko Samarovski und Martin Schwab ... Dazu die Dichter Thomas Bernhard, Hermann Essig und Thaddäus Troll. Dazu die ganze schwäbische Mischpoke Edith Heerdegen, Hans Mahnke und Gerhard Just. So verschieden wir waren, so waren wir doch verbrüdert. Wenn ich an Rommel denke, erfüllt mich Wehmut, aber auch Sehnsucht nach Menschen seines Formats. Er war damals wirklich der "Oberbürgermeister Deutschlands". Er verkörperte als "Provinzpolitiker", was der heutigen Politikerclique fast vollständig fehlt: der unabhängige politische Geisteskopf. Er kannte aber auch genau die Grenzen der Politik. Es ist schade, dass dieser großartige Mann nicht den größeren Einfluss bekam, den er verdient hätte. In der Ahnengalerie der großen Politiker müssen wir den "kleinen" Bürgermeister von Stuttgart, der ein großer Mann war, einordnen. Manfred Rommel ist/war einer der prägendsten Politiker Nachkriegsdeutschlands, ich wollte, wir hätten mehr davon.

 

Nachtrag: Das Stuttgarter Rathaus legt Wert auf die Feststellung, dass es keine Entscheidung gegen Peymann gewesen sei, sein Angebot, bei der Trauerfeier zu sprechen, nicht anzunehmen. In Absprache mit der Familie Rommel habe man sich auf die Redner Kretschmann, Kuhn und Schuster geeinigt. Weitere Personen am Pult hätten den Rahmen in der Stiftskirche gesprengt, so Kuhns Sprecher Andreas Scharf.


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8 Kommentare verfügbar

  • A. Gramsci
    am 18.11.2013
    Antworten
    KKS - prinzipienfreie Funktionäre der postdemokratischen Machtcliquen. Gerade die drei personifizieren gemeinsam und jeder für sich das genaue Gegenteil von dem, wie Rommel hier beschrieben wird.
    Wird irgendeine politische Eigenschaft mit einem der drei assoziiert? Nein - "landesväterlich" ist…
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