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Die Einmischer

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Da haben sich zwei gefunden: Walter Sittler und Gerd Leipold. Der eine Schauspieler und engagierter Bürger, der andere langjähriger Greenpeace-Chef. Sie sind vom Istanbuler Taksimplatz nach Island gereist, um die kleinen Revolutionen zu studieren. Daraus ist das Buch "Zeit, sich einzumischen" entstanden. Kontext veröffentlicht einen Auszug, in dem Sittler schildert, wie er zum Einmischer wurde.

Nachdenklich habe ich, halb liegend auf der engen Koje, Gerd Leipolds Geschichten gelauscht. "Mein Vater", sage ich, "hatte auch eine Nazi-Vergangenheit. Er ist 1916 geboren, in den USA, wo er Professor für Anglistik und Germanistik wurde. Als die Nazis in Deutschland an die Macht kamen, war er von der Idee des 'neuen Menschen' fasziniert, von dem die Nazis sprachen. Es war die Zeit der Depression im Amerika der 1930er-Jahre, und er war damals um die 20 Jahre alt. Die Arbeitslosigkeit und das Elend haben ihn erschüttert. Und die moderne Kunst und die Jazzmusik fand er grässlich. Dass da in Deutschland ein 'neuer Mensch' entstehen sollte, hat seinen Idealismus entzündet. In den 1940er-Jahren kam er hierher, um das Regime zu unterstützen, indem er für Radiosender arbeitete, für den englischsprachigen Dienst des NS-Rundfunks. Er hat sich mit Oswald Spenglers 'Untergang des Abendlands' beschäftigt und mit Friedrich Nietzsche. Ich glaube, er war eine sehr gespaltene Persönlichkeit.

Als er nach dem Krieg wieder in die USA zurückging, hat er wegen seiner Nazi-Vergangenheit an den Universitäten keine Professur mehr erhalten. Ich bin in Chicago geboren, als jüngstes von acht Kindern. Politik hat in meiner Kindheit nie irgendeine Rolle gespielt. Bei uns ging es irgendwie immer um die Frage: Wo können wir leben? 1959 sind wir zurück nach Deutschland gezogen. Wir waren ständig unterwegs, dauernd auf Reisen. Ich habe mich mein Leben lang nie aktiv in politische Prozesse eingemischt. Aber ich bin wählen gegangen, das immer. Als Wähler habe ich das ganze demokratische Parteienspektrum durchgemacht. Ich bin ein klassischer Wechselwähler, ich schaue mir die Programme der Parteien an, schaue mir ihr Personal an – und dann entscheide ich von Wahl zu Wahl.

Aktive Einmischung begann für mich erst in Stuttgart, weil das der Ort ist, an dem ich bisher die längste Zeit meines Lebens verbracht habe, wo ich mich am meisten zu Hause fühle. Und als ich mitbekam, wie dieser Ort verändert werden sollte – aus Gründen, die mit den Interessen der Allgemeinheit sehr wenig zu tun haben –, habe ich begonnen, mich intensiv damit auseinanderzusetzen. Deshalb weiß ich heute so viel über das Bahnhofsprojekt S 21. Deshalb bin ich dann auch dagegen politisch aktiv geworden. Das war für mich ein großer Wandel! Ich war nicht wie du ein alter Hase des Aktivismus, sondern ein zunächst mal politischer Neuling.

Es ging 2009 damit los, dass Leute vom BUND mich fragten, ob ich mit ihnen ein Widerstandsbäumchen pflanzen wollte im Schlossgarten – um damit auszudrücken: Der Schlossgarten gehört uns allen, der steht nicht zur Disposition. Den zu zerstören, das würde der Stadt nicht guttun. Damals begannen die Stuttgarter Montagsdemos. Beim ersten Mal haben sich da gerade einmal vier Leute versammelt, die etwas verloren vor dem Bahnhof standen. Die Ausgangslage hatte etwas Groteskes: Sogar die Betreiber selbst hatten das Bahnhofsprojekt so oft infrage gestellt, immer wieder abgesagt und wieder neu auf die Agenda gesetzt, dass in Stuttgart niemand mehr daran geglaubt hatte. Jetzt plötzlich sollte es doch losgehen. Als mich dann Gangolf Stocker fragte, ob ich nicht auch mal bei einer Montagsdemo sprechen wollte, habe ich eingewilligt. Am Anfang hatten wir ein Megafon. Später eine ziemlich lächerliche Tonanlage. Dann kamen die Zeitungen und die Talkshows – einfach, weil ich durch meine Arbeit bekannt war. Das hat mitgeholfen, den Widerstand im ganzen Land bekannt zu machen.

Meine Überlegung war: Den Status zu nutzen, den ich durch meine Arbeit habe, die 'Prominenz' für diesen Widerstand einzusetzen, das lohnt sich. Bis dahin war ich der Ansicht, dass meine Popularität mit mir als Person zunächst einmal nichts zu tun hat. Das hängt mit meiner Arbeit zusammen, mit den Filmen und dem Fernsehen. Der Status gehört halt zu dem Beruf. Aber hier hatte ich den Eindruck: Das kann man sinnvoll einsetzen! Zum Wohle der Allgemeinheit. Aber auch zu meinem Wohle – es war nicht nur altruistisch, sondern es war durchaus auch egoistisch. Ich wollte, dass es uns in Stuttgart gut geht, auch weil es die Heimat unserer Kinder ist."

"Hast du einen Agenten?", fragt Gerd Leipold. "Ich hatte zu der Zeit eine Agentin, ja. Da gab es mittlerweile einen Wechsel, der hat mit der Politik aber nichts zu tun. Meine damalige Agentin sagte mir eines Tages, sie wolle mein Engagement auf gar keinen Fall unterbinden. Ich müsse mir nur klar darüber sein, was ich tue."

"Ich habe ja", sagt Gerd Leipold, "bei Greenpeace auch Erfahrungen mit 'Celebrity Endorsements' gemacht. Künstler sind oft bereit dazu, sich zu engagieren, aber die Agenten haben Bedenken. Sie schreiben ihnen vor, welche Anlässe rentabel sind und welche nicht. Kurz gesagt: Kinder, Hunger und Afrika sind gut – das pflegt das positive Image. Es gibt ja kaum eine bekannte Schauspielerin oder Popsängerin, die sich nicht irgendwann mit armen, schwarzen Kindern in Afrika ablichten lässt. Alles, was aber näher am Zuhause ist und was kontrovers diskutiert wird, lehnen die Agenten ab."

"Kann sein – bei mir war es nicht so. Zum Teil habe ich das auch aus der Überzeugung heraus gemacht, dass, wenn man privilegiert wurde durch den Beruf, wie ich es bin, dann muss ich schon auch etwas zurückgeben. Es ist einfach zu sagen: Das steht mir zu. Uns steht erst mal gar nichts zu. Im Gegenteil: Wer viel hat, kann auch viel geben."

"Täuscht der Eindruck, dass die Bereitschaft, sich zu positionieren, unter Künstlern hier in Deutschland eher abnimmt als zunimmt? Anders als in Island, Italien, der Türkei ...?"

"Die Arbeitsbedingungen sind hier auch härter geworden", räume ich ein. "Die Konkurrenz ist groß. Man wird sehr viel schneller ausgetauscht. Die ausgestreckten Arme, an denen Produzenten Künstler hängen lassen können, werden immer länger. Und ich verstehe es, wenn jemand dann sagt: Ich möchte meinen Job nicht gefährden. Es gibt aber andere wie den Stuttgarter Theaterregisseur Volker Lösch, der sich stark engagiert, vielleicht auch, weil er in Montevideo aufgewachsen ist und dort früh die politischen Unruhen mitbekommen hat. Dem entgeht dann auch mal eine Intendanz, weil die Stadt, die ihn wollte, lieber nichts riskieren möchte. Wenn Politiker von der Kunst Ruhe erwarten, ist das schon ein deutliches Zeichen, dass man nicht Ruhe geben darf. Mir geht es dabei nicht um Krawall! Mir geht es um sachliche und auch leidenschaftliche Auseinandersetzungen, es geht darum zu fragen: Wie soll die Gesellschaft aussehen? Wie wollen wir leben?"

Gerd Leipold: "Du selber bist mit deinem Engagement auch ein berufliches Risiko eingegangen."

"Am Anfang war mir das gar nicht bewusst. Aber auch wenn ich darüber nachgedacht hätte, wäre das für mich kein Grund gewesen, es nicht zu tun. Ich habe ja als Schauspieler durch das Fernsehen ein bestimmtes Bild in der Öffentlichkeit – manche meinen, da passt diese klare Haltung zu einer gesellschaftspolitischen Frage nicht dazu. Jetzt ist die aber da. Und jetzt merken sie, dass das geht. Das gehört jetzt zu mir – und ich bin ganz froh, dass das so ist."

Gerd: "Es gibt auch Stimmen, die sagen, warum soll einer mehr Gehör finden, nur weil er populär ist?"

"Das würde ja heißen: Halt die Klappe und mach deine Arbeit! Ich bin zunächst einmal auch ein Bürger, und als solcher habe ich das Recht der freien Rede und Meinungsäußerung wie alle anderen auch. Auch führende Köpfe der Industrie- und Handelskammer stehen in der Öffentlichkeit oder Leute, die Konzerne leiten. Die dürfen sich auch zu einem Großprojekt wie zu diesem Milliarden kostenden Bahnhof äußern, es wird sogar erwartet. Warum soll das für Künstler nicht gelten? Es gibt überhaupt keinen Grund, das nicht zu machen. Dass man die Popularität nicht ausnutzen darf, sagen immer die, auf deren Seite man nicht steht. Sobald man auf ihrer Seite ist, nutzen sie die Popularität von Künstlern und Sportlern mit Begeisterung. Sie wollen also nur nicht gestört werden – aber wir müssen stören! Jeder muss die Möglichkeit haben, die Verantwortlichen in der Gesellschaft zur Rechenschaft zu ziehen. Sie wurden gewählt, und wir als Wähler dürfen und müssen sie kontrollieren. Ich muss sagen können: Wir wollen etwas anderes als das, was ihr hier vorhabt. Und wenn wir eine Mehrheit haben – das gehört dazu –, müssen sie das umsetzen. Eine Mehrheit hat allerdings auch Verantwortung für die Minderheit. In einer Demokratie müssen auch die Interessen der Unterlegenen in Entscheidungen einfließen. Wer 51 Prozent hat, darf nicht gegen eine Minderheit von 49 Prozent anregieren.

EU-Kommissar Michel Barnier hat neulich im Radiogesagt: 'Ich hoffe, dass die Bürgerinnen und Bürger sehen, dass die Kommission ihnen Gehör schenkt.' Hält er sich für Ludwig XIV.? Als ich das hörte, dachte ich, wir sind jetzt wieder in der Monarchie angekommen – wo das Volk von einem aufgeklärten Monarchen 'Gehör geschenkt' bekommt. Na, danke! Die Aufgabe der Politiker ist es, uns Bürgern zuzuhören. Das kann man immer wieder nur freundlich, aber bestimmt, betonen! Wenn ich so etwas höre, scheint mir: Die Verantwortlichen sind noch lange nicht da angekommen, wo sie hingehören.

Und so bin ich da immer weiter in dieses bürgerliche Engagement hineingerutscht. Im Fall Stuttgart 21 dachte ich anfangs noch, dass rationale Argumente eine Diskussion entscheiden – in meiner naiven Vorstellung davon, wie Politik funktioniert. Es kam aber anders. Das hängt damit zusammen, dass sich Politiker so weit aus dem Fenster gelehnt hatten, dass sie bis heute glauben, nicht mehr zurückzukönnen. Auch wenn sie unter vier Augen zugeben, dass das Projekt S 21 im Grunde ein teurer Irrtum auf Kosten der Steuerzahler ist. Wenn stärkere Interessen und Mächte und zudem persönliches Versagen von Entscheidungsträgern gegen den gesunden Menschenverstand siegen, dachte ich mir: Das darf doch nicht so stehen bleiben!"

 

Gerd Leipold, Jahrgang 1951, wurde im oberschwäbischen Rot an der Rot geboren, studierte Physik in München und Hamburg und kam 1982 zu Greenpeace. Von 2001 bis 2009 war er als Geschäftsführer für die weltweiten Aktivitäten der Organisation verantwortlich. Leipold arbeitet heute als Umweltberater für internationale Unternehmen.

Das Buch: "Zeit, sich einzumischen", 282 Seiten, 19,99 Euro, ist im Stuttgarter Sagas-Verlag erschienen und ab sofort im Handel erhältlich. Am 18. November, 20 Uhr, stellen Sittler und Leipold ihr Buch im Stuttgarter Haus der Wirtschaft vor.


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3 Kommentare verfügbar

  • Ulrich Frank
    am 11.11.2013
    Antworten
    @Werner Friedrich. 08.11.2013. Eigentlich ist mit dem, was Sie hier angeblich kritisch vorbringen, weder etwas bewiesen noch etwas gesagt. Tatsache ist daß die Kontextwochenzeitung das leistet, was die "alten Medien" nicht tun: detaillierte (und oft vorenthaltene) Information im Kontext…
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