Wenn man die regelmäßige Berichterstattung und die Statistiken ernst nimmt, die neben der Überfettung und Verdummung der heutigen Jugend ihr Trinkverhalten anprangern, kann man sich schon mal fragen: Was machen heutige Jugendliche eigentlich noch außer saufen? Auch Vati scheint zu wissen, dass ein Kasten Bier zwar auch früher schon gut reinlief, was jedoch in keiner Relation zum heutigen Alkoholkonsum der Jugendlichen stünde. Spätestens seit irgendein ausgekochter Hexenmeister die teuflischen Alcopops erfunden hat, ist klar: Jugendliche sind im Dauerrausch – dumm, fett und ständig besoffen. Zum Glück sind die Rotzlöffel laut Pisa-Studie auch miese LeserInnen, sonst wüssten sie vielleicht, dass ihre AltersgenossInnen in Amerika Alkohol schon lange nicht mehr saufen, sondern über Trockeneis-Inhalatoren rauchen. Das sind Profis. Aber das ist Amerika. Bleiben wir in Deutschland.
Schaut man auf die aktuellen Zahlen, die das Statistische Bundesamt regelmäßig veröffentlicht, scheint zunächst auch alles statistisch fundiert zu sein: Im Jahr 2011 waren 26 351 Jugendliche zwischen 10 und 20 Jahren mit einer Alkoholvergiftung ins Krankenhaus gebracht worden. Zwar sind das genau 77 weniger als 2009, doch verglichen mit den Jahren davor hat sich Deutschlands Zukunft fleißig an die Spitze gebechert. Das passt auch ganz gut zum Ergebnis der neusten Shell-Jugendstudie, aus der hervorgeht, dass für 60 Prozent der deutschen Jugendlichen Fleiß und Ehrgeiz besonders wichtig ist.
In acht Jahren zum Abi und mit Vollgas in die Ausnüchterungszelle
Zum Glück gibt es Erwachsene, die ihren Alkoholkonsum im Griff haben und die zweittödlichste Droge der Welt (neben Zigaretten) genuss- und maßvoll zu behandeln wissen. Deshalb geht aus derselben Studie des Statistischen Bundesamts auch hervor, dass rund 25 000 Erwachsene zwischen 45 und 55 Jahren im Jahr 2011 ebenfalls mit der Diagnose "F 10 – Psychische und Verhaltensstörungen durch Alkohol" – kurz: Alkoholvergiftung – im Krankenhaus behandelt wurden. Von den zahlreichen Erwachsenen, die ohne einen Feierabendhelm nicht ins Bett schwanken, ganz zu schweigen.
Der Alkoholexzess scheint offensichtlich kein genuines Jugendproblem, sondern ein gesamtgesellschaftliches zu sein, und es sieht so aus, als gäbe es zumindest eine Konstante im Kausalzusammenhang zwischen jugendlichen KomasäuferInnen und erwachsenen Trinkern: die Leistungsgesellschaft.
Der Jugendkulturforscher Bernhard Heinzlmaier untersucht die Lebenslagen von Jugendlichen in ebenjener und das mediale Echo der Erwachsenen, das ihnen regelmäßig entgegenschlägt, wenn alarmierende Statistiken eine abgefuckte Jugend im Dauerrausch proklamieren. Dabei würde nicht gesehen, dass "die Rolle des flexiblen Menschen, der niemals in eine zumindest vorübergehende stabile Lage zu kommen scheint, dessen Leben der tägliche Kampf und den Aufstieg oder den Nicht-Abstieg ist, für die Jugend mehr Zumutung als positive Herausforderung ist".
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liane
am 01.10.2014