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Nicht nett

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Er war er ein Tag der Rebellion, der Wut und der völlig überzogenen Forderungen – Frauenwahlrecht! Gleicher Lohn! Recht auf Bildung! Heute, 102 Jahre später, scheint es am Internationalen Frauentag eher darum zu gehen, bei Wein und Brezeln nett zusammenzukommen. Was ist passiert? Gibt es für Frauen heute keinen Anlass mehr, wütend zu sein und Forderungen zu stellen?

Die Forderung nach Geschlechtergerechtigkeit, nach gleicher Bezahlung, nach Gleichberechtigung in Hausarbeit und Kindererziehung und dem Zugang zu Macht macht Umstände. Umstände zu machen und sich damit bei den Herrschenden unbeliebt, gehört nicht eben zum Standardrepertoire der weibliche Erziehung. Feminismus war daher für viele junge Frauen und Mädchen bislang nichts, woran sie teilhaben wollten, auch, wenn ihnen vieles schon länger mächtig aufstieß. Das ändert sich gerade, die Stimmung kippt – in Deutschland wie im Rahmen der Protestbewegungen international – und man muss sagen: endlich. Frauen auf der ganzen Welt hören gerade auf, nett zu sein, und werden wieder wütend.

Es ist eine Riesenerleichterung, dass derzeit unter dem Namen "Aufschrei" zumindest das Thema sexuelle Belästigung mit einer kollektiven Wut angeprangert wird, wie wir das in Deutschland länger nicht mehr erlebt haben. Die Frauen, die diesem Mist tagtäglich ausgesetzt sind, reden jetzt darüber, sie stellen fest, dass sie nicht die einzigen sind und dass sie das nicht mehr hinnehmen müssen. Demonstrantinnen, die in Kairo letzte Woche von der Regierung Mursi forderten, sie solle endlich etwas gegen sexuelle Belästigung und Vergewaltigungen unternehmen, schwangen dabei Messer.

In Indien hat die beispiellose Protestwelle nach der Massenvergewaltigung einer jungen Frau dazu geführt, dass die Regierung sich nun klar zu dem Thema verhalten muss. Nichts gegen Eve Enslers ambitionierte globale Kampagne <link http: onebillionrising.org _blank external-link-new-window>"One Billion Rising", mit der am 14. Februar auf der ganzen Welt auf Gewalt gegen Mädchen und Frauen aufmerksam gemacht wurde, aber mit kollektivem Tanzen in den Straßen wird man den Verantwortlichen keine Angst einflößen. Dazu bedarf es schon etwas radikalerer Aktionen. Dafür müssen wir schon etwas böser werden, etwas riskieren und dahin gehen, wo es wehtut. Anders als die radikalen Feministinnen von <link http: freepussyriot.org _blank external-link-new-window>Pussy Riot müssen wir hierzulande nicht mal fürchten, für solche Aktionen ins Gefängnis zu gehen.

Es wäre wünschenswert, dass Frauen wieder etwas mehr Gebrauch von diesem Freiheiten machen. Für gut ausgebildete, weiße Frauen mit einem deutschen Pass, die sich eine Putzhilfe und ein Kindermädchen leisten können, mag es vielleicht einfacher geworden sein. Für den Rest gäbe es nach wie vor mehr als genug Gründe, um ständig aus der Haut zu fahren, laut zu werden, zu rebellieren gegen diese Umstände. Wir brauchen noch viele weitere Aufschreie, mehr Wut und radikalere Aktionsformen – und ein bisschen weniger Bereitschaft, die perfekte Angestellte, Mutter, Partnerin mit dem allzeit passenden Outfit zu sein. Das würde dem Frauentag, wie ihn sich Clara Zetkin und ihre Mitstreiterinnen damals ausgemalt haben, gerechter werden, als bei Wein und Brezeln nett beieinanderzusitzen.

 

Chris Köver. Foto: privat

 

Chris Köver ist Chefredakteurin des "Missy Magazine", in dessen Namen sie hier schreibt. Derzeit arbeitet die 33-Jährige mit Sonja Eismann und Daniela Burger an der Fortsetzung ihres Buches "Mach's selbst – Do it Yourself für Mädchen". Ihre Themenschwerpunkte sind Repräsentation von Geschlecht in der Populärkultur, geschlechtersensibles Schreiben und Dritte Welle Feminismus. 



 


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