KONTEXT:Wochenzeitung
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"Ein bisschen Revolution gehört dazu"

"Ein bisschen Revolution gehört dazu"
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Die Autorin Bascha Mika scheut keine Konflikte. Sie hat sich mit Alice Schwarzer angelegt und deren Rolle in der Frauenbewegung kritisch beleuchtet. Und in ihrem Buch "Die Feigheit der Frauen" Frauen der Komplizenschaft in einer männerdominierten Gesellschaft angeklagt. Wir wollten von ihr wissen: Wo stehen Frauen heute?

Bascha Mika: Schließlich haben Männer nicht nur was in der Hose, sondern auch was im Kopf. Foto: Matthias Gans

Bascha Mika, war Frau Himmelreich mutig, als sie Herrn Brüderles Anzüglichkeiten veröffentlich hat? 

Klar war sie mutig. Weil sie ein Tabu gebrochen hat, das zwischen Politikern und Journalisten unausgesprochen besteht. Nicht alles Persönliche wird automatisch in die Öffentlichkeit getragen. Das halte ich auch für richtig – solange daran kein öffentliches Interesse besteht. Genau das aber war hier der Fall. 

Das hat die anschließende Debatte gezeigt. Hat Sie die Vehemenz der Reaktionen verblüfft? 

War es nicht erstaunlich, wie viele junge Frauen sich eingemischt haben? Junge Frauen wachsen doch heute mit dem Bewusstsein auf: Wir sind frei und gleich, uns steht alles offen, es gibt keinen Unterschied mehr zu den Jungs. Und plötzlich stellen sie fest, uups, ist doch manches anders und vieles schlimmer, als wir dachten. Sexismus – so was gibt es noch. Und vielleicht ist es ja weder unser persönliches Problem noch unsere mangelnde Coolness, wenn wir sexuelle Anmache zum Kotzen finden. Wollen wir mal nicht so sexistisch sein: Auch Männer sind in der Lage, zu erkennen, was sie tun. Schließlich haben sie nicht nur was in der Hose, sondern auch im Kopf. Den sollten sie vielleicht mal an der richtigen Stelle benutzen. Auch für sie gilt: Sexismus ist nicht nur ein individuelles, sondern ein kollektives, gesellschaftliches Problem. Das wurde bei dieser Debatte mehr als deutlich. Ist doch großartig!

Man kann es auch erschreckend finden, weil man sich plötzlich in der Steinzeit der Emanzipation wähnen konnte. Haben es die Frauen vermasselt? Oder anders gefragt: Was hat die Frauenbewegung der 70er eigentlich erreicht?

Wenn man sich ansieht, wo die Frauen gestartet sind, dann haben sie in den vergangenen 100 Jahren sicher mehrfach die Welt umrundet, während die Männer sich kaum bewegt haben. Frauen haben also eine ganze Menge erreicht. Aber seit ungefähr 20 Jahren geht es nur noch in winzigen Trippelschritten voran, dagegen ist eine Schnecke geradezu ein Ferrari. Trotzdem wird uns ständig vorgegaukelt, wir wären schon fast am Ziel und müssten uns kaum noch anstrengen. Man muss schon etwas genauer hinschauen und sich immer wieder deutlich machen, dass wir noch immer in einer männerdominierten Gesellschaft leben. 

Simone de Beauvoir hat es noch drastischer ausgedrückt. "Die Frauen haben nur das erreicht, was die Männer ihnen zugestehen wollten. Sie haben nichts gewonnen, sie haben nur angenommen." Ist es so bitter?

Das hat Simone de Beauvoir in den 50er-Jahren geschrieben, da stand die zweite Frauenbewegung ja noch aus. Es stimmt einfach nicht, dass die Frauen nur angenommen haben. Sie haben sich tatsächlich vieles erkämpft. 

Nun ja, sie können sich heute ohne Einwilligung des Mannes einen Job suchen und dürfen sogar das Geld behalten.

In den 70er-Jahren durften Frauen auch kein eigenes Bankkonto führen, Abtreibung war verboten, und eine Busfahrerin gab es zum ersten Mal. Seit den 90er-Jahren dürfen Frauen in der Ehe nicht mehr vergewaltigt werden. Das ist doch mal wirklich ein Fortschritt. Aber wir Frauen sind mitten auf dem Wege stehen geblieben. Und das hängt wohl tatsächlich damit zusammen, dass wir uns mit dem zufriedengeben, was Männer uns zugestehen. Sieht man sich die vergangenen zwei Jahrzehnte an, hat Simone de Beauvoir vielleicht doch noch ein bisschen recht.

Warum?

Ab den 70er- und 80er-Jahren haben sich Frauen, was Bildung und Berufe angeht, unendlich weiterentwickelt. Bis dahin, dass sie heute die besseren Abschlüsse machen. Das alles ist aber bereits vor Jahrzehnten eingetütet worden, da wurden unendlich wichtige Meilensteine gesetzt. Und was ist seit den 90er-Jahren passiert? Das Betreuungsgeld wurde verabschiedet. 

Ein emanzipatorischer Rollback mit der Botschaft: Frauen, zurück an den Herd?

Der Rollback kommt durch Stillstand. Frauen leben immer noch in einer unterprivilegierten Position, und wenn sie nicht ständig dafür streiten, dass sie dieselben Rechte bekommen, dass sie denselben Lohn für ihre Arbeit verdienen, dann wird sich nichts bewegen. Männer werden freiwillig nichts abgeben. Warum sollten sie? Wenn wir Frauen die Macht hätten, würden wir uns auch nicht kampflos von unseren Privilegien trennen.

Derzeit wird durch den EU-Vorstoß die Frauenquote wieder heftig diskutiert. Die Nobelpreisträgerin Christiane Nüsslein-Volhard sagt: "Die Quote verletzt die Würde der Frau." Die CSU-Politikerin Dagmar Wöhrl assistiert süffisant: "Eine fähige Frau brauchte eine Quote wie ein Walfisch eine Kapuze." 

Klingt lustig, ist aber apolitisch und unhistorisch. Als hätte es nicht schon jede Menge Versuche gegeben, Frauen über Qualifikation in verantwortliche Positionen zu bringen. Inzwischen sind Frauen längst besser qualifiziert, und das nicht erst seit gestern. Trotzdem ist nichts passiert. Vor über zehn Jahren sollte die Wirtschaft freiwillig dafür sorgen, dass Frauen in Führungspositionen kommen. Und wo stehen wir heute? 

Bascha Mika: Frauen haben einmal die Welt umrundet. Foto: Anja Weber Also endlich her mit der Quote, auch wenn Frauen wie Nüsslein-Volhard und Wöhrl sie gar nicht wollen? 

Das Problem ist, dass Frauen durch ihre Prägung, Sozialisation und Erziehung das männerdominierte System stützen. Häufig sind sie nicht dessen Gegnerin, sondern Komplizin. Sie machen sich vieles der männlichen Ideologie zu eigen. Die Quotendiskussion ist ein Beispiel dafür. Wir brauchen die Quote, sie hat nichts Erniedrigendes, sondern im Gegenteil: An einigen Stellen kann sie so etwas schaffen wie die Gleichheit der Waffen. Außerdem hat sie eine nicht zu unterschätzende Symbolwirkung: Sie signalisiert, dass Frauen in der Arbeitswelt willkommen sind. Männer wollen nicht teilen. Zu argumentieren, dass Frauen, wenn sie nur gut sind, den Job schon bekommen werden, ist ziemlich naiv. Darum verstehe ich auch eine kluge Frau wie Christine Nüsslein-Volhard nicht. Zumal sie längst erkannt hat, dass etwa in der Wissenschaft jede Menge Handlungsbedarf besteht. Sie hat eine Stiftung gegründet, die Stipendien an junge Wissenschaftlerinnen vergibt, damit sie Kind und Arbeit vereinbaren können.

Damit argumentiert die Wissenschaftlerin wie die Frauen- und Familienministerin Kristina Schröder. Wir brauchen keine Quote, sagt die, sondern freiwillige Maßnahmen, damit Frauen Kind und Karriere vereinbaren können.

Schon die Rede davon, dass Frauen mal wieder alleine verantwortlich sein sollen für Kinder, ist so was von rückwärtsgewandt! Außerdem: Wie verändert man denn eine Kultur? Selbstverständlich auch per Gesetz, wenn es um Machtstrukturen geht. So zu tun, als wäre es ein Armutszeugnis, wenn Frauen die Quote brauchen – Entschuldigung! Männer haben auch eine Quote, die funktioniert sogar zu 98 Prozent. Und hat nur bedingt mit Qualifikation zu tun. 

Sie sprechen die Old-Boy-Networks an, diese Männerbünde, die bis hin zum gemeinsamen Puffbesuch gehen. 

Ja, und das männliche Rekrutierungsverhalten, die Rituale und Kommunikationsstrukturen. Das alles ist ein Konglomerat an Maßnahmen, mit denen Männer immer wieder dafür sorgen, dass Männer nach oben kommen. Wie sehr sich eine Kultur ändert, wenn man es gesetzlich befördert, sieht man doch in den skandinavischen Ländern. Da werden Männer, die sich als Väter nicht um ihre Kinder kümmern, schief angesehen. Warum? Weil es ganz selbstverständlich ist, dass Frauen die Berufsarbeit mit ihren Männern teilen, aber auch die Haus- und Kinderarbeit.

Gesetze allein werden aber auch nicht genügen.

Sicher nicht. Dazu braucht es auch Öffentlichkeit, Demonstrationen, Widerstand. Die 68er-Revolution und die darauf folgenden sozialen Bewegungen haben die stärkste kulturelle Veränderung bewirkt, die wir seit dem Zweiten Weltkrieg in dieser Gesellschaft hatten. Ist das etwa dadurch passiert, dass alle Unzufriedenen leise gesagt haben: Wir hätten gerne mal, dass sich die alten autoritären Strukturen freiwillig in Luft auflösen? Nein! Sie haben protestiert, sie haben auch randaliert. Ein bisschen Revolution gehört schon dazu. Das sollte man den Frauen mal sagen, die so blöd gegen die Quote argumentieren.

Frauen sind auch nicht die besseren Menschen. Ändert sich etwa die Unternehmenskultur, sei es in den Medien oder der Wirtschaft, wenn mehr Frauen auf den Chefsesseln sind? 

Aber ja! Und zwar nicht, weil Frauen bessere Menschen sind oder automatisch gut wirtschaften. Sondern weil sie eine andere Sozialisation mitbringen und natürlich auch andere Erfahrungen, Eigenschaften und Verhaltensweisen. Das ist entscheidend. Es geht hier doch um Diversivität. Alle Untersuchungen zeigen, dass Vielfalt den größeren Erfolg für Unternehmen bringt, in allen Bereichen. Um diese Vielfalt geht es. Aber selbst wirtschaftliche Faktoren ignorieren und missachten die Unternehmensführer, wenn sie die Macht teilen sollen. Das ist doch komplett absurd und widerspricht der eigenen ökonomischen Logik. 

Dahinter steckt die Angst der Männer vor den Frauen?

Es ist viel schlichter. Wenn du einen Job bekommst, kann ich ihn nicht haben. Natürlich sind Frauen nur ein Teil des Kampfes um Vielfalt, aber es handelt sich um mindestens die Hälfte der Menschheit. Es kann nicht sein, dass man für alle möglichen Rechte kämpft, aber die Frauen dabei hintenüber fallen. Jeder Kampf, der dazu führt, dass die bisher geltenden männlichen Strukturen aufgebrochen werden, hilft auch allen anderen, die unterprivilegiert sind. Kulturelle Vielfalt befördert sich gegenseitig. Wer für die Rechte der Frauen kämpft, meint auch die Muslima aus Pakistan.

Führungspositionen in Politik und Wirtschaft sind das eine, gleiche Bezahlung das andere. Da sieht es immer noch schlecht aus bei Frauen. Tun Frauen zu wenig für ihre ureigensten Interessen?

Ja, zweifellos. Untersuchungen zeigen, dass Frauen im Berufsalltag ein gutes Klima wichtiger nehmen als eine gerechte Bezahlung. Ich frag mich, warum kann es nicht um ein gutes Klima UND um eine gerechte Bezahlung gehen? 

Fehlt der Mumm, sich mal schlicht ums eigene Geld zu kümmern? 

In der Arbeitswelt würde ich nicht von der Feigheit der Frauen reden. Diese Feigheit betrifft vor allem ihre Komplizenschaft mit dem männlich dominierten System und den Verzicht auf eigene Lebensentwürfe im Privaten. Wie kann es sein, dass in Deutschland die Hälfte der Frauen sagen: Wir wollen alles mit unserem Partner teilen, die Berufsarbeit, aber auch die Kinder und Hausarbeit, wir wollen eine Beziehung auf Augenhöhe. Bei den jungen, gut ausgebildeten Frauen sind es sogar 90 Prozent, die dieses Lebensmodell favorisieren. Und trotzdem landen deutsche Frauen noch immer massenhaft in den traditionellen Rollen? Wie kann das sein? Das ist die Frage, die wir Frauen beantworten müssen.

Alice Schwarzer hat einmal als Erfolgsgeheimnis genannt: "Ich will nicht geliebt werden." 

An diesem Punkt hat Alice Schwarzer recht. Frauen fürchten sich tatsächlich sehr viel mehr als Männer vor Liebesentzug, und diese Verlustangst treibt sie häufig in eine Situation, in der sie sich, statt Konflikte einzugehen, freiwillig unterwerfen. Vor allem im Privaten. Und deswegen ist natürlich ein Weg zu mehr Selbstbestimmung, sich nicht mehr so abhängig zu machen von der Zustimmung der anderen, auch wenn wir alle geliebt werden wollen – auch Männer.

Das Private bleibt also politisch?

Selbstverständlich. Man muss sich nur vorstellen, wie sehr Unternehmen unter Druck geraten würden, wenn auch Männer massenhaft sagen würden: Wir sind jetzt Väter, wir steigen erst mal aus und kümmern uns um die Kinder. Solange es nur die Frauen sind, können sie in der Arbeitswelt abgedrängt werden.

Der Mut der Frauen ist auch die Angst der Männer. Brauchen wir also vor allem eine Männerbewegung? 

Das ist dringend notwendig – übrigens seit Jahrzehnten schon. Wenn Frauen auf ihrem Weg zur Selbstbestimmung mehrfach die Welt umrundet haben, haben Männer kaum die Haltestelle verlassen. Sie hängen nach wie vor zu sehr an den traditionellen Mustern. Und kommen mir manchmal vor wie Einsiedlerkrebse, die sich in ihr Muschelhaus verkriechen, darauf warten, dass die große Meereswelle über sie hinwegschwappt, und hoffen, dass sie danach wieder herauskrabbeln können und die Welt sich nicht verändert hat. Aber die Entwicklung der Frauen ist keine Welle, die irgendwann mal wieder verebbt. Sie rollt zwar verdammt langsam, viel zu langsam, aber trotzdem weiter. Wenn Männer nicht bald anfangen, sich ernsthaft mit ihrer Rolle auseinanderzusetzen, sondern sich darauf beschränken, irritiert zu sein, Abwehrgefechte zu führen und Verteidigungsmauern hochzuziehen, werden sie verlieren. 

Bei einer Kontext-Umfrage zu S 21 haben sich 61 Prozent der Frauen und nur 54 Prozent der Männer gegen das Bahnhofprojekt ausgesprochen. Sind Frauen doch mutiger, als Sie denken?

Frauen blicken anders auf die Welt, sie denken stärker in Zusammenhängen und an nachfolgende Generationen. Deshalb sind sie nicht so anfällig für monströse, technisch faszinierende Projekte. Das hat nichts mit Biologie, sondern mit unterschiedlicher Erfahrung zu tun. Deshalb verblüfft mich dieses Ergebnis nicht. Jetzt müssen diese 61 Prozent nur noch dafür sorgen, dass wir Stuttgart 21 vergessen können.

 


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