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Der zweite Verrat

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NS-Belastete werden in der Regel mit den Jahren 1933 bis 1945 verbunden. Doch gibt es auch einige Fälle, in denen pronazistisches Fehlverhalten erst nach 1945 einsetzte. Zu ihnen zählt der Südbadener Heinrich Höfler, der es bis zum Caritas-Direktor brachte.

Während die Nationalsozialisten an der Macht waren, geriet Heinrich Höfler (1897-1963) immer wieder in Konflikt mit dem Regime. Als Leiter der Caritas-Pressestelle in Freiburg und langjähriger Hauptschriftleiter der Zeitschrift "Caritas" war er in den frühen NS-Jahren ein Mann für katholische PR-Arbeit. Nachdem diese Tätigkeit vom NS-Staat untersagt worden war, betraute man ihn 1941 als Leiter einer "Kirchlichen Kriegshilfe" damit, katholische Militärpfarrer mit gottesdienstlichem Gerät sowie Soldaten mit religiösem Schrifttum zu versorgen, wobei zeitbedingt immer wieder anderslautende Befehle aus dem NS- bzw. Wehrmachtapparat umgangen werden mussten. Er fiel insofern den Machthabern unangenehm auf.

Höfler habe "17 Male Gestapobesuche erhalten", wie der Freiburger Erzbischof Conrad Gröber 1942 dem Vatikan berichtete. Denn Höfler scheute vor "illegalen" Aktionen wie dem Aufkauf des Bestandes und der Verschickung von Restauflagen einiger zu schließender katholischer Verlage nicht zurück. Auch wurde kirchliche Literatur auf illegal bezogenem Papier gedruckt. Deshalb wurde er vom 24. Juli 1944 bis zum 3. April 1945 auf Befehl Martin Bormanns als "Exponent des politischen Katholizismus" inhaftiert. 1946 erhielt er dafür einen Ausweis als "Opfer des Nationalsozialismus".

Von 1945 bis 1949 koordinierte Höfler dann als Direktor in der Freiburger Caritaszentrale Hilfen für Kriegsgefangene und Kriegsheimkehrer, wobei ihm sein Status als "Verfolgter" sehr zustatten kam. Es gelang ihm, für seine Arbeit Mittel auch aus Frankreich und der Schweiz zu sichern. Mit Unterstützung von Angelo Giuseppe Roncalli, dem späteren Papst Johannes XXIII., lieferte er jetzt Schriften und Bücher in diverse ausländische Gefangenenlager und warb für die Entsendung von Geistlichen.

Einsatz für Kriegsgefangene – und Kriegsverbrecher

Nicht zuletzt aber kümmerte sich Höfler um sogenannte "Kriegsverurteilte" in Holland, Frankreich, Italien, Jugoslawien und Luxemburg. Dabei war er, so sein Biograf Günter Buchstab, zutiefst davon überzeugt, "dass Justiz ohne Gnade ein Torso sei und dass Hinrichtungen mit zunehmender zeitlicher Distanz zum Jahr 1945 nicht mehr als Sühne, sondern als Willkür bewertet würden." Er vermittelte den Gefangenen daher "nicht nur Rechtsbeistand, sondern spürte auch Zeugen auf, beschaffte die notwendigen Dokumente und setzte sich mit zahlreichen Interventionen [...] und in zahlreichen Auslandsreisen für sie ein.

Dass sich unter seinen Schützlingen Kriegsverbrecher und Massenmörder befanden, war Höfler wohl bewusst. Doch hielt er dies für nachrangig. In einem Memorandum seiner Kriegsgefangenenhilfe vom 29. Januar 1949 schrieb er: "Auch ihnen müssen wir helfen! Ihre moralische und materielle Lage ist meist sehr bedrängt. [...] wir müssen fortfahren, ihr Los zu erleichtern. Ihre Verteidigung ist ein peinvolles Problem, das noch sehr im Argen liegt. Mittellosigkeit hindert seinen Fortgang. Wohl verwenden sich eine Reihe gerecht und gut gesinnter Ausländer, Mittel für die Verteidigung in Gang zu bringen, aber es fehlt einstweilen entscheidend an Geld. [...] Die Angehörigen der Gefangenen leiden gleichfalls vielfach Not."

Es ging also um Geld und um dessen möglichst effektiven Einsatz. Von Anfang an suchte Höfler seine Arbeit mit der Tätigkeit ähnlich gerichteter Organisationen zu koordinieren. Am 16. Dezember 1948 etwa schlug er vor, "alles Prozessuale" dem Roten Kreuz zu überlassen; seiner Kriegsgefangenenhilfe käme dann die "Rolle des zusätzlichen Helfens" zu: "Mitarbeit bei der Beschaffung von Akten in Deutschland, Mittelbeschaffung und vor allem: caritative Betreuung". Im Übrigen forderte er oft ein "Zusammenwirken mit den konfessionellen Hilfsverbänden". Im Frühjahr 1949 arbeitete seine Rechtsschutzstelle "mit den Rechtsschutzstellen der anderen Verbände der Freien Wohlfahrtspflege" [...] zusammen." Dabei kam es auch zur Kooperation mit rechtsgerichteten Juristen wie Rudolf Aschenauer oder Hans Laternser bzw. mit - nach 1951 - rechtsextremistischen Gruppen wie der "Stillen Hilfe" unter Prinzessin Helene Elisabeth von Isenburg.

Vorsitzender eines Bundestagsunterausschusses

1949 wurde Höfler erstmals im Wahlkreis Emmendingen, der seinerzeit die Landkreise Emmendingen, Wolfach und Villingen umfasste, für die CDU in den Deutschen Bundestag gewählt. Dort engagierte sich der Abgeordnete Höfler als Vorsitzender des Unterausschusses für Kriegsgefangene und Heimkehrer im gleichen Tätigkeitsbereich wie zuvor, jetzt allerdings auf höherer Ebene.

Am 14. November 1950 etwa sprach Höfler im Bundestag über Kriegsgefangene und beklagte "das Fernbleibenmüssen so vieler unserer Brüder im fremden Gewahrsam". Er kritisierte beispielsweise die Auslieferung eines "Deutschen" an Polen durch die "alliierte Gewalt": "Gerade im Falle dieser Auslieferung geht es nicht etwa darum, dass ein Mann verdienter Strafe entzogen werden soll, der vielleicht (!) Strafe verdient hat, sondern es geht um das Recht. Es scheint uns richtig zu sein, zu sagen, dass, was Polen angeht, das Recht nicht gewahrt ist. Wer nach Polen ausgeliefert wird, tritt den Marsch zum Galgen an. Das ist eine Feststellung, die leider wahr ist, da wir wissen, dass die guten Kräfte des polnischen Volkes überwältigt sind von denen, die ihm die Freiheit und auch sein Recht genommen haben, auch das Recht auf Gerechtigkeit [...]. Es ist einfach unmöglich, dass deutsche Staatsangehörige, mögen sie sein, was sie wollen, und getan haben, was sie wollen (!), jetzt, fünf Jahre nach dem Kriege, noch zu Tode gebracht werden." Die Tatvorwürfe an sich interessierten ihn, wenn überhaupt, nur am Rande. Ihm ging es vielmehr darum, einen "Deutschen" nicht in ausländische Hände zu übergeben. Selbst seine antikommunistische Stoßrichtung scheint hier überlagert zu sein von der alten "Volksgemeinschafts"-Idee.

Noch im gleichen Monat reiste er nach Italien, wo er sich mit Graf Vittorio Zoppi (1898-1967) traf, dem Generalsekretär im italienischen Außenministerium. Thema war die Lösung des Kriegsinterniertenproblems. Während der fast zweijährigen Besatzungszeit Italiens durch deutsche Truppen und andere NS-Bedienstete von 1943 bis 1945 waren 46.000 Militärinternierte oder Kriegsgefangene, 37.000 politische Deportierte sowie 16.600 zivile italienische Staatsbürger, darunter 7.400 Juden, gestorben. Man hätte erwarten können, dass diese Toten das bilaterale Verhältnis bestimmen und es vor allem anderen zuerst zu einer entsprechenden Klärung hätte kommen müssen.

Doch seit am 25. Juni 1950 der Koreakrieg ausbrach, galten andere Prioritäten. Deutschland und Italien verfolgten längst eine Politik der engen Westbindung und waren sich insofern darin einig, in der Sowjetunion den gemeinsamen aktuellen Feind zu sehen. Frühere Kriegsverbrechen, die der künftigen Kooperation im Wege standen, sollten keine wesentliche Rolle mehr spielen. Beide Seiten stimmten darin überein, die Vergangenheit rasch und ohne detaillierte Nachforschungen zu bereinigen. Die Deutschen stießen sich vor allem an den noch in Italien einsitzenden Kriegsgefangenen; die Italiener andererseits, seit 1943 Teil der westlichen Alliierten, wollten keinesfalls Verantwortung für italienische Gräueltaten der faschistischen Zeit übernehmen müssen. Denn mit Blick auf mögliche anstehende Prozesse war ein "Bumerang-Effekt" zu befürchten: Sollte die Verfolgung deutscher Kriegsverbrecher in Italien allzu intensiv erfolgen, könne dies zu einer ebensolchen Verfolgung italienischer Kriegsverbrechen vom Balkan über Griechenland bis hin nach Libyen und Äthiopien führen. Man erließ also wiederholt Amnestien und betrieb im Übrigen eine Strategie der Verschleppung dieser Prozesse, um öffentliche Debatten zu vermeiden und auf Zeit zu spielen.

Höfler will Kriegsgefangene "schnell nach Hause holen"

Unter solchen Voraussetzungen fanden Höfler und Zoppi rasch zur übereinstimmenden Bewertung der Lage: Man müsse jetzt "ein starkes und geeintes Europa schaffen." Die letzten verbliebenen Gefangenen sollten deshalb, so Höfler, schnell nach Hause geholt werden. Dies werde eine der Aufgaben des neuen deutschen Generalkonsulats in Rom sein; die Dienste des Bischofs Alois Hudal, bekannt geworden als Fluchthelfer durch die Organisation einer "Rattenlinie" für Kriegsverbrecher von Italien nach Südamerika, würden nicht länger benötigt. Hinsichtlich der italienischen Täter sei, was Deutschland respektiere, Stillschweigen angesagt.

So wurde ein Geheimabkommen unterzeichnet, das, wie der Historiker Filippo Focardi nachweist, auf italienischer Seite von Staatspräsident Luigi Einaudi und Verteidigungsminister Randolfo Pacciardi gegengezeichnet wurde. Demnach verkürzte die italienische Regierung die Haftzeit der meisten deutschen Kriegsverbrecher. Sie kamen wenige Monate später frei. Ausgenommen blieb lediglich der zur Symbolfigur für NS-Kriegsverbrechen gewordene Herbert Kappler, dessen Verfahren sich noch "in der Schwebe" befunden habe. Nach 1951 war Kappler der letzte deutsche Kriegsinternierte in italienischer Haft.

Unter den nunmehr ausgewiesenen Kriegsverbrechern befand sich unter anderem der frühere Generalmajor Otto Wagener. Als nationalsozialistisches Urgestein und SA-Gruppenführer war er Anfang der 1930er Jahre Mitglied der NSDAP-Parteileitung gewesen und nach einer Militärkarriere von September 1944 bis zum 8. Mai 1945 schließlich Kommandant Ost-Ägäis bzw. Militärgouverneur der Inselgruppe Dodekanes geworden. Wagener war Hauptverantwortlicher für die Erschießung von etwa 1300 italienischen Kriegsgefangenen, die auf Rhodos im von ihm errichteten KZ Calitea eingesessen hatten. Am 18. Oktober 1948 war er dafür von einem italienischen Gericht zu 15 Jahren Haft verurteilt worden. Doch jetzt habe der umtriebige Höfler ihn "mehrfach" persönlich im Militärgefängnis Gaeta besucht und beraten, so Wagener.

Nachdem Heinrich Höfler 1963 gestorben war, sagte Caritas-Direktor Dr. Alois Eckert, Höfler habe "das urchristliche Werk, Gefangene zu besuchen und zu erlösen, in zeitgeforderter Form neu zu beleben gesucht." Solche Äußerungen wiegen, so der 2013 verstorbene NS-Täterforscher Ernst Klee, "schwerer als das Schweigen der Kirchen zu Nazi-Verbrechen und Judenmord im Dritten Reich. Die Opfer wurden ein zweites Mal verraten. Ohne Zwang, aus freien Stücken. Das heißt doch wohl: aus Überzeugung."

 

Info:

Wolfgang Proske hat sich mit Höfler in dem von ihm herausgegeben Buch <link http: www.ns-belastete.de band_6.html external-link-new-window>"Täter Helfer Trittbrettfahrer, Band 6: NS-Belastete aus Südbaden" befasst. Das Buch wird gerade auf verschiedenen Veranstaltungen mit AutorInnen vorgestellt.

Die nächsten Stationen sind: 28.3., 20 Uhr, Schloss Meßkirch, Meßkirch (Vorträge von Helmut Weißhaupt und Wolfgang Proske) 4.4., 19:30, Treffpunkt Petershausen, Konstanz (Vortrag von Wolfgang Proske)


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2 Kommentare verfügbar

  • Udo Sürer
    am 28.03.2017
    Antworten
    Kappler war nicht der Eínzige. Auch Walter Reder war in Gaeta, bis 1985. Katholiken verkennen tendenziell die heilende Funktion von Gerechtigkeit und meinen, stattdessen mit "Gottes Gnade und Vergebung" alles unter den Teppich kehren zu sollen. Opfer, die persönlich nicht zu dieser Vergebung bereit…
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