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Reiche auf der Flucht

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Spiel nicht mit Schmuddelkindern. Auf der Stuttgarter Königstraße flüchtet der Juwelier Wempe vor Billigheimer Primark, denn das Geschäft mit dem Luxus läuft nur, wenn das Drumherum stimmt. Nachbarn mit 1,99-Euro-Klamotten stören da gewaltig.

Eine Geschichte, in der teure Zeitmesser am Handgelenk eine gewisse Rolle spielen, sollte womöglich mit einem Zitat eines echten Experten beginnen. "Wer eine Uhr für 2000 Euro kauft, um damit die Zeit abzulesen, ist ein Idiot", sagt Jean-Claude Biver, Chef der Uhrenmarken TAG Heuer, Zenith und Hublot. Nur, was sind dann Menschen, die Uhren für 20 000 Euro kaufen? Vollidioten?

Der 68 Jahre alte Biver kann über eine solche Nachfrage nur milde lächeln und lässt sich nicht im Mindesten provozieren. Vielleicht weil er sich selbst als einen der allergrößten Provokateure des Uhrenuniversums sieht. Vor ein paar Jahren hat der gebürtige Luxemburger und Wahlschweizer nach seiner eigenen Einschätzung mit einem ganz bestimmten Modell den allergrößten Coup seiner bald 40 Jahre andauernden Karriere gelandet. Die Uhr war schwarz, total schwarz. Gehäuse schwarz, Zifferblatt schwarz, Zeiger schwarz. Der vorsichtige Einwand, dass man auf dieser Uhr mit dem treffenden Namen "All Black" der Marke Hublot die Zeit tatsächlich nur mit großer Mühe ablesen könne, quittiert Biver mit schallendem Gelächter und einem coolen Spruch: "Wer trägt heutzutage schon eine Uhr, um die Zeit abzulesen?"

Es geht also um reinen Luxus, um die Kunst, etwas total Überflüssiges zu erschaffen und dafür auch noch Menschen zu finden, die einen Haufen Geld dafür ausgeben. Wobei "ein Haufen Geld" für viele Marken erst ab 10 000 Euro beginnt. Manche mögen das für dekadent halten, wahrscheinlich ist es das auch, doch die Verkäufer und wohl auch die meisten Käufer derartiger Produkte stehen über derartigen Bedenken.

Die Kundschaft kennt zwei Typen: Protzer und Kenner

Diese Kundschaft lässt sich ganz grob in zwei Kategorien unterteilen: die Protzer und die Kenner. Erstere tragen die Uhr über dem Hemd, letztere unter dem Hemd. (Es soll sogar Maßschneider geben, die für die Protzer den einen Hemdenärmel wegen der Uhr extra kürzen.) Favorisierte Marken: Audemars-Piguet, Hublot, Panerai. Die zweite Kategorie dagegen erfreut sich eher heimlich an ihrem Lieblingsstück und amüsiert sich köstlich, wenn der Laie die Uhr am Arm entdeckt, aber den Wert völlig falsch – weil zu niedrig – einschätzt. Favorisierte Marken: Patek Philippe, Piaget, Vacheron-Constantin. Die Marken der zweiten Kategorie kommen nicht zufällig alle aus dem calvinistischen Genf, wo es sich seit Jahrhunderten wenig schickt, seinen Reichtum demonstrativ in der Öffentlichkeit vorzuführen.

Gewisse Parallelen zum pietistisch geprägten Stuttgart sind unübersehbar, wo mancher Porsche-Fahrer, sein – meist deutlich teureres – Zweit- oder Drittfahrzeug in eigens angemieteten Garagen, mindestens ein Stadtviertel vom Eigenheim entfernt und so von neugierigen Blicken der Nachbarn verborgen, unterstellt. Die adäquaten Anlaufstellen beim Uhrenkauf sowohl für Protzer als auch für Kenner nennen sich in Stuttgart von Hofen, Kutter oder Wempe.

Glaubt man den Juwelieren, laufen die Geschäfte prächtig. Auch wenn mittlerweile weniger Chinesen (bleiben vermehrt in China), Russen (kommen – wenn überhaupt – nach Baden-Baden) und Araber (kaufen immer schon lieber in München) die Läden frequentieren. Also konzentrieren sich die Juweliere wieder verstärkt auf die heimische Klientel. Aber auch die ist sensibel, weil sie sich beim Uhrenkauf wohlfühlen will, womit wir bei der Atmosphäre beim Luxuskauf wären und da gibt es inzwischen gewisse atmosphärische Störungen.

Wempe domiziliert in der oberen Königstraße. Noch, denn die Institution verabschiedet sich aus der Top-Einkaufsmeile. Wobei die Zuschreibung "Top" stark Ansichtssache ist. Gemessen am Umsatz trifft dieser Superlativ fraglos zu. Nur fragen sich die Händler des schönen Geschmeides, ob das auch in Zukunft so bleibt. Die Antwort hat Wempe gefunden. Bald ist Schluss an der angestammten Adresse. Die Juweliere verlagern das Geschäft in eine exklusivere Lage.

Wohin es genau geht, bleibt noch geheim, doch das Revier um die Stiftskirche ist das erklärte Wunschziel. Der Grund für den für 2018 geplanten Umzug liegt in einer angekündigten Nachbarschaft, die sich bereits in wenigen Monaten anschickt, ganze Herden von kauflustigen Kunden anzulocken. Diese Menschen schrecken dann womöglich die sensibleren Käufer – darunter können im übrigen Vertreter der Kategorie Protzer oder Kenner fallen – mit den prall gefüllten Geldbörsen ab.

Im Milaneo ist das Elend zu besichtigen

Warum groß drum herumreden? Das Schmuddelkind hat einen Namen. Primark heißt das Schreckgespenst des Premiumsegments. Das Phänomen lässt sich an jedem beliebigen Werktag im Einkaufszentrum Milaneo besichtigen. Junge Menschen, mit migrantischem genauso wie biodeutschem Hintergrund, stürmen den Laden. Power-Shopping als konsumistischer Mehrkampf, zu dessen Disziplinen Extrem-Wühling in Kleiderhaufen, Ganzkörper-Fighting an der Kasse und Einkaufstüten-Heavy-Lifting auf dem Nachhauseweg zählen. Wer befürchtet hatte, dass der irische Billig-Textilhändler massenweise Kundschaft aus der angestammten Fußgängerzone zwischen Hauptbahnhof und Rotebühlplatz abziehen würde, kann sich nach drei Jahren bestätigt fühlen.

Diagnose tote Hose. Die Therapie für die City: Ein zweiter Primark auf mehreren Ebenen in der ehemaligen Karstadt-Immobilie auf der oberen Königstraße. Noch eine Konsum-Kampfzone verspricht interessante Bewegungsströme und das Aufeinanderprallen verschiedener Welten. Davon konnten sich bereits Besucher der Stadtbibliothek überzeugen. Der Bücherwürfel übt nämlich auch auf viele junge Menschen nach absolviertem Primark-Besuch – so gut wie alle anderen Läden sind ohnehin nur Nutznießer dieses Frequenzbringers - eine geradezu magische Wirkung aus. Was aber eher an der spektakulären Aussichtsterrasse auf dem Dach liegen dürfte. Der Leser und der Shopper scheinen zwei schwer verträgliche Gruppierungen zu sein. Aufmerksame Beobachter meinen ohnehin, bereits einen sozialen Brennpunkt im Milaneo-Quartier ausgemacht zu haben.

Das Sozialministerium ist ein besserer Nachbar

Auf diesen Clash of Cultures haben sie bei Wempe offensichtlich wenig Bock. Also raus aus der Königstraße und runter zur Stiftskirche, wo Handtaschendealer Louis Vuitton, Inbegriff des Luxuslabels, seine Zelte aufgeschlagen hat. Als Vorhut fungiert bereits in diesem Jahr die von Wempe betriebene Rolex-Boutique. Die soll im neuen Dorotheenquartier als Nachbarin des Sozialministeriums eröffnen. Rolex und Ministerialbürokratie klingt nach "Ziemlich beste Freunde".

Die Kombination bietet aber an dieser Stelle die Chance, mit einem weitverbreiteten Vorurteil aufzuräumen. Rolex, vor 112 Jahren von einem deutschen Auswanderer in Genf gegründet, gilt geradezu als Inbegriff für Luxusuhr. Dabei liegen die Modelle preislich mit einer Einstiegskategorie von rund 5000 Euro eher im unteren Bereich in der Premiumklasse (und unter allen anderen, oben genannten Marken). Rolex ist kein börsennotierter Konzern oder familiengeführter Betrieb, sondern ein Stiftungs-Unternehmen, das seit Jahrzehnten ein echtes Mäzenatentum betreibt, von dem insbesondere der Kanton Genf und dessen soziale und kulturelle Einrichtungen profitieren. Das könnte die Beamten, auf die sich Wempe als zukünftige Kunden freut, beruhigen.

Wer gewillt ist, 60 Franken Eintritt zu bezahlen, kann bis zum 30. März in Basel die größte Uhren- und Schmuckmesse (Baselworld) von 1500 Ausstellern besichtigen. Favoriten des Autors sind die Kuckucksuhren von Hubertus Herr aus Triberg.


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4 Kommentare verfügbar

  • Martin
    am 07.04.2017
    Antworten
    Treffende Analyse! Kleine Ergänzung: Uhrenkäufer setzen qualifizierte Handwerker in Lohn und Brot, Käufer von Billigklamotten fördern Ausbeutung.
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Ausgabe 459 / Grüne Anfänge mit braunen Splittern / Udo Baumann / vor 1 Tag 8 Stunden
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