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Kino unerwünscht

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In Bad Waldsee haben sich einige BürgerInnen zusammengetan, um dem beschaulichen Kurort ein Kino zu schenken. Das kommt bei den Einheimischen gut an. Bei der Stadtverwaltung dagegen überhaupt nicht.

Eugen Detzel, 62, die Haare verstrubelt, die Hände in den Taschen, guckt aus dem Seenema auf den See und findet: "Gut. Oder?" Nicht wirklich eine Frage. Der Grund dafür, dass das Kino so heißt, liegt einfach da. Ein paar rote Bojen schwimmen drauf herum. Der Waldsee, der auch den Ort Bad Waldsee, "das Herz Oberschwabens", mit einem Namen versorgt hat.

Das <link http: images.google.de _blank external-link>Seenema, Biberacher Straße 29, hat 60 Plätze, wenn man ein paar Stühle in den Vorführraum stellt. In dem Raum, in dem die digitale Vorführmaschine steht, wurden mal Sprudel und Limonade gemacht. Deshalb die Kacheln. Das war nach der Zeit, als hier ein Fuhrunternehmen drin war, davor war hier nur Landwirtschaft. Wo heute die Bar ist, war einst ein Kuhstall. Da sitzt Eugen Detzel jetzt.

Detzel ist der Geschäftsführer der Seenema-Genossenschaft, die 153 Mitglieder hat, von denen jeder mindestens 250 Euro bezahlt hat. So viel kostet ein Anteil. Manche haben auch zwei gekauft. Die meisten Genossen sind aus Bad Waldsee, aber es gibt sie auch in Hamburg, München, Ravensburg, Saarbrücken, Weingarten. Mit dem Geld der Genossen wurde der Umbau bezahlt: 120 000 Euro.

Detzel hat's mit Kinos. Er ist von Beruf Lehrer, arbeitet aber erst, seit er 61 ist, an einer Grundschule in Weingarten. Als Vertretung. Nebenher fährt er in Ravensburg Taxi, zwei Nachtschichten pro Woche. Was dazu führte, dass Gemeinderäte der CDU in Bad Waldsee öffentlich verbreiteten, der Detzel fahre ja immer per Taxi von Bad Waldsee nach Weingarten, was etwa 50 Euro pro Fahrt koste. So dicke hätte es der Mann. Und dann wolle der noch Gehalt als Geschäftsführer des Seenema. Was das mit Gemeinnützigkeit zu tun hätte?

Die Stadt zeigt ihr Konkurrenzprogramm im Maximilianbad 

Detzels Leben lief nicht glatt: Kneipe, dann ein Dritte-Welt-Laden, dann in Weingarten das Kino Linse, aus dem ein Kulturzentrum wurde. Das machte er bis 2010. Weingarten hatte kein Kino mehr, Bad Waldsee auch nicht. Im August 1968 hatte das Tor-Theater geschlossen. Ab da machten mobile Filmdienste für Kurgäste und Einheimische Kino. Bis Detzel kam, mit seiner Idee vom Programmkino: Dokumentationen, Filme im Original, Kinderfilme, Kindertheater, Lesungen, Stummfilme mit Klavierbegleitung.

Genossenschaftliche, öffentlich geförderte Programmkinos, gibt es noch in Aalen und Reutlingen. Formal ist das Seenema aber kein kommunales Kino, denn die sind als Vereine organisiert. Und genau so, nämlich formal, sieht das Waldsees Bürgermeister Roland Weinschenk: "Das Seenema wurde nicht als kommunales Kino gegründet", ließ er schriftlich mitteilen. "Wir werden steuerlich wie ein kommunales Kino behandelt, sind also als gemeinnützig anerkannt", sagt Detzel.

So ganz verzichtet die Stadt nicht darauf, dem Seenema Konkurrenz zu machen. Im "Haus am Stadtsee" werden keine Filme mehr gezeigt, dafür in den städtischen Kliniken. Als das Seenema die französische Komödie "Birnenkuchen mit Lavendel" startete, lief der Film auch im Maximilianbad, "obwohl dies der Filmverleih untersagt hatte", sagt Detzel.

Den Bauantrag bekam Detzel nach Einsprüchen eines Nachbarn nur mit dem Versprechen durch, das Kino um 22 Uhr zu schließen und keine Parkplätze anzubieten, was das Seenema 9000 Euro Ablöse kostete, mit den Kosten für Baugenehmigung und Konzessionen 11 000 Euro. Die Anschubfinanzierung vom Verwaltungsausschuss der Kommune Waldsee betrug 5000 Euro, worauf Weinschenk gerne hinweist, per Saldo hat Waldsee am Seenema verdient.

In Waldsee tagt die Politik meist nicht öffentlich

Seit der Eröffnung im Jahr 2015 waren 16 000 Zuschauer im Kino, 13 Vorstellungen pro Woche, Kinder fünf, Erwachsene sieben Euro. Es gibt Kooperationen mit der Volkshochschule, der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, mit dem Weltladen Bad Waldsee, mit dem Katholischen Hausfrauenbund, der Hospizgruppe Bad Waldsee, dem Verein "Solidarische Landwirtschaft", dem Stadtseniorenrat, der im Kino Sitzungen abhält.

Detzel hat einen Förderungsantrag an die Stadtverwaltung gestellt und dabei Weinschenk, den frei gewählten Bürgermeister, kennengelernt. "In Bad Waldsee werden 80 Prozent aller Tagesordnungspunkte des Gemeinderats nicht öffentlich, unter Ausschluss der Öffentlichkeit beraten", hat Detzel ausgerechnet. Er nennt das "mauscheln". Detzel erklärte Weinschenk bei der Gründungsversammlung der Genossenschaft, dass sich ein Kino wie das Seenema nicht selbst tragen kann und auf öffentliche Unterstützung angewiesen ist. In Baden-Württemberg ist die Förderung öffentlicher Kinos auf verschiedene Weise möglich: etwa durch direkte Förderung oder Mietzuschüsse. Die Stadtverwaltung signalisierte Detzel, dass sein Antrag keine Chance habe. Detzel hatte auf 10 000 Euro Förderung gesetzt, in der "geheimen Bürgermeisterrunde, in der die Entscheidungen fallen", hatte sich der eine oder andere an den 700 Euro Gehalt, die Detzel als Geschäftsführer bekommt, gerieben.

Hätte die Stadt die 10 000 Euro berappt, hätte das Land 5000 draufgelegt. Das hätte Planungssicherheit bedeutet. Aber Detzel gibt nicht so schnell auf. Zweiter Antrag, wieder auf 10 000 Euro, diesmal Mietkostenzuschuss. Das Seenema zahlt 20 000 Euro Miete warm pro Jahr. "Wir haben lange nichts gehört", sagt Detzel über den zweiten Antrag. Vier Monate nach Antragstellung wurde er aufs Rathaus zitiert zum Gespräch mit Weinschenk. "Er hat mir nahegelegt, den Antrag zurückzuziehen", sagt Detzel. Er erklärte dem Bürgermeister, "dass ich, selbst wenn ich wollte, was nicht so ist, den Antrag nicht zurückziehen kann, da ich ihn für die Genossenschaft gestellt habe". 

Wegweiser kosten 300 Euro pro Stück

Auch der zweite Seenema-Antrag sollte den Waldseer Weg gehen: durch die nicht öffentliche Sitzung des Gemeinderats. Zur Sicherheit sollten die drei Gemeinderatsmitglieder, die Mitglied der Seenema-Genossenschaft sind, ausgeschlossen werden. Befangenheit. Dabei ist die Mitgliedschaft in der Genossenschaft nur mit finanziellen und sonstigen Nachteilen verbunden. 

Seitdem verleihen einige Einwohner Bad Waldsees in Leserbriefen in der "Schwäbischen Zeitung" ihrer Unzufriedenheit über die Intransparenz der Lokalpolitik Ausdruck. Zum Teil ziemlich deutlich. Die Stadtverwaltung, unsicher geworden, fragte beim Kommunalamt nach, ob der Ausschluss der Gemeinderatsmitglieder und der Öffentlichkeit in Sachen Seenema rechtens sei. Ist nicht rechtens. Nun wird in öffentlicher Sitzung über den Antrag verhandelt, auch Journalisten dürfen dabei sein.

Detzel sagt: "Wir sind das einzige kommunale Kino in Baden-Württemberg, das nicht gefördert wird", und fürchtet "dass wir ausgehungert werden". Weinschenk verweist darauf, dass das Kino "bei der laufenden Vermarktung" unterstützt werde. "Wir können nicht einmal in den städtischen Kurkliniken für unser Programm werben", sagt Detzel. "Wenn wir vorschlagen, dass mit Wegweisern aufs Kino hingewiesen wird, heißt es: Könnt ihr haben, pro Schild 300 Euro!"

Detzel geht es mittlerweile nicht mehr allein ums Geld. Förderungen, die nichts mit Waldsee zu tun haben, für gutes Programm, gutes Kinderprogramm und so weiter, bekommt das Kino. Es geht ihm darum, dass "die mal sagen, warum sie so ein Kino wie das Seenema nicht wollen. Und zwar öffentlich, damit die Leute das wissen." Die Intransparenz soll aufhören. Was das Seenema anbelangt. Und, wenn es geht, überhaupt in Bad Waldsee.


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3 Kommentare verfügbar

  • Andreas Praefcke
    am 03.08.2018
    Antworten
    Der Artikel suggeriert, das kommunale Kino in Weingarten (Linse) würde nicht mehr existieren, sondern es sei 2010 "zu einem Kulturzentrum geworden". Das stimmt zwar, aber das Kulturzentrum zeigt hauptsächlich Filme (und das täglich mehrfach), ist also natürlich weiterhin auch ein Kino.
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