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Terror und der Rechtsstaat

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Al-Qaida-Chef Osama bin Laden ist tot. Doch der Kampf gegen den islamistischen Terror gehe weiter, betonen auch deutsche Politiker. Was sie geflissentlich verschweigen: oft, zu oft wird dabei gegen rechtsstaatliche Prinzipien verstoßen. Zwei Fälle aus dem deutschen Südwesten, die bis heute Brisanz haben, zeigen dies drastisch. Einer davon: die nicht aufgeklärte Entführung des Deutschlibanesen Khaled el-Masri (Bild).

Khaled el-Masri - der Fall seiner Entführung ist nie richtig aufgeklärt worden. Foto: Martin Storz

Darf eine deutsche Kanzlerin dem US-Präsidenten zur Tötung eines Menschen gratulieren? Angela Merkel hatte wohl die alttestamentarische Denkweise der amerikanischen Freunde verinnerlicht, als sie jetzt Barack Obama zur "erfolgreichen" Operation der US-Spezialeinsatzkräfte gegen Osama bin Laden beglückwünschte: Auge um Auge, Zahn um Zahn. Natürlich war der Al-Qaida-Chef verantwortlich für brutalsten, menschenverachtenden Terror, der tausende Opfer gefordert hat. Und er war die größte Hassfigur für die USA. Klar aber ist auch: das Rache-Prinzip ist vom Rechtsstaatsdenken weit entfernt; wenn man so will: juristische wie auch christliche Welten davon entfernt.

Seit den Attentaten des 11. September 2001 und dem Beginn des von den USA erklärten "Krieges gegen den Terror" ist freilich so manches geschehen, was diesem Kampf gegen das Böse dienen sollte, mit rechtsstaatlichen Prinzipien jedoch nicht zu vereinbaren ist. Auch und besonders in Deutschland. Und konkret im Südwesten. Die illegale Entführung des in Neu-Ulm lebenden Deutschlibanesen Khaled el-Masri durch den amerikanischen Geheimdienst CIA gehört sicherlich dazu. Auf einer Reise nach Mazedonien war er Anfang 2004 von den Agenten gekidnappt und in ein Geheimgefängnis in Afghanistan verschleppt worden. Dort hielt ihn die CIA fünf Monate fest, wiederholt wurde er verhört und auch gefoltert. Die insistierenden Fragen der Agenten zu seinem Neu-Ulmer Alltagsleben waren so konkret, bis hin zu seinen Metro-Einkäufen und einer Geldüberweisung aus Skandinavien an seine lokale Bank, dass auch deutsche Sicherheitsexperten zu dem Schluss kamen: Da müssen deutsche Behörden dem amerikanischen Geheimdienst wohl dienlich gewesen sein.

Wer war "Sam"?

Die Glaubwürdigkeit des Entführungsopfers ist längst bestätigt, unter anderem von einem Ausschuss der Europäischen Union, der sich intensiv mit seinem Fall befasst hat. Ungeklärt ist indes bis heute, wer jener "Sam" war, der nach Aussagen von el-Masri wiederholt im afghanischen Geheimgefängnis aufgetaucht war und ihn gezielt befragt hatte. "Wir haben einen neuen Bundespräsidenten", habe jener "Sam" zu ihm einmal gesagt, vier Tage nach der Wahl von Horst Köhler. War also ein deutscher Beamter an der illegalen CIA-Entführung beteiligt?

Aufklären sollte dies die Ermittlungsgruppe Donau, in der die Landeskriminalämter von Bayern und Baden-Württemberg über mehrere Jahre kooperierten. Dieselbe Aufgabe hat bis heute die Staatsanwaltschaft München. Khaled el-Masri hatte Anfang 2006 auf einem Foto einen Deutschen als "Sam" identifiziert: Es handelte sich um einen Beamten des Bundeskriminalamts (BKA), einen Experten für besondere Aufgaben, häufig mit Auslands- und Geheimdienstbezug. Wie Unterlagen, die uns vorliegen, zeigen, wussten die Ermittler frühzeitig davon, dass el-Masri diesen Mann für "Sam" hielt. Doch statt gegen den BKA-Beamten verdeckt zu ermitteln, startete die Staatsanwaltschaft München einen verdeckten Lauschangriff gegen den Anwalt des Entführungsopfers: Sechs Monate lang wurden seine Telefonate abgehört – auch die mit seinem Mandanten el-Masri. Ein gravierender Eingriff in das Anwaltsgeheimnis, den die Behörde später auf abenteuerliche Weise zu begründen versuchte: Der Anwalt sei ein möglicher "Nachrichtenvermittler", man habe damit rechnen müssen, dass Täter über Telefon Kontakt zu dem Anwalt oder zum Entführungsopfer aufnehmen, um eine "Lösung" des Falles zu diskutieren. Das Bundesverfassungsgericht erklärte die bizarre Aktion später für verfassungswidrig.

Behörden an einer Aufklärung offenbar nicht interessiert

Bei einer Gegenüberstellung hatte el-Masri den Beamten "zügig erkannt", wie in behördeninternen Unterlagen steht. Als es im Polizeipräsidium Schwaben in Augsburg danach zu einer persönlichen Gegenüberstellung kam, sagte el-Masri, der Beamte sei inzwischen etwas fülliger und ergrauter geworden. Er habe den BKA-Fahnder aber zu neunzig Prozent als "Sam" wiedererkannt. Die Staatsanwaltschaft München erklärte indes gegenüber den Medien, die Gegenüberstellung sei nicht erfolgreich gewesen. Und die Behörde ließ schließlich die Öffentlichkeit wissen, der BKA-Beamte sei nicht "Sam", sondern zum fraglichen Zeitpunkt, im Mai 2004, nahezu durchgängig an seinem Dienstort gewesen. Der Beamte selbst hatte erklärt, er sei noch nie in Afghanistan gewesen.

Khaled el-Masri hatte immer mehr den Eindruck gewonnen, dass die Rechtsstaats-Behörden und auch die deutsche Regierung an einer wirklichen Aufklärung seiner Entführung wenig interessiert seien. Und dass er mitunter mehr als Täter denn als Opfer behandelt worden sei. Schriftliche Aussagen von ihm zeigen, dass er sich nach und nach vom Rechtsstaat im Stich gelassen fühlte. Schließlich handelte das Entführungsopfer auf eigene Faust – und wurde tatsächlich zum Täter: Im Mai 2007 legte el-Masri einen Brand in einem Neu-Ulmer Metro-Markt. Und am 11. September 2009 griff er den Neu-Ulmer Oberbürgermeister Gerhard Noerenberg in dessen Dienstzimmer an. Er wurde zu einer zweijährigen Haftstrafe verurteilt. Khaled el-Masri, das Opfer der illegalen CIA-Entführung, sitzt heute im Knast. Der Rechtsstaat hat seinen – politisch brisanten – Fall nicht aufgeklärt. Er selbst könnte inzwischen zur tickenden Zeitbombe geworden sein.

Die "Sauerland-Bomber" zum Teil ferngesteuert?

Der zweite Fall ist jetzt wieder in aller Munde. Im Jahr 2007 hatte die sogenannte Sauerland-Gruppe um den Ulmer Konvertiten Fritz Gelowicz verheerende islamistische Terroranschläge in Deutschland geplant. Ähnlich wie es im Fall der drei Männer sein soll, die in der vergangenen Woche in Düsseldorf und Bochum festgenommen worden sind. Fritz Gelowicz und die anderen "Sauerländer" Adem Yilmaz, Daniel Schneider und Attila Selek sind 2010 vom Oberlandesgericht Düsseldorf zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt worden. Doch was in der Öffentlichkeit kaum bekannt ist: der fünfte Mann dieser Terroristengruppe lebt bis heute auf freiem Fuß. Trotz eines internationalen Haftbefehls. Dabei wissen die Generalbundesanwaltschaft in Karlsruhe und das Bundeskriminalamt seit mehreren Jahren, wo er sich aufhält. Er ist der Mann, der nach umfangreichen BKA-Erkenntnissen Gelowicz und seinen Kumpanen die 26 Sprengzünder beschafft hatte. Ohne Sprengzünder kein Anschlag. Doch mit diesem fünften Mann hat es eine besondere Bewandtnis: Nach Informationen aus Sicherheitskreisen handelt es sich um einen Kontaktmann des türkischen Geheimdienstes MIT – und des amerikanischen Geheimdienstes CIA. Was die unbequeme Frage aufwirft: War der Fall der "Sauerland-Bomber" in Teilen ferngesteuert?

Für Mevlüt K., den fünften Mann, hatten sich amerikanische und deutsche Sicherheitskräfte schon im Herbst 2001 interessiert, unmittelbar nach den Terroranschlägen von New York und Washington. Der Deutschtürke lebte damals in Ludwigshafen. Seine Wohnung war durchsucht worden. Anfang 2002 wurde er auf dem Flughafen von Ankara festgenommen und saß bis November 2003 in türkischer Haft. In dieser Zeit, so berichten mehrere Sicherheitsexperten übereinstimmend, sei Mevlüt K. vom amerikanischen Geheimdienst angeworben worden.

Der fünfte Mann bleibt in Freiheit - auf Wunsch der CIA?

Der mutmaßliche CIA-Kontaktmann aus der Pfalz war eine Hauptfigur in den Attentatsvorbereitungen der Sauerland-Gruppe, wie aus BKA-Ermittlungsakten hervorgeht. Über einen jungen Deutschtunesier hatte Mevlüt K. im Sommer 2007 zunächst 20 Sprengzünder an den Ulmer Terroristen Fritz Gelowicz weitergeleitet. Versteckt waren sie in Schuhen, die K. in einer Istanbuler Moschee dem 15-Jährigen mitgegeben hatte. Auch unter der Führung von Mevlüt K. seien weitere sechs Zünder aus dem Kosovo nach Deutschland zur Sauerland-Gruppe geschmuggelt worden, hielten Terrorermittler in den Akten fest. Daran beteiligt waren fünf serbische Islamisten. Aus abgehörten Gesprächen geht hervor, dass Mevlüt K. für sie der "Chef" war, von dem die jeweiligen Anweisungen kamen.

Als sich der Sauerland-Terrorist Attila Selek im Frühjahr 2007 in der Türkei aufhielt und regelmäßig Kontakt zu Mevlüt K. hatte, fiel ihm auf, dass K. auffallend viele Insider-Informationen über die Terrorzelle hatte. In einer späteren BKA-Vernehmung beschrieb Selek ihn als einen brutalen und gefährlichen Mann, der stets eine scharfe Pistole mit sich führe und enge Kontakte zur organisierten Kriminalität habe. Deutsche Ermittlungsakten weisen Mevlüt K. derweil als hochkarätigen Islamisten aus: Er habe dem Netzwerk des 2006 von den Amerikanern getöteten Al-Qaida-Topterroristen al-Sarkawi angehört und dort logistische Aufgaben wahrgenommen. Zudem verfüge er über Kontakte zu Dschihad-Kämpfern in Tschetschenien und dem Iran. Libanesische Behörden hatten K. seit Längerem international zur Festnahme ausgeschrieben – weil er versucht habe, im Libanon Terroranschläge zu verüben.

Attila Selek wurde Ende 2007 in der Türkei festgenommen und nach Deutschland ausgeliefert. Mevlüt K. aber, der "Chef" und der fünfte Mann der Sauerland-Gruppe, der Selek in der Türkei immer wieder getroffen hatte, erfreut sich nach wie vor seiner Freiheit. Der Rechtsstaat ist in seinem Fall partout nicht erfolgreich gewesen. Liegt dies etwa an den Interessen des amerikanischen Geheimdienstes?


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