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Fahrverbote funktionieren

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Ausgerechnet Tanja Gönner (CDU) hat es vorgemacht und vor zehn Jahren Fahrverbote durchgesetzt. Für Giftschleudern auf vier Rädern. Davon wollen die Schwarzen heute nichts mehr wissen. Ebenso wenig von den Versäumnissen, die sie gerade in Stuttgart zu verantworten haben.

Nach dem Knatsch ist vor dem Knatsch. Die gut 30-seitige Begründung des Leipziger Feinstaub-Urteils, die seit wenigen Tagen auf dem Tisch liegt, ist erheblich eindeutiger, als die Landesregierung zum Start in die landespolitische Pfingstpause weismachen will. Sogar im Verkehrsministerium wird gebremst. Das hängt nicht zuletzt damit zusammen, dass Hausherr Winfried Hermann eben erst öffentlich vom Ministerpräsidenten gerüffelt wurde. Für nichts als die Wahrheit: Hermann hatte sich getraut, unter anderem laut darüber nachzudenken, dass beim Thema Fahrverbote Euro-5- und Euro-4-Diesel gleichbehandelt werden müssten. Die neueren Motoren stoßen nämlich mehr Schadstoffe aus als die älteren. Der Minister habe "rumräsoniert", reagierte Winfried Kretschmann kühl, anstatt den Ball dankbar aufzunehmen. Und dann beklagte er die "sehr schwierige Materie".

Der Neuigkeitswert dieser Erkenntnis liegt bei Null. Denn seit vielen Jahren wissen gerade die Grünen, dass die Luft in hochbelasteten Innenstädten ohne drastische Einschnitte nicht ausreichend verbessert werden kann. Und spätestens seit dem Foul der CDU-Fraktion rund um die Reform des Landtagswahlrechts hätten die ohnehin immer zahlreicher werdenden selbsternannten StrategInnen im Staatsministerium schon mal an einem tragfähigen Plan basteln können. Kretschmann selbst schloss Gegengeschäfte mit dem wortbrüchigen Koalitionspartner aus. Sich die Zustimmung zu Vernünftigem, Notwendigem und höchstrichterlich Bestätigtem zusichern zu lassen, um den Frieden zunächst wiederherzustellen und dann langfristig zu stabilisieren, wäre aber kein anrüchiger Deal gewesen, sondern politisch klug.

Die Chance ist vertan. Mehr noch: Viele in der CDU sind längst als Stimmungsmacher unterwegs, allen voran der neue Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium Steffen Bilger. Der ist auch einer der mächtigen Bezirksvorsitzenden seiner Partei (Nordwürttemberg) und kennt keine Scheu, die Uralt-Kamelle von den falsch platzierten Messstellen aufzutischen. Im Eilverfahren beschlossen worden ist bereits, die Standorte republikweit zu überprüfen. Der Stuttgart-21-Fan geht zudem mit haltlosen Behauptungen hausieren: "Wenn europaweit die gleichen Maßstäbe gelten sollen, dürfen wir in Deutschland die EU-Vorgaben nicht besonders negativ umsetzen, während andere Länder überwiegend die für die Einhaltung der Grenzwerte bestmöglichen Standorte nehmen."

Gönner: "Der Gesundheitsschutz muss Vorrang haben"

Belege dafür bleibt der 39-jährige Jurist, der schon als Jüngling in die Schüler-Union eintrat, schuldig. Und das Verb "dürfen" unterstreicht den Vorsatz. Denn natürlich weiß er als Fachpolitiker, dass die Messstationen da stehen, wo sie hingehören. Erst recht in Stuttgart. Weil dieselbe Debatte schon 2007 geführt wurde. Schwarze unter sich: Tanja Gönner zitierte damals keinen Geringeren als den damaligen OB Wolfgang Schuster (CDU) mit seiner Antwort auf einen Vorstoß der FDP-Gemeinderatsfraktion: "Das Bundes-Immissionsschutzgesetz schreibt so genannte Worst-Case-Messungen an Stellen mit den vermutlich höchsten Konzentrationen vor."

Überhaupt lohnt der Blick gut zehn Jahre zurück, als Fahrverbote und harte Forderungen an die Adresse der Automobilindustrie nicht des Teufels, sondern ordnungspolitisches Handwerkszeug waren. Im Herbst 2007 zum Beispiel, in der Chefetage am Stuttgarter Kernerplatz: Gönner, die 2004 von Erwin Teufel als Sozialministerin aus Berlin geholt und 2006 von Günther Oettinger ins Umweltressort geschubst wurde, wollte sich profilieren. Sie hatte das bundesweit erste Erneuerbare-Wärme-Gesetz, mit der Öko-Energie-Pflicht für Wohngebäude, gegen alle Widerstände auf den Weg gebracht – und keine Scheu vor weiteren heißen Eisen. Die damals 37-Jährige nutzte die von der Großen Koalition geschaffenen rechtlichen Vorgaben zügig und vereinbarte mit den Spitzen von Städte-, Gemeinde- und Landkreistag sowie dem Regierungspräsidenten Udo Andriof (CDU) ein Konzept, das Fahrverbote für alle Dieselfahrzeuge ohne grüne Plakette unter Euro 4 ab 1. März 2008 vorsah.

Auf der Pressekonferenz danach griff die Ministerin aus Sigmaringen zu drastischen Worten. "Jeder vermiedene Todesfall wegen Feinstaub ist ein Grund, weswegen es sich lohnt, darum zu kämpfen", sagte sie. Und stellte sich hinter eine Vorgabe, die 2007 hochbrisant war und inzwischen längst aus dem Blick geraten ist. Die EU hatte Ende der 1990er Jahre beschlossen, die Zahl der erlaubten Feinstaub-Überschreitungstage ab 1. Januar 2010 von 35 auf nur noch sieben zu verringern. Als man im Frühjahr 2008 Zwischenbilanz zog und die immensen Versäumnisse in den Mitgliedsstaaten offenbar wurden, beerdigte man diese Verschärfung sang- und klanglos. Die Brüsseler Autolobby hatte ganze Arbeit geleistet. "Die Feinstaub-Debatte ist ein Paradebeispiel dafür, wie eine komplexe Faktenlage durch Auswahl von Kronzeugen und Daten so getrimmt werden kann, dass der Laie beeindruckt nickt: He, das stimmt doch!", schrieb die Hamburger "Zeit".

In der CDU fühlt sich heute keiner mehr an alte Forderungen gebunden

<link http: www.umweltplakette.org umweltzonen umweltzone-stuttgart external-link-new-window>Acht baden-württembergische Städte – Stuttgart, Mannheim, Schwäbisch Gmünd, Leonberg, Ludwigsburg, Ilsfeld, Tübingen und Reutlingen – machten mit ihren Umweltzonen dennoch den Anfang. Am Neckartor waren in der Landeshauptstadt anno 2006 nicht weniger als 178 Überschreitungstage gemessen worden. "Der Gesundheitsschutz muss Vorrang haben", so Gönner nach der Entscheidung und zum Ärger des Koalitionspartners FDP. Und wie sich die Bilder gleichen: Auch damals hatten die Richter am Leipziger Bundesverwaltungsgericht gesprochen und den AnwohnerInnen in stark belasteten Gegenden neue Möglichkeiten eingeräumt, auf Maßnahmen gegen Feinstaub zu drängen. O-Ton Gönner: Es sei denkbar, dass es demnächst zu Straßensperrungen in Großstädten wie München oder Stuttgart kommen müsse, "wenn nicht reagiert wird".

Liberale malten dagegen ein düsteres Bild davon, wie "mit Kanonen auf Spatzen geschossen wird". Vorhergesagt wurde der Niedergang des Automobilstandorts, dass Einzelhandels- und Dienstleistungsunternehmen nicht mehr liefern oder nicht mehr von KundInnen erreicht werden können, dass die Bürokratie explodieren würde angesichts der Flut von Anträgen auf Ausnahmegenehmigungen. Wiewohl nach und nach Zehntausende Fahrzeuge betroffen waren, trat nichts von all dem ein – was allerdings keinerlei Konsequenzen hatte. Ganz im Gegenteil: Als die FDP 2009 in die Bundesregierung aufrückte, wurden alle Anstrengungen nach und nach zurückgefahren – trotz diverser einschlägiger Urteile, die den Ernst der Lage unterstrichen. Stuttgart blieb weitgehend beim beschlossenen Zeitplan, ohne den notwendigen Zahn zuzulegen. Selbst als klar wurde, dass die Nachrüstung mit Partikelfiltern nicht die erhoffte Wirkung zeigt, wurde nichts unternommen, sondern fruchtlos debattiert. Etwa über Tempo 40 in der ganzen Stadt oder die 130.000 Euro teure Ausbringung eines Bindemittels an der B14. "Herr Schuster, das müssen Sie jetzt anpacken!", titelte einmal sogar "Bild".

Augen zu – als gäbe es das Leipziger Feinstauburteil nicht

Nach dem Regierungswechsel von 2011 flatterte OB Schuster, der damals schon entschieden hatte, aus dem Amt zu scheiden, Post ins Rathaus. Die neue Staatssekretärin im Landesverkehrsministerium wollte wissen, was die Stadt eigentlich für die Einhaltung der Grenzwerte zu tun gedenke. Auch mit Blick auf die Großbaustellen in der Stadt schrieb Gisela Splett: "Ich würde mich freuen, wenn Sie hier deutliche Fortschritte mitteilen könnten." Konnte Schuster aber nicht. In dieser Zeit dachten Grüne bis hinauf zum zuständigen Minister noch laut über die Pariser Einfahrregelung an Feinstaubtagen nach: Autos mit geraden Kennzeichenzahlen dürfen am einen und mit ungeraden am nächsten Tag hinein. Bis sie der Mut nach und nach verließ.

Moos und Jobticket

Eines immerhin kann die EU der Stadt Stuttgart nicht mehr vorwerfen: Dass nichts unternommen wird, um die Luft im Talkessel zu verbessern. Die im Bau befindliche Schnellbus-Spur steht für die Anstrengungen, aber auch für die Erfolge bei der Verbesserung des ÖPNV-Angebots. Die Betonplatten mit Titandioxid, die unter anderem im Dorotheenquartier eingesetzt wurden, weil sie Stickoxide abbauen können, stehen für die vielen, oft belächelten Ideen. Sie reichen von der Mooswand an der B 14 bis zur Straßenreinigung. Die Wirkung der Letzteren wird gerade untersucht. Noch vor der Sommerpause sollen Ergebnisse vorliegen. Der Etat für Radwege ist fast verdoppelt worden, das 1000-Bäume-Programm läuft weiter. Fast 80.000 Beschäftigte in mehr als 600 Betrieben nutzen das Job-Ticket. Und erst kürzlich hat der Städtetag Stuttgarts Rolle in Sachen Ladeinfrastruktur für Elektrofahrzeuge gelobt: Mit 370 öffentlichen Ladepunkten gehört das Netz zu den dichtesten in deutschen Großstädten. (jhw)

Manches hätte anders laufen können, wäre Tanja Gönner nicht gescheitert mit ihrem verwegenen Griff nach Partei- und Fraktionsvorsitz. Nach ihrem Abgang und vor allem in der neuen Oppositionsrolle sah sich aber keiner der CDU-Umweltpolitiker mehr an alte Ideen und Forderungen gebunden, schon gar nicht in Sachen Gesundheitsschutz. Bis heute ist das so geblieben. In den Komplementärkoalitionsvertrag fanden reichlich Allgemeinplätze Eingang: "Die Luftreinhaltung ist insbesondere in hochbelasteten Städten und Gemeinden von großer Bedeutung. Luftschadstoffe wie Feinstaub und Stickoxide können zu erheblichen Gesundheitsproblemen führen." Oder: "Wir wollen diese Herausforderung systematisch angehen, um die Grenzwerte schnellstmöglich einzuhalten. Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und jeder Einzelne stehen in der Pflicht, einen Beitrag für saubere Luft zu leisten."

Und während in Hamburg schon die ersten Fahrverbotsschilder hängen, können oder wollen Kretschmann und die Seinen der geballten schwarzen Propaganda nur wenig entgegensetzen. Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU) möchte von einer politischen Gesamtverantwortung fürs Große und Ganze nichts wissen, sondern redet großzügigen Ausnahmen das Wort. Nicole Razavi, die so gern selber Verkehrsministerin geworden wäre, hält von Fahrverboten grundsätzlich nichts. CDU-Fraktionschef Wolfgang Reinhart will Fahrverbote "möglichst" verhindern, ganz in Übereinstimmung mit den verkehrspolitischen Hardlinern unter seinen Abgeordneten, die gern so tun, als gäbe es das Leipziger Urteil und seine Begründung nicht, und all die anderen einschlägigen Urteile der vergangenen Jahrzehnte auch nicht. Nach dem Knatsch ist vor dem Knatsch.


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2 Kommentare verfügbar

  • Peter Meisel
    am 24.05.2018
    Antworten
    Vor zehn Jahren? Vor zehn Jahren fortschrittlich: Tanja Gönner (CDU).??
    Vor sieben Jahren war sie noch ziemlich verstockt:
    Zitat BB 24.01.2011
    "Grafenau: Umwelt- und Verkehrsministerin Tanja Gönner beim Neujahrsempfang der CDU Klares Bekenntnis zur Kernkraft!
    Das Land habe ein Energiekonzept…
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Ausgabe 459 / Grüne Anfänge mit braunen Splittern / Udo Baumann / vor 1 Tag 5 Stunden
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